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„Wir haben es satt“-Kongress in BerlinWie sich die Bewegung verändert

Die Bewegung für eine neue Agrarpolitik braucht konkrete Forderungen, sagt Demo-Organisator Jochen Fritz. Und weniger Panikmache.

„Wir brauchen einen langen Atem“, sagt Jochen Fritz. „Aber die Energiewende hat ja auch 40 Jahre gebraucht“ Foto: dpa
Jost Maurin
Interview von Jost Maurin

taz: Herr Fritz, am Wochenende diskutiert die Bewegung für eine Agrarwende auf dem „Wir haben es satt“-Kongress in Berlin über ihre Strategie. Warum brauchen wir eine neue Landwirtschaftspolitik?

Jochen Fritz: In den letzten zehn Jahren haben über 100.000 Höfe aufgegeben. Und die Politik reagiert nicht. Jetzt fusionieren Bayer und Monsanto. Da sehen wir die Rechte der Bauern in Gefahr. Hier geht es um die Frage: Wer hat die Macht übers Saatgut?

Warum brauchen Umwelt und Tiere eine neue Agrarpolitik?

Legehennen werden routinemäßig die Schnäbel, Schweinen die Schwänze gekürzt. Immer mehr Pflanzen- und Tierarten sterben aus. Unsere Ernährung trägt massiv zum Klimawandel bei.

Was hat die Bewegung bisher erreicht?

Viele Ställe sind nicht gebaut worden. Es ist eine Riesenbewegung gegen Massentierhaltung entstanden. Das Baugesetzbuch wurde so geändert, dass es für gewerbliche Betriebe nicht mehr leicht ist, außerhalb von geschlossenen Ortschaften zu bauen. Die bienenschädliche Pestizidgruppe Neonicotinoide ist vorübergehend nicht mehr zugelassen. Auf jeden Fall haben wir ein Umdenken in der Gesellschaft angestoßen.

Was meinen Sie damit?

Vielen Leuten ist wieder wichtig, wo ihr Essen herkommt. Und es gibt eine Mehrheit für strengere Umwelt- und Tierschutzregeln in der Landwirtschaft. Auch das Höfesterben ist den Menschen nicht egal.

Die Politik hat sich doch kaum verändert. Die Tierschutzvorschriften etwa sind so lax wie eh und je.

Bild: privat
Im Interview: Jochen Fritz

Der 42-Jährige ist Leiter der Kampagne „Meine Landwirtschaft“, die seit 2011 jeden Januar in Berlin eine Großemonstration gegen die Agrarindustrie ­organisiert. Im Nebenerwerb bewirtschaftet der Agrar­ingenieur einen Biohof.

Ja, die Politik bewegt sich erschreckend langsam. Aber die Energiewende hat ja auch 40 Jahre gebraucht. Wir brauchen einen langen Atem.

Was muss die Bewegung anders machen, um mehr politische Veränderungen zu bewirken?

Daran wollen wir während des Kongresses arbeiten. Ich persönlich glaube: Wir müssen vom Satthaben zum Einmischen kommen. Wir müssen genauer in unseren Forderungen werden. Im Wahljahr 2017 sollten wir konkretere Gesetzesänderungen einfordern.

Zum Beispiel?

Dass man Pestizide und die Antibiotika in der Tierhaltung um mindestens 50 Prozent reduziert. Man müsste die Zahl der Tiere pro Hektar in besonders belasteten Regionen senken.

Sollte die Agrarbewegung mehr Allianzen jenseits des eigenen Dunstkreises schließen?

Absolut. Das haben wir zu manchen Themen, zum Beispiel zum Pestizidthema mit Wasserwerkern, zu Antibiotika mit Humanmedizinern. Doch das Bündnis müsste generell wachsen. Da sind auch die Gewerkschaften eingeladen. Wir sind schon in Kontakt.

Muss die Bewegung auf falsche Behauptungen und Übertreibungen verzichten, um weitere Unterstützerkreise zu erschließen?

Die inhaltliche Auseinandersetzung hat sich in den letzten Jahren verändert, und wir arbeiten daran weiter. Aber man kann sich nicht davon verabschieden, Dinge einfach darzustellen. Sonst erreichen wir die Menschen nicht. Und es ist nicht so simpel wie „Atomkraft nein danke“. „Agrarwende jetzt“ ist viel komplexer.

Von welchen Argumenten sollte sich die Bewegung verabschieden?

Es geht um Bilder, wie das Chlorhühnchen beim geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen EU und USA. Für mich ist das Chlorhühnchen ein Symbol für die industrialisierte Landwirtschaft, bei der man am Ende mit Chlor behandeln muss, weil das ganze System zu viele Keime erzeugt. Aber: Es wird niemand umfallen, wenn man ein Chlorhühnchen isst. Das sind Bilder, die man produziert hat, um ein Thema zu vermitteln. Da haben wir gelernt, dass wir sprachlich etwas verändern müssen. Und das haben wir in dem Punkt auch getan.

Viele Agraraktivisten behaupten auch, dass der EU-Handelsvertrag mit Kanada (Ceta) der deutschen Landwirtschaft schade. Stimmt das?

Ceta schadet erst mal den kanadischen Milchbauern. Die haben nämlich einen Milchpreis, von dem sie existieren können. Wenn jetzt Europa mehr Käse dahin liefern kann, dann wird da drüben ein Preisdruck entstehen.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Ceta den europäischen Milchbauern nützt, weil sie neue Exportkontingente bekommen, oder?

Wir müssen von dieser Exportorientierung runter. Was haben wir gewonnen, wenn dafür Berufskollegen in Kanada aufgeben müssen?

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5 Kommentare

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  • "Wir haben es satt" nimmt viel zu sehr Rücksicht auf Partikularinteressen - insbesondere landwirtschaftliche Betriebe, die sich auf bestimmte Produkte festgelegt haben. Da wird dann nicht mehr danach gefragt, was z.B. Tierhaltung auf kleineren Betrieben für Umwelt und Tierschutz tatsächlich bedeutet. Die gesellschaftliche Diskussion wird dieses gesellschaftliche Bündnis bald überholt haben. Immer Menschen wird klar, dass Tierproduktion extrem umweltschädlich ist und immer mit Tierquälerei verbunden ist, selbst wenn die Höfe von der Größe her überschaubar sind. Die Tierproduktion schadet dem Klima und den Böden und wird irgendwann die globale Ernährungssicherheit gefährden.

     

    Die Romantisierung der kleinen Agrarbetriebe bei "wir haben es satt" ist keine Antwort auf diese Probleme.

     

    Wie der Volksentscheid in Brandenburg weckt auch "wir haben es satt" bei den Menschen Hoffnungen auf einer grundlegenden Agrarwende, die dann aber von den politischen Funktionären enttäuscht werden.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Es gibt da in der Bevölkerung eine ziemliche Doppelzüngigkeit. Ich kenne eigentlich niemanden der sagt Massentierhaltung sei eine gute Sache. Dennoch gibt es unter diesen Menschen viele welche diese Produkte kaufen und konsumieren. Das gilt für Fleisch und noch mehr für Eier. Gäbe es diese Nachfrage nicht hätten wir das Problem nicht.

     

    Natürlich gibt es Menschen die sich das anders nicht leisten können und ich habe Verständnis dafür das man als Harz4 Empfänger nicht gezwungenermaßen zum Vegetarier werden möchte, wenn man Fleisch eigentlich mag. Es gibt aber auch viele Menschen die anders könnten,sich aber lieber einen extra Urlaub gönnen anstatt sich ordentlich zu ernähren. Entsprechend sehe ich die Verantwortung da vor allem auf Seite der Konsumenten.

     

    Das viele Bauernhöfe pleite gehen ist eine gute Sache! Die Landwirtschaft ist durchsetzt von der asozialen Erwartungshaltung subventioniert zu werden bis sich das Geschäft lohnt. Das kann so nicht weiter gehen. Da werden endlos Steuergelder verschwendet ohne einen zeitgemäßen Nutzen.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      Dass viele (vor allem kleinere!) Bauernhöfe pleite gehen, ist doch keine Lösung für das Subventionsproblem. Das glauben Sie doch selbst nicht! Da müssten ganz andere Dinge passieren. Außerdem handeln wir uns mit der zunehmenden Oligo- oder (regional) sogar Monopolisierung der Landwirtschaft noch ganz andere Probleme ein. Das einzige, was ich aus Ihrer Häme lesen kann, ist ein Moralempfinden, demgemäß die böse/abkassierende/entartete/"asoziale" Landwirtschaft endlich auch mal einstecken soll. Also moralisierendes Zähnefletschen statt lösungsorientiertes Erörtern.

       

      Ansonsten sprechen Sie mit dem Problem der Mind-Behaviour-Gap eines der (auch meiner Einschätzung nach) zentralen Problem auf Nachfrageseite an. Das heißt aber nicht, dass es keine Probleme auf Angebotsseite gibt. Dass eine der beiden Seiten viel schwerer wiegt als die andere, wäre erstmal zu beweisen.

      • 7G
        73176 (Profil gelöscht)
        @user21617:

        "Da müssten ganz andere Dinge passieren." Was denn??? Mal bitte ganz konkret!

        Weizen wird auf dem Weltmarkt gehandelt: Somit orientiert sich der Weizenpreis in Deutschland nach dem intern. Niveau! Ein kleiner Betrieb mit 50 ha Marktfrucht kann nun mal nicht mit einem 10 000 ha Betrieb mit halten (Bitte jetzt nicht mit dem Beispiel der ktg kommen - da gab es ganz andere Probleme!).

        Regionale Oligo- / Monopolstellung von Landwirten? Die Preise von Marktfrüchten werden an den Börsen gehandelt: Kein Landwirt kann da einen Preis diktieren. Diese Aussage ist also völlig absurd.

         

        Man kann Landwirten nicht ewig Subventionen bezahlen. Somit gibt es zwei Möglichkeiten: Man sagt den Kindern von kleinen Landwirten: Sucht euch einen anderen Job und macht eure Landwirtschaft im Nebenerwerb. Oder: Die nächste Generation übernimmt den ldw. Betrieb in der Hoffnung, die Subventionen werden weiterhin bezahlt. Und irgendwann entfallen diese und diese Generation hat nichts mehr: Keine Perspektiv in der Landwirtschaft und keinen Beruf (weil ldw. Ausbildung).

         

        Unabhängig zu Ihrem Kommentar: Oben im Bild stehen 2 18 Tonner - und dann demonstriert man gegen die "industrielle Landwirtschaft"? Ab wieviel ha fängt denn die "ind. Landwirtschaft" an?

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @user21617:

        Das viele kleine Betriebe dabei drauf gehen begrüße ich nicht im Besonderen. Aber ich habe etwas gegen Subventionen im Allgemeinen. Sie können ein legitimes Mittel der Politik sein. Im Bereich der Argrarwirtschaft ist das Ganze aber völlig außer Rand und Band geraten und wird durch eine Armee von Lobbyisten am Laufen gehalten.

         

        Die Angebotsseite ist komplett von den Abnehmern abhängig. Deshalb finde ich es recht naheliegend das man das Problem von dieser Seite lösen könnte, wenn man bereit wäre den Preis zu zahlen. Das Gleiche gilt für Öko-Strom und so weiter,... machen viele stumpf nicht.