Wiener Festwochen: Die toten Fische bleiben
In seinem zweiten Programm der Wiener Festwochen hat Intendant Tomas Zierhofer-Kin auf bürgerliche Repräsentation gesetzt. Ein Rückblick.
Es gibt dieses Bullshit-Bingo aktueller kulturpolitischer Schlagworte, die das Gespräch über Kunst mehr und mehr ersetzen. KünstlerInnen montieren sie bei Strafe der Nichtfinanzierung geschickt in alle Förderanträge. „Experimentell und innovativ“ war vorgestern, auf der Suche nach „neuen Formaten“ bewegt man/frau sich ohnehin jenseits „hergebrachter Spartengrenzen“. Aktuell zu achten wäre vorzugsweise auf den gesellschaftlichen „impact“ des eigenen Tuns, „Partizipation“ ist immer gut, ohne „audience development“ geht gar nichts.
Beschwörungsformeln, die der künstlerischen Praxis die symbolische Abgeltung dessen auferlegen, was die Politik nicht mehr zu leisten vermag. Die Antwort auf den exklusiven Charakter bürgerlicher Kultur war einmal „Kultur für alle“. Budgets, die dafür nötig wären, scheinen im Zeitalter der „schwarzen Null“ illusorisch. Bleibt als Betätigungsfeld für neoliberale Kulturpolitik die Arbeit an der Marke.
Ein solches „re-branding“ durchlaufen gerade die Wiener Festwochen. Das Festival sollte mit gut 11 Millionen Euro öffentlicher Zuschüsse ohne die organisatorischen Lasten einer Theaterimmobilie, ohne AbonnentInnenstamm und festes Ensemble ein Paradies für kunstpolitischen Gestaltungswillen sein, kommt aber nicht recht aus der Problemzone.
Da hatte Tomas Zierhofer-Kin, neuer Intendant im vergangenen Jahr, den Auftrag, erst einmal disruptiv dazwischenzufahren. Postkoloniale Perspektiven sollten den behäbigen BewohnerInnen der Wiener Wohlstandsinsel einen anderen Blick auf die Welt vergönnen, dem Theaterpublikum wollte er die folgenlose Schönheit „irgendwelcher teuer produzierten toten Fische“ nicht mehr einfach so ans Parkett liefern. Clubkultur und Popdiskurse versprachen „niederschwellige“ Zugänge.
Ein Resultat war staatlich verordnete Popkultur, und allen, die ein wenig Poststrukturalismus gelesen hatten, dämmerte, dass ihnen Identitätsdiskurse der 1990er Jahre als Dernier Cri vorgesetzt wurden. Jonathan Meeses „Parsifal“-Überschreibung entwich als heiße Luft der Kunstmarktblase. Die Ablehnung der lokalen Medien blieb nicht aus. Zwei KuratorInnen, die den antibürgerlichen Reflex wohl allzu offensiv nach außen getragen hatten, wurden gefeuert.
Wieder an Land geschwemmt
Zierhofer-Kin selbst überdauerte als Intendant. Seiner inhaltlichen Ausrichtung bleibt er in der gerade abgelaufenen aktuellen Saison durchaus treu, sie kommt allerdings so seltsam von Rücksicht weichgespült daher, dass die Watschen zum Festivalabschluss milder ausfallen werden. Aber vielleicht ist gerade die vermeintliche Rettung das Verhängnis.
„The Song of Roland“ von Wael Shawky und die koreanische Produktion „Trojan Women“ zeigten außereuropäische Virtuosenpraxis ohne große Herausforderungen. Es gab performative Arbeiten wie Markus Öhrns „Häusliche Gewalt“ oder Christiane Jatahys „The Walking Forest“, in denen sich der behauptete Einbruch der Wirklichkeit als das theatralische Als-ob geliehener Gefühle erwies.
Die „toten Fische“ hat eine reflektierende Welle schließlich wieder an Land geschwemmt. Ein Jahr später könnte sich Geruch bemerkbar machen. Theater ist wieder vertreten – in „Formaten“, die den Festwochen auch in früheren Jahren gut anstanden. Christoph Marthaler kehrte mit „Tiefer Schweb“ zurück. Selbst diese etwas schwächere Arbeit aus seinem Oeuvre wurde vom Publikum mit forderndem Jubel demonstrativ gefeiert.
Vielleicht ist Zierhofer-Kins antibürgerlicher Reflex dem missverstandenen Doppelsinn des Worts geschuldet. Für den Widerwillen an bourgeoisen Gesellschaftsspielen gibt es im Wiener Kulturbetrieb andere Adressaten, das Festival war immer auch eine seltene Feier des auf die Welt neugierigen Citoyens. Nicht alles, was Theater repräsentiert, muss also schlecht sein.
Erneute Neuausrichtung erwartbar
Mit Ersan Mondtags „Orestie“ und „Die Selbstmord-Schwestern / The Virgin Suicides“ von Susanne Kennedy war eine jüngere Generation von RegisseurInnen vertreten. Das fühlte sich alles aber wie das Resultat eines guten Ratschlags an. Kauf im anerkannten Fachgeschäft – zweimal Münchner Kammerspiele, einmal Thalia Theater. Das schwächelnde „New Order“-Konzert war von Manchester International übernommen.
Was die Festwochen einst stark gemacht hat, fehlte: das Pouvoir, Projekte zumindest mitzuproduzieren und Qualitäten zu ermöglichen, die der Routinebetrieb nicht mehr erreicht. Das Festival war auch immer eine letzte Bastion gegen die Selbstverschlankung von Kunstproduktion im Sinne von „Wettbewerbsfähigkeit“.
Dass die Festwochen immer am stärksten waren, „wo sie mit Auftragswerken, mit Ur- und Erstaufführungen in Erscheinung getreten sind“, monierte auch Veronica Kaup-Hasler, die ehemalige Festwochendramaturgin, langjährige Intendantin des Steirischen Herbstes und neu berufene Kulturstadträtin der rotgrünen Wiener Landesregierung in einem ihrer ersten öffentlichen Statements. Das lässt eine abermalige Neuausrichtung erwarten.
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