Wiederaufbau nach dem Irakkrieg: „Basra wird sein wie Dubai, nein Japan“
Noch sieht es in Basra aus, als sei der Irakkrieg gerade erst zu Ende gegangen. Doch die Stadt ist reich an Öl. Und die Brüder Hamsa haben große Pläne. Ein Besuch.
BASRA taz | Wenn es Nacht wird und sich die Dunkelheit auf die ärmlichen Behausungen senkt, kann man ahnen, wie es gewesen sein muss, als die Brüder Farsdak und Firnas Juma Hamsa jung waren und Basra eine der schönsten Städte in der Region war. Die Algerienstraße, die wichtigste Einkaufsmeile, ist von den Lichtern der Geschäfte hell erleuchtet.
Hinter der Glasfront eines Lokals, das sich Coffee Time nennt, schlürfen junge Männer Tee oder Fruchtsaft und spielen mit ihren Mobiltelefonen. Unten auf der Straße flanieren Familien an Boutiquen vorbei, die neueste Mode aus der Türkei anbieten. In einer kaum beleuchteten Seitengasse huschen zwei Prostituierte in ein Hotel, und an der Corniche liefern sich in einem Vergnügungspark junge Frauen mit männlichen Altersgenossen ein Duell im Autoscooter.
Den Vergleich mit damals, als Basra eine quicklebendige und teils etwas verruchte Hafenmetropole war, quittiert das Bruderpaar Hamsa allerdings mit einem mitleidigen Blick – so können nur Ahnungslose reden. Tatsächlich bietet Basra bei Tag einen eher kläglichen Anblick. Hier und da haben sich jene, die zu Geld gekommen sind, Villen gebaut, und manches Geschäft ziert eine Alufassade, wie sie derzeit schick ist im Irak. Doch nahe der Einkaufsmeile reihen sich zweigeschossige Häuser aneinander, von denen der Beton bröckelt, etwas weiter weg drängen an ungeteerten Straßen windschiefe Häuser aus Lehm.
In einem historisch einmaligen Schritt öffnete der Irak vor drei Jahren etwa ein Drittel seiner geschätzten Erdölvorkommen für ausländische Firmen. Mit etwa 40 Firmen hat Bagdad seither Serviceverträge geschlossen, bei denen sie für jedes geförderte Barrel einen fixen Betrag erhalten. Bis 2017 sollen die Firmen die Produktion auf 12 Millionen Barrel pro Tag steigern.
Experten haben von Anfang an gewarnt, dass das Ziel angesichts der maroden Anlagen und Pipelines viel zu ehrgeizig ist. Das hat man mittlerweile offenbar auch aufseiten der Regierung in Bagdad erkannt. Still und leise wurde die Zielvorgabe bis 2020 auf 9,5 Millionen Barrel pro Tag reduziert, von denen etwa 7,5 Millionen exportiert werden sollen. Viele Experten halten eine Förderquote von etwa 6 Millionen Barrel pro Tag für realistischer.
Für gute Stimmung an den Märkten sorgt freilich, dass der Irak das einzige Land ist, das über große und bisher ungenutzte Ölvorkommen verfügt. Der Irak muss allerdings einen Erdölpreis von mindestens 100 Dollar pro Barrel erzielen, um die geplanten Investitionen in den Wiederaufbau zu garantieren. (iro)
Dass Basra neun Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein immer noch so aussieht, als sei der Krieg erst gestern zu Ende gegangen, ist den Brüdern Hamsa ein Dorn im Auge. Die Stadt ist reich, sehr reich sogar. Etwa die Hälfte der irakischen Erdölvorkommen und drei der größten Ölfelder befinden sich in der Provinz. Inzwischen bringen die Verträge, die der Irak mit internationalen Ölkonzernen unterzeichnet hat, erste Früchte.
Die Förderquote hat sich bei gut 2,5 Millionen Barrel pro Tag stabilisiert. Bis Ende des Jahres sollen es 3 Millionen Barrel sein. Durch zwei Offshore-Terminals, die im Frühjahr in Betrieb gingen, erzielte das Land im April die höchsten Erdölexporte seit dreißig Jahren. Mehr als vier Fünftel dieser Exporte werden über Basra abgewickelt. Die Region ist damit der Motor der irakischen Wirtschaft, die komplett vom Erdöl abhängig ist.
Darüber hinaus ist der Hafen von Basra auch einer der wichtigsten Umschlagplätze für Warenimporte. Doch die meisten irakischen Schiffe wurden in den Kriegen der letzten dreißig Jahre zerstört. „Früher hatten wir eine der größten Flotten in der Region“, sagt Farsdak Juma Hamsa. „Heute müssen wir fast bei null anfangen.“
In Bagdad mahlen die Mühlen langsam
Mehr als zwanzig Jahre war der 54-jährige Kapitän auf internationalen Werften tätig. Jetzt ist er in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, um beim Wiederaufbau anzupacken. Auf seinem Computer zeigt er, welche Schiffe das Land braucht: Öltanker, Frachtschiffe, Lotsenboote, Schlepper. Einen Schlepper hat er bereits bauen lassen. Derzeit verhandelt er über weitere Aufträge.
Doch die Entscheidung liegt beim Transportministerium in Bagdad und dort mahlen die Mühlen langsam. „Zeit ist Geld“, sagt er. „Aber hier scheint keiner einen Plan zu haben.“ Das gelte zum Beispiel auch für den neuen Hafen Fao. Dieser soll nicht nur die Importe beschleunigen, sondern auch zum regionalen Umschlagplatz werden.
Dieses Ziel strebt allerdings auch Kuwait mit seinem neuen Hafen an, der seit einem Jahr in Bau ist. Hamsa sieht das von der positiven Seite. „In Kuwait braucht es für eine Entscheidung zwei Schritte, im Irak zehn“, sagt er. „Das hat die hier aufgeweckt, andernfalls hätten sie vermutlich auch den nächsten Tag verschlafen.“ Die Planung des Hafens sei längst fertig, nun müssten die Politiker nur noch einen Gang zulegen.
Auch Chalaf Abdul Samad, Gouverneur von Basra, weiß, dass die Zeit drängt. Vor gut einem Jahr hatte sein Vorgänger wegen Protesten gegen den schleppenden Wiederaufbau den Posten geräumt. Samad gehört der Dawa-Partei von Regierungschef Nuri al-Maliki an. In einem überraschenden Alleingang hatte Maliki vor vier Jahren zum Kampf gegen die schiitischen Milizen geblasen, die Basra damals beherrschten. Mithilfe amerikanischer Truppen und iranischer Vermittlung setzte Maliki sich durch. Die Wähler belohnten seine Partei mit einem überwältigenden Wahlsieg.
Der neue Gouverneur mache einen besseren Job als sein Vorgänger, aber wirklich gut sei auch er nicht, hört man in Basra. So haben sich die Wasser- und Stromversorgung verbessert, aber trinken kann man das Wasser nicht. Mit der Müllentsorgung hapert es, obwohl heute nicht mehr ganz so viel Abfall in den Straßen verrottet wie früher. Will der Gouverneur bei den anstehenden Wahlen in gut sechs Monaten wiedergewählt werden, muss er mehr vorweisen.
Ein Dollar pro Barrel Erdöl
Das versucht er derzeit mit dem Bau von zwölf Brücken. Jeden Morgen um sieben geht es los. Dumpf krachen die Schläge der Bohrmaschinen in den Grund. Wer nicht bereits von den Rufen der Muezzins geweckt wurde, ist spätestens jetzt wach. Bis Ende des Jahres sollen die Brücken fertig sein, rechtzeitig zur Wahl des Provinzrats. Der Auftrag ging an eine der 60 türkischen Firmen, die hier tätig sind. Neben dem Iran ist die Türkei der größte Wirtschaftspartner Basras. Aber auch für Europäer gebe es noch viele Aufträge.
Um den enormen Nachholbedarf zu decken, bekommt Basra für jedes geförderte Barrel Erdöl einen Dollar zusätzlich zum regulären Budget. Doch das reiche bei Weitem nicht aus, sagen Experten wie Abdul Saheb al-Juwaiber von der Business Union, dem örtlichen Wirtschaftsverband. Die Privatwirtschaft müsse gestärkt werden, nur sie könne die Arbeitsplätze schaffen, die nötig sind, um den Zehntausenden von jungen Leuten, die in der Region jährlich auf den Arbeitsmarkt streben, eine Perspektive zu bieten.
Ausländisches Kapital und Know-how werde auch gebraucht, um die Qualifikation der Jobsuchenden zu verbessern, sagt Juwaiber. In vielen Bereichen fehlt es an qualifizierten Fachkräften. Wenn Absolventen der Akademie der Handelsmarine zu ihm kommen, müsse er sie erst einmal in einen Kurs schicken, weil sie keine Ahnung von moderner Navigation hätten, berichtet Kapitän Hamsa. Auch das ist ein Angebot, das er weiter ausbauen will. „Wir haben eine Vision und eine Mission“, erklärt Juwaiber. „Statt ihre Zeit mit Reden und Teetrinken zu vertun, sollten die Politiker an die Wirtschaft denken. Denn nur sie macht die Menschen satt.“
Bei der lokalen Investmentkommission verspricht man Abhilfe. Oft scheitern ausländische Firmenvertreter schon daran, ein Visum zu bekommen. Firmenbossen, die bereit sind, Millionen zu investieren, kann es passieren, dass sie am Flughafen zurückgeschickt werden. Ministerpräsident Maliki habe zugesagt, dass Basra künftig selbst Visa vergeben könne, sagt Kommissionsleiter Chalaf Badran. Die Kurden im Norden machen das schon lange. Ihr Vorbild hat auch in Basra die Geister der Teilstaatlichkeit geweckt.
Maliki, der sich auch anderswo Autonomiebestrebungen ausgesetzt sieht, hat in diesem Fall sofort reagiert und neben der Vereinfachung für Visa auch weitere Aufbauhilfe in Aussicht gestellt. Bisher habe seine Kommission 43 Investmentlizenzen vergeben, sagt Badran. Es gebe inzwischen ein klares und vereinfachtes Verfahren, sodass bald weitere folgen würden.
„Das Venedig des Nahen Ostens“
Ein Blick in die Behördenbüros lässt daran allerdings Zweifel aufkommen. Die meisten Schreibtische sind leer, und nur einer der Angestellten benutzt einen Computer. Doch Badran gibt sich zuversichtlich. In zehn Jahren werde Basra wie Dubai aussehen. Dann überlegt er kurz und sagt: „Nein, nicht wie Dubai, wie Japan!“
Die Hamsa-Brüder haben einen anderen Traum. Sie wollen das alte Basra auferstehen lassen. „Ich möchte sehen, dass die kleinen Wasserläufe nicht mehr stinken, nicht mehr voller Müll sind“, sagt Firnas Juma Hamsa. „Venedig des Nahen Ostens“ nannte man Basra früher wegen der vielen Kanäle, die die Stadt durchzogen. In der Altstadt ist davon nur noch eine braune, stinkende Kloake übrig. Die Häuser aus osmanischer Zeit sind dem Verfall preisgegeben. Zwischen der historischen Lehmarchitektur machen sich Häuser aus Beton breit.
Seine Vision von Basra hat der mit 51 Jahren Jüngere des Bruderpaars auf seinem Computer gespeichert. Die Bilder aus den 50er und 60er Jahren zeigen eine Stadt mit Parks und Grünflächen, auf deren Straßen nicht einmal ein Papierschnipsel zu sehen ist. Auf den Kanälen tummeln sich Fischer- und Ausflugsboote. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir in den Kanälen wieder Fische fangen können“, sagt Hamsa. Ein Umdenken müsse einsetzen. „Die Kinder müssen lernen, dass man Müll nicht auf die Straße wirft und Abwässer nicht ungefiltert in den Shatt al-Arab geleitet werden dürfen.“
Solarstrom, grüne Energie und Nachhaltigkeit seien das Gebot der Stunde. Dem Geschäftsmann ist es ernst. Er würde sogar ehrenamtlich Kurse in den Schulen geben. „Für unsere Kinder muss es wieder normal werden, dass Wasser nicht stinkt“, sagt Hamsa. Als Kind habe er in den Kanälen noch geplantscht. „Ich will wieder in den Flüssen schwimmen.“
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