Windkraft-Poker: Kohle bekommt Gegenwind
Bislang schien die Bürgerinitiative "Saubere Energie" gegen das geplante Kohlekraftwerk im emsländischen Dörpen wenig ausrichten zu können. Jetzt hat sie mächtige Unterstützung bekommen: Der Windrad-Produzent Enercon will eine Rotorproduktion errichten - wenn das Kohlekraftwerk nicht gebaut wird
Lange schien das Kohlekraftwerk im emsländischen Dörpen unvermeidlich: zu stark waren die Befürworter, zu schwach die Gegner. Doch seit Aloys Wobben, Chef des Windanlagenbauers Enercon, bei einem Vortragsabend in Sögel zweimal leicht vernuschelt "ja" sagte, hat sich der Wind gedreht. Seitdem steht im Emsland gute Energie gegen böse Energie, Windkraft gegen Kohle, 1.000 Arbeitsplätze gegen höchstens 200.
Man könnte das Emsland eine Idylle nennen, wenn man es vor lauter Maisfeldern sehen könnte. Ab und zu ergibt sich ein Blick auf die Ems, die sich sanft durch die Wiesen windet.
Wenn es nach dem schweizerischen Energieunternehmen Berner Kraftwerke AG (BKW) und der ENBW geht, dann wird aus dem Maiseinerlei mit Fluss in der Nähe von Dörpen bald ein Kohlekraftwerk aufragen. Ein richtig großes, mit 900 Megawatt Leistung. Seitdem die Planung im Herbst 2007 öffentlich wurde, protestiert die Bürgerinitiative "Saubere Energie" dagegen. Sie geht von einem jährlichen Kohlendioxidausstoß aus, der dem von 1,75 Millionen Autos entspricht.
Die Lokalmacht CDU ist für das Kohlekraftwerk. Ihr geht es um wirtschaftsfreundliche Politik. Deren Losung lautet: Wirtschaft braucht Energie. Dabei hat ausgerechnet Dörpens größter Arbeitgeber, die Papierfabrik Nordland, den Kraftwerks-Befürwortern ihre bisher schwerste Niederlage zugefügt. Die hatten auf Synergieeffekte gesetzt und argumentiert, Nordland könne die Abwärme gebrauchen und solle sich beteiligen. Als Nordland ablehnte, war die CDU blamiert. Bürgermeister Hermann Wacker musste zurücktreten, weil er den Bau des Kraftwerks von Nordlands Beteiligung abhängig gemacht hatte - und nach der Absage trotzdem weiterhin dafür war.
Selbstherrlichkeit werfen Kritiker der CDU vor, aber die hat leichtes Spiel: Ihre Wahlergebnisse liegen selten unter 70 Prozent. Dagegen ist jeder Zwerg - bis zu jenem Abend in Sögel, als Aloys Wobben zweimal "ja" nuschelte. Wobbens Firma Enercon, beheimatet im ostfriesischen Aurich, ist ein Riese in der Branche. Im November 2008 hatte das Unternehmen angekündigt, in Haren - 20 Kilometer emsaufwärts von Dörpen - ein Rotorenwerk mit bis zu 1.000 Arbeitsplätzen zu bauen. "Per Handschlag", berichtete die örtliche Presse, hätten Wobben und Harens Bürgermeister Markus Honnigfort "im Beisein von Landrat Hermann Bröring den Vertrag besiegelt". Ein Coup - und Wobbens Rückkehr in die Heimat. Die hatte er einst verlassen, weil man ihn für einen Spinner hielt, als er mit Windmühlen zur Stromerzeugung experimentierte.
Sögel also, 23. Juli 2009, der Saal im Clemenswerther Hof. Die Bürgerinitiative hatte zu einem Vortragsabend geladen, bei dem auch Wobben sprechen sollte. Seine Worte - vom NDR aufgezeichnet - sind entscheidend. Der Grünen-Politiker Nikolaus Schütte zur Wick fragte ihn, ob das Kohlekraftwerk Auswirkungen auf den Bau des Rotorenwerks in Haren habe. Darauf Wobben: "Ja, ich bin ja ein ganz einfach strukturierter Mensch und dann sagt das Gehirn: Moment mal: Sollte ich denn das da bauen?"
Schütte zur Wick fragte nach: "Also sie würden dann auf das Projekt verzichten, wenn das Kohlekraftwerk kommt, verstehe ich das richtig?"
Darauf Wobben: "Ja, ja." Was im tosenden Jubel fast unterging. Seitdem steht Windkraft gegen Kohle. Die CDU hat ein Problem, die Bürgerinitiative verspürt Rückenwind.
Landrat Hermann Bröring (CDU) regiert das Emsland seit bald 20 Jahren. Wobbens Aussage entnahm er der Zeitung und reagierte, wie es die Emsländer selten bei ihm erleben: nicht aufbrausend, sondern fast staatsmännisch gelassen. Die Äußerung Wobbens sah er "der speziellen Atmosphäre im Saal" in Sögel geschuldet. Wie Harens Bürgermeister Honnigfort will Bröring mit Wobben direkt sprechen, bis dahin sagt er nichts mehr dazu.
Der Sprecher der Bürgerinitiative, Jan Deters-Meissner, wirft dem Landrat vor, er werfe "Nebelkerzen". Wenn die Emsländer auf Bröring nicht reinfielen, könnten sie ihr Ziel erreichen, sagt er und hofft, "dass die Leute entlang der Ems sehen, dass 1.000 Arbeitsplätze mehr sind als 70". Mehr, glaubt er, gibt es im Kraftwerk nicht.
Deters-Meissner ist schon als Eisbär verkleidet durch Dörpen gelaufen, um auf die schmelzenden Polkappen aufmerksam zu machen. In den 1970ern hat er eine Bürgerinitiative gegründet, als unter dem Dorf ein Salzstock zur Atommüllkippe werden sollte. "Wir haben es geschafft, den Protest die ganze Zeit aufrecht zu erhalten", sagt er.
Die Bürgerinitiative wirbt für eine Bürgerbefragung. "Für den Gemeinderat wäre es die beste Lösung", sagt Deters-Meissner. "Die haben sich vergaloppiert, so kämen sie da sauber wieder raus." Genug Unterschriften für eine Befragung hätten sie, aber der Stadtrat lehnt ab: nicht vorgesehen in der Planungsphase eines so wichtigen Projekts. Dass selbst die Pastoralkonferenz des katholischen Dekanats die Kraftwerksgegner unterstützt - wenn auch "durch die Blume", wie Deters-Meissner sagt, "mit Verweis auf die Bewahrung der Schöpfung" - zeigt ihm, dass die CDU ihre Basis verloren hat: "Sie wird als arrogantes Machtkartell empfunden."
Solche Vorwürfe prallen an Andreas Hövelmann ab. Er ist stellvertretender Gemeindedirektor von Dörpen, die größte Sorge der Bürgerinitiative teilt er nicht. "Die saubere Luft wird bleiben, eine Gesundheitsgefahr geht von dem Kraftwerk nicht aus", sagt er. Die Betreiber hätten ihnen zugesichert, dass der Schadstoffausstoß "weit unter den Grenzwerten liegen wird". Hövelmann zeigt auf eine Karte: Das Kraftwerk soll hinter dem Industriegebiet liegen, nordöstlich von Dörpen. "Da ist sonst nichts, und der Wind weht aus Südwesten", niemand wird etwas merken vom Kraftwerk.
Sie hätten sich kundig gemacht, nachdem der Investor vor zwei Jahren an sie heran getreten sei. Wie ein Kohlekraftwerk funktioniert, wusste bis da hin im Dörpener Rat niemand. Also fuhren sie nach Lünen und Bergkamen, da stehen welche. In Bergkamen "waren die Häuser nicht schmuddelig", sagt Hövelmann. Sie sahen einen Öko-Hof im Schatten der Schlote und einen Sportboothafen - ein Kohlekraftwerk müsse also auch dem Tourismus nicht abträglich sein. Ein Ratsmitglied habe besonders genau hingeschaut und gesagt: "Die Autos können sie geputzt haben, die Straßen gefegt, aber die Brennnesseln werden sie nicht sauber gemacht haben." "Und", sagt Hövelmann, "die waren auch sauber."
Die Geschichte endet vorläufig an einem Maisfeld. An dessen Rand steht ein Mann mit orangefarbener Arbeiterweste. Er blickt durch ein Vermessungsgerät. Was misst er? "Hier soll ein Kraftwerk gebaut werden", sagt er, "RWE hat hier einige Stromleitungen, die müssen unterirdisch verlegt werden, damit es Platz hat." So weit ist es also schon.
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