: „Wir sind im Abstiegs-Trudel“
■ Wissenschaft und Bildung „managen“ / Willi Lemke, neuer SPD-Bildungs-Senator, sieht sich als Promotor der Bremer Schulen und Unis / vgl. Seite 21
Willi Lemke, 18 Jahre Manager bei Werder Bremen, ist im Juli zum Senator für Bildung avanciert. Nach einem „Crash-Kurs“ an Einarbeitung sprach die taz mit ihm über Bildungspolitik und über sein Selbstverständnis, wie er sein neues Amt ausübt.
taz: Bremen hat sich für die Wissenschaftspolitik viel mehr vorgenommen als für die Bildungspolitik. Eine Milliarde soll in die Forschungslandschaft investiert werden.
Willi Lemke: Die Bundesregierung legt einen klaren Schwerpunkt auf Wissenschaft und Forschung, und wir unterstützen das. Ich habe erst in den letzten Wochen verstanden, welch hohen Standard die Forschung in Bremen hat. Ich will Promotor dieser Nachricht sein. Da werden brilliante Leistungen erbracht – das ist zu wenig Bremern klar, und das müssen wir auch überregional viel bekannter machen. Diese wissenschaftlichen Leistungen müssen auch in der Wirtschaft breitere Resonanz finden, die Verzahnung kann noch besser werden.
Was motiviert Sie dabei?
Wenn ich irgendwo Geld liegen sehe, dann kann ich das kaum ertragen und muss mich bücken. Wenn ich sehe, dass Geld verschleudert wird, dann werde ich raschelig und haue auf den Tisch. Wir haben nicht soviel, dass wir das verschleudern könnten. Beim Marketing kann ich den Instituten der Uni helfen.
Müsste man nicht mehr machen als nur zu propagieren?
Eine inhaltliche Einmischung in die Probleme der Forschung wird es von Willi Lemke nicht geben. Ich will hier nicht als Oberzensor auftreten. Ich will eingreifen, wenn ein Kontakt-Bedarf da ist. Da sehe ich mich als Moderator. Ich habe jetzt nicht mehr die Materie Fußball, sondern ich habe die Materie Wissenschaft, Forschung und Schulen, dafür bin ich Manager. Da will ich mich einbringen. Den Wechsel habe ich relativ gut schon hingekriegt nach sieben Wochen.
Sie haben das Wort „Zensor“ verwendet. Eigentlich müssen Sie wie ein Zensor die Uni abklopfen auf den bornierten Nutzen für dieses kleine Bundesland Bremen. Die Wissenschaft interessiert sich aber nicht für die Landesgrenze.
Das finde ich auch richtig.
Aber Sie müssen qua Amt dafür sorgen, dass Geld als Investition in die Steuerkraft des Landes Bremen verbucht werden kann. Gibt es eine Rendite innerhalb der Landesgrenzen?
Ihr Ansatz wäre kleinkariert. Ich sehe das globaler, allerdings mit einem auf Bremen bezogenen Punkt. Bei allem, was wir in dem Bundesland Bremen machen, will ich besser sein als andere. Meine Fragestellung ist: Sind die Bremer Firmen über die Leistung der Bremer Universität informiert? Wie kriege ich die an einen Tisch. Ich sage denen: Guckt Euch diese Lasertechnik an und überlegt, ob Ihr das nicht in Eurer Praxis umsetzen könnt. Aber da gibt es zum Beispiel auch ein Institut wie das für marine Tropen-Ökologie von Prof. Hempel. Der kooperiert mit Ländern wie Jordanien, Israel, Brasilien. Davon haben wir auch keinen profit. Aber das ist unglaublich wichtig, dass wir da als deutsche Partner, als Bremer Partner, Botschaften überbringen. Dass wir uns um deren Probleme kümmern und sie erforschen, ohne dass wir davon kurzfristigen profit haben. Das hat übergeordnete, ich sage mal: hehre Ziele. Die finde ich absolut unterstützenswert. Da werde ich mir vielleicht einmal ein bisschen die einzelne Mark angucken, ob das alles gerechtfertigt ist, in welcher Form und welche Schwerpunkte ich da setzen will, aber ich stelle sie nicht grundsätzlich in Frage.
Können Sie mit Ihrem kaufmännischen Sachverstand das Geld, das sinnvollerweise in die Forschungslandschaft gesteckt wird, „Investition“ nennen?
Alles, was wir in Forschung investieren, ist eine Investition für unsere Zukunft.
Fallen die Geisteswissenschaften durch das Raster, weil die nichts verkaufen können?
Gerade im Bereich der Sozialwissenschaften haben wir hervorragende Ergebnisse. Das lässt sich sicherlich nicht in bare Münze umsetzen. Aber das gilt auch für andere Bereiche. Wenn wir in den Geisteswissenschaften Erfolge erzielen, dann hilft das der Gesellschaft, ihre Werte zu entwickeln.
Von den Schulen wird beklagt, dass die Behörde Leistungsbereitschaft der Lehrer nicht fördert.
So etwas darf nicht sein. Die Schule braucht einen verläßlichen Management-Apparat. Ich muß es hinkriegen, den Focus nicht auf die Vorschriften und die Gesetze zu lenken, sondern allein auf die Schülerinnen und Schüler. Das wird viel Kraft erfordern. Ich träume von einem ordentlichen Mittelfeldplatz für die Bremer Schulen. Momentan befinden wir uns im Abstiegs-Trudel, so empfinde ich das, wenn ich mir die verschiedenen Probleme vor Augen führe.
Es gibt strukturelle Leistungsbremsen. Ein Beispiel aus Ihrer beginnenden Amtszeit: Das Alte Gymnasium wollte einen Bil-dungsgang „Abitur nach 12 Jahren“ machen. Dafür hat es eine Arbeitsgruppe gegeben, ein Konzept. In den Koalitionsverhandlungen wurde beschlossen: Das Alte Gymnasium darf das nicht. Sondern das Kippenberg soll den Schulversuch machen.
Zu diesem konkreten Fall will ich mich jetzt nicht äußern. Wir wissen doch alle, dass die Ausbildung in Deutschland insgesamt zu lange dauert. Ich erfahre jeden Tag, was nicht geht, welche Fesseln wir uns angelegt haben, über das Personalvertretungsgesetz, über das Gleichstellungsgesetz, über Schulgesetze. Es gibt immer 27 Gründe, warum etwas nicht geht, aber es gibt drei Gründe, wie es vielleicht hinzukriegen wäre. Diese drei Vielleicht-Gründe interessieren mich. Ich sage: Haut ab, wenn ihr mir nur sagen wollt, dass etwas nicht geht.
Ich diskutiere mit Ihnen zum Beispiel nicht, warum es nicht geht, einen männlichen Grundschullehrer an die Schule Stader Straße zu bekommen. Im Einzugsbereich dieser Grundschule haben 30 Prozent der Kinder alleinerziehende Mütter. Wenn diese Kinder auch in den ersten Jahren in der Schule keinen Mann kennenlernen, wissen die gar nicht, wie das aussieht. Aber an der Stader Straße unterrichten 17 Lehrerinnen, nur ein Lehrer. Jetzt hatten wir eine freie Stelle. Ich verlange von meiner Behörde, sicherzustellen, dass zusätzliche männliche Lehrkräfte im Bereich der Grundschulen eingesetzt werden. Fragen: K.W./pipe
Anm. d. Red.: An der Grundschule Stader Straße wurde jetzt eine Lehrerin eingestellt.
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