„Wir ziehen das jetzt durch“

Björn Radl betreibt das „Kuss Rosa“ in der Neustadt. Das Geld ist knapp, die Mitarbeiter sind entlassen. Aber die Unterstützung aus dem Stadtteil spornt ihn an weiterzumachen

Jetzt sitzen die Gäste eben zu Hause und essen seine Gerichte: Björn Radl in seinem Restaurant „Kuss Rosa“ Foto: Cathrin Eisenstein

Interview Franziska Betz

taz: Herr Radl, wie kommen Sie durch die Krise?

Björn Radl: Den Umständen entsprechend so weit ganz gut. Wir haben unser Außer-Haus-Angebot und sind froh, dass wir als Restaurant überhaupt was machen können. Das ist ein großer Unterschied zu reinen Kneipen und Kulturstätten. Die haben viel online gemacht, aber das ist eben kein Ersatz. Und wir sind in einer sehr dankbaren Situation, weil wir vom Kiez im Buntentorsteinweg gut aufgefangen werden. Meine These ist: Kleinere Netzwerke sind ­resilienter und haben eine gewisse Krisenresistenz. Im Kleinen kann man einfach auch schneller kreativ reagieren als die großen Unternehmen.

Wer ist ihr Netzwerk?

Das fängt bei den Gästen an, die sich Essen rausholen. Die Weinhändlerin hier in der Straße macht in Eigeninitiative Weinempfehlungen passend zu unserer wechselnden Außer-Haus-Karte. Und die Buchhandlung „Buntentor“ hat einmal die kompletten Tageseinnahmen gespendet. Der Vermieter ist uns auch entgegengekommen. Es ist schön zu merken, dass man als Teil der Nachbarschaft angenommen wurde. Da weißt du, dass du was richtig gemacht hast in den letzten Jahren. Natürlich ist das alles auch fragil und endlich.

Staatliche Unterstützung haben Sie nicht bekommen?

Doch, wir haben inzwischen die staatlichen November- und Dezemberhilfen erhalten. Für diese Förderung sind wir sehr dankbar. Wenn das Geld ohne Verspätung gekommen wäre, wäre das natürlich noch viel besser gewesen.

Das klingt so, als laufe alles ganz gut?

Das war es nicht immer. Unsere große Krise hatten wir im Mai. Da sah es auch mental ganz schön düster aus. Wir haben dann eine Grundsatzentscheidung getroffen. Und zwar, dass wir das auf Gedeih und Verderb durchziehen werden. Da hängen ja auch Existenzen und Lebensentwürfe dran. Diese frühe Entscheidung hat für uns den Druck rausgenommen. Solange noch ein Groschen auf dem Konto ist, lassen wir den Laden auf, und wenn nicht, müssen wir halt zumachen. Man wacht sonst jeden Tag auf und denkt an einem Tag „Wir ziehen das durch“ und am anderen Tag „Wir geben auf“. Seitdem wir diese Entscheidung getroffen haben, müssen wir auch nicht mehr jeden Tag in die Medien schauen.

Wie kommt es, dass Sie keine Angst vor dem Ende haben?

Mir ist bewusst, dass andere das nicht so leicht sagen können: „Wenn es vorbei ist, dann ist es halt vorbei.“ Wenn man Kinder hat oder es um ein Familienunternehmen in fünfter Generation geht zum Beispiel. Oder wenn jemand wirklich depressiv und niedergeschlagen ist. Dann kann man so eine Kreativität auch schwer einfordern. Unser Weg ist keine Blaupause für andere. Jeder geht sehr individuell mit der Krise um. Und andere Betriebe warten auch immer noch auf ihre staatlichen Hilfen. Das ist dann eine andere Situation.

Was würde noch helfen?

Natürlich wäre eine längerfristige Planungssicherheit im Lockdown gut. Alle zwei Wochen neu nachdenken zu müssen, bindet viele Energien. Im Dezember war doch schon abzusehen, dass es im Januar nicht möglich sein würde, alles wieder zu öffnen. Und dann wird gesagt: „Jetzt muss alles noch länger zu bleiben.“ Meiner Meinung nach führt das zu einer Negativberichterstattung. Ich fände es sinnvoller, wenn längere Phasen angekündigt werden würden. Zum Beispiel bis Ende März und wenn es gut läuft, könnte man doch zwei Wochen früher öffnen. Das wäre viel positiver. Das ist doch einfachste Küchenpsychologie.

Letzten Sommer haben Sie eine Spendenaktion auf Betterplace gestartet. Diese Woche hat da jemand geschrieben „Haltet durch, Ihr seid systemrelevant!“.

Ja, solche Kommentare sind Gold wert! Da wurde ja auch gespendet, aber so ein Satz gibt einem auch das Gefühl, durchhalten zu wollen. Und die Gäste wissen ja auch nicht, wo sie hin sollen. Wir haben uns anfangs sehr schwer getan mit dem Spendenaufruf. Wir hatten Sorge, dass viele Spenden zusammenkommen – und wir dann trotzdem schließen müssen. Als wir ihn dann doch gestartet haben, wurde der von vielen Leuten unglaublich großzügig wahrgenommen. Aber auch der private Geldbeutel wird für viele gerade kleiner.

Was passiert, wenn Sie schließen müssen?

Das hängt von vielem ab. Einen anderen Job zu finden, ist in dieser Situation sicher schwierig. Wenn man schon einmal selbstständig war und das funktioniert hat, dann ist das mit der Lohnarbeit auch nicht so einfach. Ich arbeite beispielsweise gerade drei Tage die Woche auf dem Bau, um zwischendurch den Kopf freizukriegen. Und meine Geschäftspartnerin Julia sagt manchmal, zur Not arbeiten wir halt irgendwo an der Kasse. Das ist aber alles ein Gedankenspiel. Ich glaube, wir würden irgendwie auf die Füße fallen und improvisieren. Ob Gastro oder woanders. Das steht in den Sternen.

Klingt zuversichtlich.

Es geht ja aber auch nicht nur um uns zwei. Das Schwierigste in den letzten Monaten war, die Minijobber abzumelden. Das war furchtbar. Wir standen vor der Wahl, sechs Wochen die Gehälter weiter zu zahlen und dann den Laden zuzumachen oder weiter auf zu haben und dann sind die Jobs danach noch da. Viele unserer Mit­ar­bei­te­r*in­nen sind Studis und bei denen sind eventuell auch andere Einkommen weggebrochen. Da müssen dann einige zu den Eltern zurückziehen. Das ist ein extrem mieses Gefühl gewesen.

Was macht trotzdem Mut?

Dass wir nicht vergessen werden. Wenn man mal einen schlechten Tag hatte und dann kommen Abends die Gäste, um das Essen abzuholen, und man hört einen aufbauenden Satz, dann ist das sehr wichtig. Wenn es ums Existenzielle geht, dann ist es ein natürlicher Impuls, dass sich der Blick verengt, wenn es schwierig wird und man nur auf sich guckt. Aber man muss sich immer wieder kneifen und daran erinnern, dass das nicht gut ist.