Wien-Tatort „Unten“ im Ersten: Da, wo die Geschichten sind
Wie aus einem vermeintlich durchsichtigen Plot dann doch ein spannender Sozialkrimi wird. Team Wien mal wieder in Topform.
Wieder was gelernt, wie so oft im ORF-„Tatort“ aus Wien. „Sandler“ nennt man dort also die Menschen, die aus ihren Wohnungen fliegen und auf der Straße landen. Um solche Schicksale dreht sich der neue Fall von Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), der Krimi trägt den bezeichnenden Titel „Unten“. Das ist anfangs wörtlich, später immer mehr im übertragenen Sinn zu nehmen.
Auf einem stillgelegten Industriegelände wird ein toter Mann gefunden, ein Wohnungsloser, er ist offensichtlich zu Tode gestürzt. Ein junges Paar hat die Polizei gerufen, die beiden leben auch auf der Straße und kannten den Toten gut. Alles sieht nach einem Streit mit Todesfolge aus, es ging wahrscheinlich um Geld oder Alkohol, ganz typisch in dem Milieu, ist sich Moritz sicher und will den Fall schnell zu den Akten legen.
Aber Bibi guckt mal wieder so komisch.
Und es dauert auch nur eine kleine Weile, bis sie es zugibt: Es handelt sich bei dem Toten um einen früheren Informanten. Der Mann hatte mit der Zeit immer mehr getrunken und angefangen, Geschichten zu erfinden. Bibi hatte noch vor einer Woche Kontakt mit ihm.
Auf Abstand gedreht
Langsam tritt die Lebensgeschichte des Toten zutage. Und damit verschiedene Auseinandersetzungen – sprich: Motive. Eifersucht, eine Lebensversicherungspolice und auch Drogen. Die Auflösung ist dann etwas hanebüchen, auch wenn sie im Bereich des Möglichen liegt. Die Rede ist dabei ständig von Verschwörungstheorien. Das wirkt etwas aufgesetzt in diesen an Verschwörungsmythen reichen Zeiten. Nur so viel sei verraten: Zwanzig Wohnungslose werden vermisst.
Der Wien-Tatort „Unten“ läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten, um 21.45 Uhr auf One und 30 Tage in der Mediathek
Auch das wird anfangs abgetan. So von wegen: Es verschwindet ja immer mal einer von denen …
„Unten“ erzählt gleich mehrere traurige Geschichten. Und schafft es, aus einem vermeintlich durchsichtigen Plot einen spannenden Sozialkrimi zu weben. Am Ende wird das ganz große Besteck aufgefahren – wiederum im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Ach so: Mit dem Dreh war schon im Frühjahr begonnen worden, dann kam der erste harte Lockdown, auch in Wien. Im Sommer weitergedreht, spielten die neue Szenen meist im Freien. Doch das fällt nicht weiter auf; nicht einmal, dass alle Beteiligten auf Abstand gehen. Man hat sich halt schon dran gewöhnt. Nur die alten Szenen, wo Menschen ganz nah beieinander sind, wirken schon jetzt wie aus der Zeit gefallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz