Wimbledon-Sieger Carlos Alcaraz: Grandiose Mischung
Carlos Alcaraz bezwingt in einem epischen Wimbledon-Finale Novak Đoković. Dem 20-Jährigen gehört die Zukunft. Er vereint das Beste der Besten.
Da saß Novak Đoković jetzt im großen „Media Theatre“ gegenüber vom Centre Court. Es war früh am Abend an diesem Sonntag in Wimbledon. Der Serbe hatte gerade das Endspiel beim Rasenklassiker im All England Club gegen Carlos Alcaraz verloren. Über vier Stunden hatten sich die beiden einen dramatischen Kampf geliefert. Am Ende gewann der Spanier mit 1:6, 7:6 (8:6), 6:1, 3:6, 6:4.
Novak Đoković hatte die letzten zehn Jahre auf dem Centre Court von Wimbledon kein einziges Match mehr verloren. Er hatte die letzten vier Ausgaben des Turniers gewonnen. Alle rechneten damit, dass der beste Rasenspieler der letzten Dekade hier und heute seinen 24. Grand-Slam-Titel feiern würde.
Aber daraus wurde nichts. Er hatte in Alcaraz seinen Meister gefunden. Đoković hasst Niederlagen. Aber er blieb erstaunlicherweise in der Stunde einer seiner schwersten Niederlagen gelassen. Er lobte den jungen Spanier in den höchsten Tönen. Er, Đoković, habe noch nie gegen so einen Spieler gespielt. Er meinte damit, dass er es normalerweise mit anderen Kalibern auf dem Court zu tun hat. Alcaraz aber ist: besonders.
Der 20-Jährige aus Murcia hat vor allem im fünften und entscheidenen Satz dieses epischen Spiels sein ganzen Können demonstriert. Vor ein paar Wochen im Halbfinale der French Open war er noch an Đoković gescheitert. Er wurde von Krämpfen geschüttelt. Und Alcaraz war auch mental der großen Herausforderung, dem Altmeister in einem großen Spiel die Stirn zu bieten, noch nicht gewachsen.
Ein extremer Athlet
Dieses Mal war alles anders. Der zweifache Major-Sieger spielte genau im richtigen Moment sein bestes Spiel. Unzählige mutige Angriffe ans Netz, das Einstreuen von ansatzlosen Stopp-Bällen, aufregende Vorhandpeitschen und ein Kick-Aufschlag, der Đoković immer wieder weit nach draußen trieb – das waren die Zutaten für ein Spiel, das man getrost als atemberaubend bezeichnen konnte. Alcaraz ist ein extremer Athlet. Das kommt noch hinzu. Đoković sagte hinterher, dass sein Gegner jeweils das Beste aus drei Welten vereinen würde.
Die drei Welten, damit meinte er Roger Federer, Rafael Nadal und sich selbst. Die Big Three im Herren-Tennis haben eine Ära geprägt. Auch in Wimbledon, wo es seit 2003 neben den drei nur noch Andy Murray geschafft hatte, bis zu Alcaraz’ Triumph zu gewinnen. Nun ist diese Regentschaft vorbei. Und der Spanier, dieser kompletteste aller Tennisspieler, schickt sich an, für lange Zeit der neue König zu werden.
Über seine Einstellung zum Tennis sagte der junge Spanier selber einmal: „Tennis spielen soll niemals eine Pflicht sein.“ So sieht es bei Alcaraz auch nie aus. Dass bisher bei ihm keine weiteren Major-Titel dazugekommen sind, hat – und das ist sein einziger kleiner Malus – auch mit seinem anfälligen Körper zu tun. Die Australian Open Anfang der neunen Tennissaison verpasste er aufgrund einer Muskelverletzung.
Das ist fast schon ein gewohntes Bild bei ihm. Der extrem gut trainierte Spanier neigt zu Muskelverletzungen. Bedenkt man das immer noch sehr junge Alter des Ausnahmetalents, könnte dieser Fakt im Laufe einer langen Karriere zu einem Problem werden. Nadal, der einen ähnlich kräftigen Körperbau hat, hat bis heute immer wieder mit Muskelproblemen zu kämpfen.
Aber zurück zu Đoković, der am Sonntag noch verriet, dass er sich auf die kommenden Duelle mit Alcaraz freuen würde. Wenn er sich da nicht mal täuscht. Der überehrgeizige Serbe mag zwar immer noch aussehen „wie ein 22-Jähriger“ (Zitat Alexander Zverev), aber die 37 Lebensjahre sind nicht wegzuleugnen. Die ewige Jugend hat auch Đoković, der in Wimbledon eigentlich seinen achten Titel feiern wollte, nicht gepachtet.
Zwei gute Jahre könnte er noch haben, und in dieser Zeit kommen vielleicht sogar noch ein paar große Titel dazu. Aber die Zukunft gehört Alcaraz. Und die Gegenwart auch. Sein Spiel ist moderner. Alcaraz bewegt sich deutlich geschmeidiger und hat mittlerweile auch das Defensivspiel, das ihn an die Linien und in die Ecken führt, für sich entdeckt. Schon sein erster Trainer, Carlos Santos, verglich ihn einst mit Tarzan: „Weil er sich auf dem Platz so zu Hause fühlt wie Tarzan im Urwald.“ Tarzan ist jetzt Wimbledon-Sieger.
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