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Wirtschaftsjournalisten haben versagtWarnungen ohne Widerhall

Die meisten deutschen Journalisten haben erst über die Wirtschaftskrise berichtet, als sie nicht mehr zu übersehen war.

Im Jahr 2004 war schon abzusehen, dass der Immobilienboom in den USA vor dem Aus steht. Bild: ap

Es ist ja nicht so, dass es keine Warnungen gegeben hätte. In vielen Zeitungen standen ab 2004 Artikel darüber, dass es mit dem Immobilienboom in den USA bald vorbei sein könne und dass ein Crash grässliche Folgen für die deutsche Exportwirtschaft haben werde.

Es ist auch nicht so, dass nur die Fachkorrespondenten im Finanzteil Sorgen hatten. Überkanzler Helmut Schmidt etwa klagte im Februar 2007 in der Zeit den "Raubtierkapitalismus" an. Er schrieb: "Bank- und Fondsmanager erfinden täglich neue spekulative Finanzderivative, deren Risiken weder der private Kunde noch der eigene Vorstand ausreichend beurteilen kann."

Doch gibt es sicherlich wenige Menschen, die finden, sie seien medial auf die Weltwirtschaftskrise vorbereitet worden. Unabhängig davon, ob eine kritische Öffentlichkeit die Katastrophe abgewendet hätte - vermutlich nicht -, stellt sich die Frage, ob neben den Bankern und den Bankbeaufsichtigern noch jemand versagt hat: die Medien.

Ganz klar hat dies bereits eine Autorität der Branche bejaht. Wolfgang Kaden, ehemaliger Chef von Spiegel und Manager-Magazin, erklärt, maximale, irreale Renditen seien stets bloß bejubelt, nie kritisch beäugt worden. Es gebe keine Entschuldigung wie "keine Zeit" für das Versagen der Wirtschaftsjournalisten. "Nein, die haben das einfach alle nicht gesehen und auch keine Recherchen unternommen", sagte Kaden zum Wirtschaftsjournalist. Für das Handelsblatt schrieb Jens Münchrath in einer der raren selbstkritischen Analysen eines amtierenden Redakteurs: Insgesamt hätte seine Zeitung der Finanzkrise schon Ende 2007 "mehr Beachtung schenken sollen".

Wo hat es gehakt? Da es Warnungen gab, muss es diesen am notwendigen Gewicht gefehlt haben, um die vordere Bühne der Öffentlichkeit zu erreichen. Christoph Moss, ehemaliger Handelsblatt-Redakteur, jetzt Professor an der International School of Management in Dortmund, sagt: "Die Medien-Dominosteine hätten eigentlich fallen müssen." Der Sprung der Nachrichten etwa ins Fernsehen, wo sie die Beachtung auch des fachfremden Publikums finden, ist aber nicht passiert.

Viele Wirtschaftsjournalisten fragen sich ja selbst, was schiefgelaufen ist. 2006 und 2007 ging es der deutschen Wirtschaft blendend. Gemaule hörte keiner gern. Selbst wenn die amerikanische Lage nach dem Enron-Skandal schon anders aussah, so "wollte unser Ressortleiter endlich etwas anderes als Mahnungen aus den USA lesen", sagt einer. "Er fand die Theorien interessant, wonach Immobilien tatsächlich immer wertvoller werden können." In der Journalismuszeitschrift Message vermutet Danny Schechter, dass viele deutsche Journalisten auch einem antiamerikanischen Reflex gehorchen, wenn sie die Krise den USA zuschreiben und Europa in Sicherheit wähnen.

Apokalyptiker gibt es außerdem immer - und werden bestenfalls dann ernst genommen, wenn sie sich wenigstens auf die Problemanalyse einigen können. Doch ging die in Deutschland auf Hedgefonds (Heuschrecken!) konzentrierte Kritik ebenso an der Sache vorbei wie der Attac-Ansatz, vor Währungsspekulationen zu warnen. Den eigentlichen Namen des Bösen - "Credit Default Swaps", "Collaterized Debt Obligations" - liest man erst seit wenigen Monaten.

Die Wirtschaftspresse unterliegt außerdem besonderen Gesetzen. "Bad news are good news" gilt nicht. Wirtschaftszeitungen pflegen risikofreudiges Unternehmertum ausführlich zu loben. "Gerhard Bruckermann hat alles richtig gemacht": So beginnt im Juli 2007 das Handelsblatt-Porträt über den Mann, der die Hypo Real Estate (mit)ruinierte. Wirtschaftszeitungen leben ideell, aber auch materiell von und mit der Konjunktur. Nicht nur werden ihre Anlagetipps umso lieber gelesen, je mehr der gut verdienende Mittelstand anzulegen hat.

"Man will auch auf gar keinen Fall zu denen gehören, die die Konjunktur kaputtschreiben", erklärt Exjournalist Moss. Wenn ein Wirtschaftsblatt titeln würde: "Dresdner Bank wackelt", wäre diese eben tatsächlich am nächsten Tag pleite - und würde Klage einreichen.

Für die Financial Times Deutschland mag Sebastian Dullien, ehemaliger FTD-Redakteur, jetzt Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, Letzteres nicht bestätigen. Eine "regelrechte Verantwortung für Unternehmen" spüre man bei der britisch, also eher bissig geprägten Zeitung wohl nicht - abgesehen davon, dass es natürlich rechtliche Grenzen gebe.

In der Benennung eines zentralen Problems ist Dullien sich mit Moss allerdings einig: "Eine ganze Reihe von Journalisten ist nicht dafür qualifiziert, Bilanzen zu lesen." Dass in den Bilanzen der Banken Zeitbomben tickten, war nun noch nicht einmal den Bankenaufsichten aufgefallen. Doch Journalisten "ohne vernünftige wissenschaftliche Ausbildung" seien ihren Informanten, den Analysten, ausgeliefert und "neigen zu Anpassungsverhalten", sagt Dullien.

Er erkennt an, dass die unheilvollen Finanzprodukte von derartiger Komplexität sind, dass wahrscheinlich nur die Harvard-Mathematiker, die sie ersonnen haben, sie auch verstanden. Aber "man muss nicht alles mathematisch nachvollziehen können", sagt er. "Der ganz große Irrtum war, dass man Risiken durch immer kompliziertere Produkte aus der Welt schaffen könnte."

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6 Kommentare

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  • P
    Peer

    Na wenigstens hat die taz ja rechtzeitig gewarnt. Ach nein, hat sie ja gar nicht. Schon seltsam, dass man die rare Selbstkritik von Wirtschaftsjournalisten geißelt, das eigene Blatt aber vergisst.

  • N
    noV

    Schöne Geschichte. Das Problem ist aber wohl nicht nur, dass in den Medien zu wenig gewarnt wurde, sondern dass auch viele Leser von den Warnungen partout nichts wissen wollten. Zum Beispiel hatte ich einmal einem Bekannten eine der dunkelschwarzen Prognosen des FTD-Kolumnisten Wolfgang Münchau geschickt. Der Bekannte, der immer ganz stolz von seinen tollen deutschen Aktien geschwärmt hatte (die bis dahin ja auch gut gelaufen waren) meinte nur: "Was ist das denn für eine Zeitung? So ein Quatsch!"

     

    In den USA, wo die mediale Desinformation wohl wirklich schlimm gewesen sein muss, geht es allerdings derzeit richtig rund. Sogar im Fernsehen rechnen die Kollegen herzhaft miteinander ab:

    http://www.thedailyshow.com/video/index.jhtml?videoId=220252&title=cnbc-financial-advice

     

    Details:

    http://en.wikipedia.org/wiki/Jon_Stewart's_2009_controversy_with_CNBC

  • RG
    Reinhard Gottorf

    Das ist billig, Frau Winkelmann. „Wirtschaftsjournalisten haben versagt“. Das ist wie spuken auf eine Leiche, einfach billig. Diese Entwicklungen waren für jeden, der sehen wollte, in ihren Grundzügen offenkundig; man kann aber niemanden sehen machen, der von vornherein beschlossen hat, die Augen zuzukneifen. Das trifft vor allen auf die Medien zu. Sie sind es nämlich, die in ihrer – von ihr selbst - gern in Anspruch genommenen Funktion als Mittler, Aufklärer und Lieferant von Hintergründen nicht nur versagt haben, sonder Mittäter sind. Ihnen, den Medien, ist es vor allem geschuldet, dass die warnenden Stimmen, die es zuhauf gab und gibt, schlicht und einfach ignoriert, oder was am häufigsten passierte, diffamiert wurden (siehe der Umgang mit Oskar L., auch und gerade heute in der TAZ).

     

    Schon vor 80 Jahren hat Ignaz Wrobel, alias Kurt Tucholsky, in seinem Beitrag für die >Weltbühne< „Presse und Realität“ folgende Sätze formuliert:

    „Der Redakteur bekommt mit der Zeit den Größenwahn. Besonders der beschränkte, der nicht sieht, dass er nur Handwerkszeug Größerer, hinter ihm Stehender ist. Er hat im Laufe der Jahre gelernt, dass das, was er nicht drucken lässt, für Hunderttausende nicht existiert - dass das, was er den Leuten mit der Papageientaktik in die Köpfe lärmt, für sie im Mittelpunkt der Erde steht. Er wird also immer mehr auf die Wirkung als auf die Wirklichkeit sehen.“ …

    „Der Leser vertraut der Presse blind, weil ihn seine Zeitung ja nicht über sein eigenes Wesen aufklärt und weil eine andre Einwirkung auf die Öffentlichkeit gegen die Presse nur sehr, sehr schwer ist. Die Wirkung auf den Leser wird in fast allen Fällen die gewünschte sein. Das Korrektiv mehrerer Zeitungen leisten sich außer den Fachleuten nur wenig Menschen - und so entsteht ein Weltbild, wie es entstehen soll, nicht, wie es ist“.

     

    Nein, nein, die Meinungsmacher, die Alpha-Journalisten haben über Jahre und Jahrzehnte diese Entwicklung mitgemacht und mitgestaltet. Sie waren es, die in ihren Leitartikeln, ihren Essays, ihren Kommentaren und ihren sonstigen „wichtigen“ Darlegungen bewusst und gewollt den Propagandisten dieser jetzt zutage getretenen Fehlentwicklungen die Bühne geboten haben. Sie haben deren Lügen, Weissagungen und falschen Versprechungen das Sanctus gegeben. Und sie machen es heute immer noch. Wie ist es sonst möglich, dass dieser erwiesene Münchener Scharlatan Sinn, oder die Walters, die Rürups oder Straubhaars erneut eine Plattform geboten bekommen, um ihren ideologischen Müll unter die Leute zu bringen. Wie ist es möglich, dass heute immer noch die Kaste der unfähigen und unwilligen Politiker für ihr ach so grandioses Krisenmanagement in der veröffentlichten Meinung Lob zuteil wird, ohne das ein einziges Mal darauf hingewiesen wird, dass die es waren, die durch ihre Gesetzesinitiativen oder internationalen Abkommen es überhaupt ermöglicht haben, das es zu solchen unglaublichen Finanzprodukten wie z. B. den CDS – Credit Default Swaps- kam. Wie ist es möglich, dass selbst die TAZ einen DPA-Beitrag kommentarlos abdruckt, um sich so als Hofschranze seiner Durchlaucht Wirtschaftsminister zu outen.

     

    „Es muss den Warnungen das nötige Gewicht gefehlt haben, um die fordere Bühne der Öffentlichkeit zu erreichen“!? Meine Güte, das können Sie doch jemanden erzählen, der sich die Hose mit der Kneifzange anzieht. Wer entscheidet denn in einer Redaktion darüber, was so wichtig oder gewichtig ist, um in dem jeweiligen Medium Erwähnung zu finden? Der Papst? Der liebe Gott? Oder wer sonst? Es sind doch wohl die Redakteure einer Redaktion selbst, oder? Oder gibt es da Mächte, von denen wir Außenstehenden nichts wissen, die darüber entscheiden, was veröffentlicht wird oder was nicht? (Siehe oben!)

     

    Wie bitte? 2006 und 2007 ging es der deutschen Wirtschaft blendend? Und Sie schreiben diesen Artikel über das Versagen der Wirtschaftsjournalisten? Millionen von Arbeitslosen; 1-€ Jobs zur Kaschierung der wahren Arbeitslosenzahlen; Hungerlöhne für immer mehr arbeitende Menschen; Hartz IV; Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung; steigende Kinderarmut; verkommene Schulgebäude für unsere Kinder; große Klassen; zu wenig Lehrer; steigende Zahlen von Insolvenzen; alles auch schon 2006/7. Ich könnte noch seitenweise die Beispiele fortsetzen aber ich erspare es mir. Es ist ja eh sinnlos. Denn Sie schreiben ja tatsächlich, es ging der deutschen Wirtschaft blendend. Blendend ging es den Zockern, den Spekulanten, den Betrügern, den Ackermännern, den Zumwinkels, den Rürups, den Riesters und den Lehman Brothers. Das ist also Ihr Bewertungshorizont, von dem aus Sie beurteilen, ob es einer Volkswirtschaft gut oder schlecht geht.

     

    Auch der Hinweis auf die Aussagen der Herren Dullien und Moss, einst selbst Täter an der Medienfront, nun Professoren für Volkswirtschaftslehre und Management, zielen in eine ähnliche Richtung. "Eine ganze Reihe von Journalisten ist nicht dafür qualifiziert, Bilanzen zu lesen." Oder weiter: "Journalisten ohne vernünftige wissenschaftliche Ausbildung seien ihren Informanten, den Analysten, ausgeliefert und neigen zu Anpassungsverhalten." Das erfordert eigentlich die Nachfrage, ob den nicht wenigstens sie, die ja wohl eine wissenschaftliche Ausbildung genossen haben, während ihrer journalistischen Tätigkeit bei der >Wirtschaftswoche> oder bei der >Financial Times Deutschland< auf die drohende Gefahr einer solchen Krise hingewiesen haben. Waren die etwa zu leichtgewichtig?

     

    Nein, das klingt eher nach einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für Absolventen ihrer Studienstätten. Unfähigkeit ist es nämlich nicht bei den Journalisten, es ist Unwillen. Auch der Versuch der Ausstellung eines solchen Persilscheines ändert nichts an der Tatsache, dass die Medien per se und nicht nur die Wirtschaftsjournalisten Mittäter sind. Es hat seit Jahren unzählige Hinweise und seitenlange Abhandlungen z. B. über die Gefahren dieser nun implodierenden betrügerischen Geschäfte mit Kreditderivaten gegeben.

     

    So habe ich, als Beispiel, Ende 2000 eine Abhandlung über die seinerzeitige Krise des Hedgefonds LTCM in den USA gelesen. Bereits damals stand das Finanzsystem nicht nur in den USA vor einer ähnlichen Krise, wie sie heute herrscht. Im Jahr 1999 wurde auf Initiative des US-Notenbankpräsidenten Alan Greenspans ein Gesetz beschlossen, das jede wie auch immer geartete staatliche Kontrolle über Derivate untersagte, der Commodity Futures Modemization Act. Das Lustige an diesem Gesetz ist, dass die Macher dieses Gesetzes es scheinbar für möglich hielten, dass jemand seinerzeit seriöse Investmentbanken wie z. B. Lehman Brothers mit bucket shops (Wettbüros in den USA Anfang des vorigen Jahrhunderts) verwechseln könnte, in denen man auf Aktien wetten konnte. Die Regeln waren dabei damals des Öfteren so gestaltet, dass der Kunde meistens seinen Wetteinsatz verlor. Es hieß nämlich in diesem Gesetz: »Dieses Gesetz hat Vorrang vor jeder lokalen oder bundesstaatlichen Gesetzgebung, die Glücksspiel oder bucket-shops einschränkt oder verbietet.«

     

    Ich habe aus dieser Abhandlung damals den Schluss gezogen, dass hier der Versuch unternommen wird, aus Scheiße Gold zu machen. Aber das habe ich wohl schon damals falsch verstanden. Ich bin ja bekennender Volksschüler und mir fehlt daher die wissenschaftliche Ausbildung, um die ganze Bandbreite der Krisenerscheinungen und Ursachen zu erfassen. Aber eines weiß ich seit heute gewiss, der Artikel hat die falsche Headline. Es muss nicht heißen: “Wirtschaftsjournalisten haben versagt“. Nein, richtig ist vielmehr: “Wirtschaftsjournalisten verschwiegen bis zum bitteren Ende“.

  • J
    Jana

    Mich würde in diesem Zusammenhang schon interessieren, welche fachspezifische Ausbildung sogenannte "Wirtschaftsjournalisten" denn nun eigentlich haben müssen. Lediglich lesen und schreiben zu können und das kleine Einmaleins dürften hier wohl nicht ausreichen. Oder etwa doch?

  • J
    Jana

    Mich würde in diesem Zusammenhang schon interessieren, welche fachspezifische Ausbildung sogenannte "Wirtschaftsjournalisten" denn nun eigentlich haben müssen. Lediglich lesen und schreiben zu können und das kleine Einmaleins gelernt zu haben, dürften hier wohl nicht ausreichen. Oder etwa doch?

  • J
    Jana

    Mich würde in diesem Zusammenhang schon interessieren, welche fachspezifische Ausbildung sogenannte "Wirtschaftsjournalisten" denn nun eigentlich haben müssen. Lediglich lesen und schreiben zu können und das kleine Einmaleins gelernt zu haben, dürften hier wohl nicht ausreichen! Oder etwa doch?