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Will so bleiben, wie ich bin

■ Die Schüler des Schulzentrums Lange Reihe wollen die individuelle Wahlfreiheit in der Oberstufe verteidigen / „Aktionstag“ soll erst der Anfang ihrer Proteste sein

„Krieg' ich hier eine Entschuldigung? Für meinen Lehrer.“ Sarah Behrendt von der Schülervertretung an der Langen Reihe hatte anderes zu tun an diesem Tag. Aber gefreut hat sie sich schon, dass auch SchülerInnen von anderen Gymnasien den Weg in die voll gepackte Aula gefunden hatten: Auch in der Hamburger Straße, im Rübekamp und im Kippenberg-Gymnasiun werden in den nächsten Tagen die Unterschriftenlisten aus der Langen Reihe kursieren. Damit wollen die SchülerInnen beim Bildungssenator gegen Pläne protestieren, mit dem Modell eines „Profilsystems“ die Möglichkeiten der Kurswahl drastisch einzuschränken (taz-bremen berichtete).

„Meine Leistungskurse Sport und Mathe könnte ich dann gar nicht mehr kombinieren“, sagte Sven Gätje aus dem elften Jahrgang in der Langen Reihe. „Mich betrifft das ja nicht mehr, aber meine Schwester zum Beispiel.“ Gestern hörte er zum ersten Mal von den Plänen. Er brauchte allerdings keine „Entschuldigung“: Der Unterricht war nur in den ersten beiden Stunden Pflicht, danach stand ein „Informations- und Aktionstag“ auf dem Programm. Die Schulleitung hatte zugestimmt, „wenn ihr ein Konzept habt.“ Und das hatte die Schülervertretung: Erst zwei Stunden große Diskussion mit geladenen Gästen, danach Arbeitsgruppen über Themen wie „Schülerwiderstand“, „Geschichte der Oberstufe“ oder das „zwölf-Jahre-Abitur“.

Die eingeladenen PolitikerInnen mussten sich jedenfalls hartnäckige Nachfragen gefallen lassen. Am einfachsten machte es sich Thomas Ehmke, für die SPD neu in der Bürgerschaft: Noch ganz in seiner alten Rolle als Juso-Vorsitzender sagte er, die Jusos seien gegen die Profiloberstufe und würden die SPD „auffordern“, von den Plänen Abstand zu nehmen. Schwerer tat sich Carola Jamnig-Stellmach (CDU): Erst war sie auch gegen die Profiloberstufe, im Lauf der Debatte aber nur noch, „wenn dadurch die bereits herausgebildeten Schulprofile gefährdet werden“. Und auf die Frage, was für ihren Sohn das Beste sei, antwortete sie unter allgemeinem Gelächter: „Der ist erst in der achten Klasse“. „Chamäleon“, musste sich die Parlamentarierin nennen lassen. Einzig der grüne Bildungspolitiker Dieter Mützelburg konnte Applaus einheimsen: Er sagte der Gesamtschülervertretung ständigen Informationsaustausch und logistische Unterstützung im Kampf gegen die Profiloberstufe zu.

Enttäuscht waren die SchülerInnen indes vom Zentral-Elternbeirat: Während ihre Lehrer ihnen argumentativ zur Seite standen, nahmen die Elternvertreter ihre Plätze auf dem Podium gar nicht erst ein und verweigerten auch auf wiederholtes Nachfragen eine Stellungnahme. „Dabei geht ohne die Unterstützung der Eltern im Schulbereich erfahrungsgemäß nichts“, weiß Sarah Behrendt.

Für sie wäre die Umsetzung des Profil-Konzepts ein Katastrophe. Die folgenden Schülergenerationen hätten dann nicht mehr die Möglichkeit, ihre Kurse relativ frei zu kombinieren. Sie müssten sich für einen Schwerpunkt entscheiden – sprachlich, gesellschaftswissenschaftlich oder mathematisch-naturwissenschaftlich – durch den das Gros der Kurse vorbestimmt wird. „Das geht zu Lasten der individuellen Interessen“, sagt Behrendt. „Die SchülerInnen werden in Schubladen gesteckt.“

Hinter dem Konzept vermutet die Schülervertretung den Rotstift: Durch die Bündelung kämen kleine Kurse nicht mehr zustande. Die geplanten Kurse mit einer Sollstärke von mindestens 23 SchülerInnen wären kostengünstiger. Außerdem, so die SV in der Langen Reihe, sollten durch die Bündelung naturwissenschaftliche Fächer durch bessere Ausstattung attraktiver gemacht werden. Das diene jedoch nur den Interessen der Wirtschaft und nicht jenen der SchülerInnen.

Einen Ausblick in die schöne neue Schulprofil-Welt gab das selbst geschriebene Theaterstück zum Ende des Aktionstages. In einer imaginären Talkshow wurden Für und Wider des Konzepts diskutiert: „Man kann doch zu einer Schule wechseln, die die Wunsch-Leistungskurse und nicht ganz so ungünstige Grundkurse anbietet“, schlug ein Gast vor. Antwort: „Ich will aber nicht um fünf Uhr aufstehen, weil irgendeine Schule am Arsch der Welt das richtige Profil anbietet.“ Jan Kahlcke

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