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Mon Dieu MondialWir haben fertig!

■ Der Pfarrer tröstet, die Medienschaffenden jaulen und die Fußball-Laien nerven

Es mußte ja so kommen. Es war nicht nur Netzers schwarzer Anzug. Nachdem auch noch Pfarrer Hartmut Press aus dem schwäbischen Hallstadt angekündigt hatte, am Sonntag einen „Fußballgottesdienst“ in seiner Gemeinde zu zelebrieren, um nötigenfalls ein Stück „Trauerarbeit“ zu leisten, war die WM- Niederlage der Deutschen von allerhöchster Stelle programmiert und damit unvermeidbar. Wenn eine Nation nicht bis zum letzten Mann an den Sieg ihrer Mannschaft glaubt, kann sie auch nicht gewinnen. Er wolle, sagte Press den Reportern noch vor dem Kroatien-Spiel, am Sonntag morgen mit einem Mikrophon durch die Reihen der Kirchenbesucher gehen und mittels Befragung und offener Aussprache für eine gewisse emotionale Entlastung sorgen. Der Herr Pfarrer hat zudem einige Kirchenlieder fußballtauglich umgeschrieben, die am Sonntag mit neuem Text intoniert werden sollten. Die Lieder sind uns im einzelnen nicht bekannt. „Christian – denk daran – Gott hat dich liiiieb“ wäre eine gute Möglichkeit, um dem rotkartigen Manndecker Wörns Trost zu spenden. Angesichts eines 0:3 könnte aber auch die Adventsweise „Macht hoch die Tür, das Tor macht weit“ vorgezogen werden.

Derselbe Pfarrer Press bestritt übrigens hartnäckig die Existenz eines Fußballgottes. Sein provokanter Atheismus hat sich jetzt bitter gerächt. Eindrucksvoll hat sich der Herrscher über den grünen Rasen am Samstag abend zurückgemeldet. Weltlich gesprochen, ist der Fußballgott nichts anderes als eine Art Glücksverteilungsmaschine nach statistisch-arithmetischen Gesetzen. Wenn eine Mannschaft mehrere Spiele hintereinander viel Glück hatte und sich trotz miserabler Leistungen durchwurschtelte, ist die Chance, im nächsten Spiel wieder Massel zu haben, ganz erheblich gesunken. Je größer die Anzahl der Spiele, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß sich Fortune und Pech gleichmäßig verteilen. Im Unendlichen berühren sich schließlich die Glückslinien aller Mannschaften.

WM 1998: Wir haben also fertig. Und außer Berti Vogts und Jürgen Kohler gibt es weltweit niemanden, der das Aus unserer Mannschaft nicht gerecht finden würde. Was wir jetzt erleben, ist das übliche deutsche Drama nach einer Niederlage. Weltuntergangsstimmung, dummes Geschwätz, triefendes Pathos, Rücktritte. Und natürlich die Jeremiade über die vielen Ausländer in der Bundesliga, über die Jungen, die sich nicht mehr quälen wollen, über die schwer versauten Kids, die lieber inline-skaten und computern, anstatt auf dem Bolzplatz anständig gegen das Leder zu treten. Was die Kommentatoren so rasend macht, ist die im Hintergrund lauernde Erkenntnis, daß wir nicht mehr zu den großen Fußballnationen gehören. Holländer, Franzosen, Italiener, Engländer, die Brasilianer sowieso, sie alle waren nicht nur besser. Sie spielten in einer ganz anderen Liga. Das tut weh.

Wenn man in diesen turbulenten Tagen öfter mit Fußball- Laien vor der Glotze saß, bekam man nicht nur reizende Bonmots serviert (“Der Müller- Wohlfahrt sieht aus wie unser bolivianischer Praktikant“), sondern auch Fragen von existentieller Tiefe: „Warum dribbeln denn unsere nie?“ Und es gab keine guten Antworten: „Sie können's nicht“ oder: „Die, die es können, sind zu Hause geblieben.“ Und sofort schwirrten Namen wie Basler, Wosz und Scholl durch die Wohnzimmer. Fußball-Laien können tierisch nerven: „Wieso hat er die dann nicht mitgenommen?“ „Also jetzt laß uns doch endlich mal in Ruhe das Spiel angucken. Du und deine blöden Dribblings!“ Manfred Kriener

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