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Wirtschaft und Armut wachsenWas die AfD wieder schwächt

Der Wohlfahrtsverband hat sein Jahresgutachten zur Ungleichheit vorgestellt. Darin stehen Lösungsvorschläge gegen Rechtspopulismus.

Ein Kuschel-Inn. So klappt's auch mit gesellschaftlichem Zusammenhalt. Nicht im Bild: die AfD Foto: dpa

Berlin taz | „Das fing in den Achtzigern an. Mit dem Sticker auf der Porsche-Stoßstange, auf dem stand: Eure Armut kotzt mich an!“ Das sagt Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands. Er redet über die jüngsten Erfolge der rechtspopulistischen AfD und den sozialen Zusammenhalt. „Und es findet heute seine Fortsetzung in SUV-Fahrern in der Großstadt. Sie kündigen aus ökologischer Sicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf.“ Moment mal. Was bitte?

Am Dienstag stellte der Paritätische Wohlfahrtsverband in Berlin sein Jahresgutachten zur sozialen Lage in Deutschland vor. Unter anderem kommen die Autoren zu dem Schluss: Erst die soziale Lage befördert extremistische Positionen und den Erfolg rechtspopulistischer Parteien.

Ihr Befund: Trotz der prosperierenden Wirtschaft in Deutschland gibt es nicht weniger Armut. Ihre Forderungen: die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut, die Anhebung der Grundsicherung, die schnellere Integration Geflüchteter.

Laut den Gutachtern hat erst die neoliberale Wende in der Sozial- und Wirtschaftspolitik dafür gesorgt, dass sich vermeintlich marktlogische Schlussfolgerungen heute auch auf Menschen projizieren lassen. Sozialwissenschaftliche Studien nennen das „marktförmigen Extremismus“.

Hilfsbereitschaft als Gegenmodell

Rosenbrock sagt: „Je ungerechter die Gesellschaft ist und je ungerechter die Chancen verteilt sind, desto größer ist die Bereitschaft, gesamte Bevölkerungsgruppen abzulehnen.“ Das gelte nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für Langzeitarbeitslose.

Gepaart mit Abstiegsangst führe das zu den Erfolgen rechter Parteien. Grundlage für die Ablehnung von Geflüchteten und unsolidarische Haltungen sind laut Gutachten nicht die Anzahl der Flüchtlinge oder konkrete Erfahrungen, sondern die weit verbreitete Haltung, Menschen gemäß einer Kosten-Nutzen-Rechnung zu beurteilen.

Diese Entwicklung sehen die Autoren als umkehrbar an. „Nur nimmt die Bundesregierung die Bemühungen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht ernst“, sagt Rosenbrock. Der Ausbau der Sozialsysteme könne das Problem schmälern.

Ebenso sei es wichtig, dass der Staat konkrete Selbstorganisation und Hilfsbereitschaft aktiv unterstützt, etwa in der Flüchtlingshilfe. „Denn das“, so Rosenbrock, „ist das gelebte Gegenmodell zum Utilitarismus.“

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4 Kommentare

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  • Ich nehme mal an, dass es unter Schwarz/Gelb oder Schwarz/Grün besser wird.

     

    :)

  • UNSER STAAT muss endlich UNgleichheit und Diskriminierung aktiv und konsequent bekämpfen! Es befremdet mich etwas, wenn der Eindruck erweckt wird, wechselseitige Hilfe würde das Problem der – faktisch unerträglichen – UNgleichheit ertragen helfen, oder gar zu deren Beseitigung beitragen können. Denn „wechselseitige Hilfe“ kompensiert doch allenfalls 1/1000stel dessen, was sich das Kapital in gleicher Zeit schamlos einstreicht.

    Fakt ist doch, dass unser Staat AKTIV die Bereicherung durch das KAPITAL unterstützt und gleichzeitig die Arbeitnehmer massiv ausnutzt! Ein Beispiel: „Cum-Ex-Geschäfte“. Die Regierung wurde auf diesen (int-/national wie in großem Stiele begangenen) Missbrauch wiederholt hingewiesen. Dennoch hat sie diesen Raubbau mehr als ZEHN JAHRE TATENLOS geschehen lassen, weshalb sich das KAPITAL in dieser Zeit um MEHR ALS 8,5 Mrd€ bereichern konnte. In der gleichen Zeit trat und tritt die SPD, angeführt von Fr. Nahles, dafür ein, dass Hartz-IV-Empfänger deutlich härter angefasst werden sollen; zu viel Erhaltenes soll 4 Jahre zurückgefordert werden können; zu wenig Erhaltenes aber nur noch 1 Jahr lang eingefordert werden können.

    Es muss doch bitte jedem einleuchten, dass dieses Missverhältnis und diese Ungleichbehandlung unerträglich ist. Doch statt dass unsere Regierung endlich die PRIVATE Vermögensteuer (wieder) einführt, und die Erbschaftsteuer entsprechend reformiert, geschieht nur eins: KEINE private Vermögensteuer! Und in der Erbschaftsteuer wird sichergestellt, dass das Kapital, welches sein Vermögen geschickt im Unternehmen versteckt hat, und sich daraus monatlich schamlos bedient, 125 Millionen EURO vererben kann, OHNE dass davon die Erben auch nur 1 € versteuern müssen!!!

    Es wird Zeit, dass D! endlich aufsteht, es den Franzosen gleichtut, und sich endlich gegen diese KAPITAL-Politik der Regierung lautstark demonstrierend zur Wehr setzt, im Interesse und zum Schutz unserer Demokratie und freien UND SOZIALEN Marktwirtschaft, und gegen die AfD!

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Ich frage mich gerade, welche Partei gegen den rücksichtslosen und unsolidarischen Neoliberalismus/Wirtschaftsliberalismus vorgehen soll?

    CDU/CSU - bestimmt nicht, dann wird das Merkel nicht mehr von Friede Springer zum Kaffeekränzchen eingeladen.

    FDP – die Rosinenpicker Partei überhaupt, wenn sich die FDP wenigstens noch auf den Ordoliberalismus von Walter Eucken verständigen könnte, wäre noch etwas zu retten mit einer hohen Besteuerung der leistungslosen Einkommen (Erbschaften), aber so bleibt die Partei unsolidarisch, asozial und spätrömisch dekadent.

    SPD - wohl auch nicht so richtig – Agenda 2010 hat doch auch viel Gutes bewirkt und wir bessern doch schon nach, okay, Verschlimmbesserung bringst auch nicht so richtig - mimimimimi

    Grüne - oh je, nur nicht die Besserverdienen besteuern, dann laufen uns die Wähler weg, lasst uns erneut übers Essen reden, wie auf unserem letzten Parteitag.

    Linke - Mit 8% wird das nichts und wenn überhaupt, ist kein Koalitionspartner vorhanden, der auch auf Solidarität setzt und diese Solidarität auch von den Vermögenden abverlangt.

    AfD und NPD – Solidarität, nur mit blonden weißen Frauen und Männern, die dem völkischen Ideal von Björn Höcke entsprechen. Alle Anderen und zwar Muslime, Homosexuelle, Migranten, Flüchtlinge, Asylanten, Behinderte usw. sind zu diffamieren, diskriminieren, drangsalieren und zu internieren.

    Bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht bald Verhältnisse wie in Frankreich haben, wo die FN mit den angestrebten Arbeitsmarktreformen der Sozialisten momentan auf 50% plus zusteuert. Eine Bundeskanzlerin Petry oder von Storch muss nicht sein.

    Amen

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Diese Entwicklung sehen die Autoren als umkehrbar an."

     

    Theoretisch. In der Praxis wird schon ein temporärer Status Quo von den Apologeten des korrumpierten Neoliberalismus als Rückschritt gesehen und entsprechend marktschreierisch medial beklagt.