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Will der Kanzler noch das Klima retten?Lieber mit der Wahrheit streiten

Zerbricht die Gesellschaft an der Klimapolitik? Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt debattiert in Berlin mit Hedwig Richter und Bernd Ulrich.

Streiten ums Klima: Moderator Jonas Schaible, Wolfgang Schmidt, Hedwig Richter, Bernd Ulrich (v.l.n.r.) Foto: Sebastian Dudey

Berlin taz | Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die interessanten. Mit diesem Satz erklärte Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, warum er an diesem Abend in die Berliner Urania gekommen war, und droppte damit auch gleich mal popkulturelle Kompetenz (das ist der Titel eines Albums der Hamburger Band Die Sterne) und Lokalpatriotismus (er kommt aus Hamburg).

Schmidt, 53, ist der Stratege hinter Olaf Scholz, und es ist kaum übertrieben, dass er den als hoffnungslos geltenden Kandidatenfall ins Kanzleramt geführt hat. Die „interessanten Gedanken“ beziehen sich auf ein viel diskutiertes Buch seiner Gesprächspartner, der Historikerin Hedwig Richter und des Zeit-Journalisten Bernd Ulrich mit dem Titel „Demokratie und Revolution“, in dem eine Grundfrage der Gegenwart analysiert wird: Die klimabedingten Katastrophen in der Welt und der Bundesrepublik nehmen sichtbar zu, und gleichzeitig hat Klimapolitik an Akzeptanz verloren und ist in Europa auf dem Rückzug – wie passt das zusammen und wie kann man das ändern?

Die Kernthese von Richter und Ulrich lautet, dass die bundesdeutsche Politik und speziell Kanzler Olaf Scholz gescheitert sind mit der Strategie der „Zumutungslosigkeit“, also dass man uns Leuten stets gesagt habe, es werde alles technologisch geregelt und man werde von dem Zeitenbruch nicht im Allergeringsten persönlich behelligt.

Der Ärger, die Wut, der Zulauf für die rechtspopulistischen Parteien entstehe dadurch, dass dieses Versprechen durch die neue Realität der Pandemien, Kriege, Katastrophen gegendargestellt werde. Ansatzweise auch durch das ikonische Gebäudeenergiegesetz, sodass nun jeder Eigenbeitrag als vollkommen asozial und freiheitsberaubend abgelehnt werde, weil nicht offen ausgesprochen oder gar abgemacht gewesen sei. Sobald Teile der Mediengesellschaft „unzumutbar“ rufen und ihr Recht auf „Normalität“ einklagen, ist diese Politik am Ende und werden Gesetze wie das GEG wieder mit CO2-Emissionen aufgetankt.

„Resignativer Plebiszitismus“, nennen die Autoren das. Ihre These: Erst wenn man „die Wahrheit“ sage, also dass es Wohlstandsverluste geben wird, dass Alltags-, Konsum-, Ernährungs- und Denkgewohnheiten sich ändern, habe man eine Chance, den Bann einer illusionistischen Realpolitik zu brechen, der die Leute kirre und demokratieskeptisch mache.

Nebenfolgen unseres Wohlstands

Nun ist das, was wir für „normal“ halten, also die ersten 70 Jahre der Bundesrepublik, wohl eine historische Ausnahme, in der vieles gut für uns lief, ohne dass wir uns der Grundlagen bewusst waren (US-amerikanische Weltordnung, chinesischer Markt, russisches Gas) und die Nebenfolgen nicht eingepreist haben (Ausbeutung von Planet, anderen Ländern, Zukunft).

Der Kernkonflikt wird jetzt präsentiert als: Weiter so oder anders? Wobei „weiter so“ Illusionismus ist angesichts der terrestrischen, geopolitischen und globalwirtschaftlichen Entwicklungen, aber Illusionismus ist leider eine kurzfristige Supergeschäftsgrundlage – und eben nicht nur für Rechtspopulisten. Und (fast) jeder Mensch ist in seiner Alltagsrealität konservativ.

Insofern hat Wolfgang Schmidt sicher einen Punkt, wenn er die Idee von Richter/Ulrich skeptisch sieht, Mittelschicht aufwärts solle ihr individuelles Leben ändern (das untere Drittel lebt sowieso schon emissionsarm): „Die Verzichtsrhetorik“ komme vielleicht beim Publikum der Urania gut an (kam sie auch), aber grundsätzlich glaube er, „dass die Zumutungsansprache nicht funktioniert“.

Auch wenn Schmidt – Anzug, keine Krawatte – an diesem Abend selbstverständlich auf seinem Sozialdemokratentum herumreitet und die parteistrategischen Ressentiments gegen klimakulturell entwickeltes Bürgertum zumindest anklingen lässt (Tenor: Schnösel aus dem renovierten Altbau), so muss man doch davon ausgehen, dass er echte Ahnung hat, wie Milieus drauf und auch dran sind, die gerade mal so über die Runden kommen.

Und eines scheint für ihn klar zu sein: Wenn man die Gesellschaft einigermaßen zusammenhalten will (und das will er), dann darf man auf keinen Fall jene „Triggerpunkte“ für Polarisierung drücken, die der Soziologe Steffen Mau identifiziert hat. Einer davon ist die Infragestellung der „Bratwurst-Normalität“ (Hedwig Richter), denn da rasten Leute aus.

Will Scholz Klimapolitik machen?

Richter/Ulrich wollen das Individuum einbeziehen, Schmidt alles über die „strukturelle Frage“ entscheiden. Richter/Ulrich verweisen darauf, dass gerade der Demokratie die Möglichkeit zur radikalen und erst mal unpopulären Veränderung eingewoben sei – gerade auch innerhalb der Legislatur, in der eine Regierung gewählt ist.

Scholz, der Kanzler, will aber offenbar bis Legislaturende gar keine Klimapolitik mehr machen (das stimme nicht, sagt Schmidt) oder jedenfalls nichts, was nicht mehrheitsfähig sein könnte. Klimapolitik, das ist nicht gut, das sind die Grünen. Und beides muss verhindert werden, da haben Demokraten und Demokratiefeinde bisher die gleiche Wahlstrategie.

Aber da ist noch ein bisher unbeachteter Zusammenhang, den Bernd Ulrich herstellt: dass nämlich die Bundesregierung ihre Klimaziele aufgebe oder verschiebe, die Probleme nicht löse – und gleichzeitig immer weniger mehrheitsfähig werde. Da wäre ja die naheliegende Schlussfolgerung: Dann macht doch lieber ernsthafte Zukunftspolitik. Damit habt ihr sogar eine Chance, wieder mehrheitsfähig zu werden.

Mit der Wahrheit kämpfen

„Deshalb der Vorschlag“, rief Ulrich: „Mit der Wahrheit kämpfen.“

Worauf Schmidt antwortete: „Der Kanzler stellt sich hin und sagt: Es muss alles anders sein?“ Das sei „ein fast schon naiver Vorschlag.“

Das Interessante an diesem Abend ist, dass man durch Wolfgang Schmidts Gedanken versteht, warum Politik so handelt, wie sie handelt (nämlich zu wenig), wie groß die Differenz ist zwischen dem Notwendigen und dem, was Politiker in Regierungsverantwortung tatsächlich tun zu können glauben. Das andere Interessante ist, dass man durch keine Klimapolitik auch keine Mehrheit bekommt.

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2 Kommentare

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  • "Nebenfolgen unseres Wohlstands"

    Ja - unsere Wohlstandsentwicklung hatte die im Beitrag genannten negativen(!) Nebenfolgen. Aber sie hatte auch eine überaus positive: In den letzten 150 Jahren hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung mehr als verdoppelt (und zwar überall auf der Welt), in armen Gesellschaften von rund 30 auf rund 60 Jahre, in reichen von rund 40 auf rund 80 Jahre.

    Die durchschnittliche Lebenserwartung ist statistisch erfassbar, also kein "mehr oder weniger zweifelhaft" konstruierter Wohlstandsindikator. Setzt man sie ins Verhältnis zum pro-Kopf-Energieverbrauch der einzelnen Gesellschaften, dann folgt eindeutig: Wer mehr Energie verbraucht (verbrauchen kann), hat die Chance auf ein längeres Leben. Nur paar Länder (USA, Emirate z. B.) fallen dabei mit einem extremen und zudem völlig unwirksamen(!) Mehrverbrauch aus dem Rahmen.

    Es ist verständlich, wenn viele Menschen auf der Welt für sich einen Nachholbedarf sehen und nicht warten wollen, bis der klimaneutral befriedigt werden kann. Und es ist verständlich, wenn die anderen ihre Lebenserwartung nicht in Frage stellen. Man lebt ja nur einmal.

    Keine guten Voraussetzungen für die, die etwas ändern wollen.

  • "Klimapolitik, das ist nicht gut, das sind die Grünen."

    Klimapolitik soll ausgerechnet bei der Partei liegen, die lieber Kernkraftwerke abschaltet statt Kohle? Sicher nicht. Das Problem der Unehrlichkeit in der dt. Klimapolitik liegt auch ganz wesentlich an den wohligen Phantasieerzählungen der grünen Partei, die von anderen nur zu gern kopiert wurden.