Wiederaufbau in Syrien: Assad nicht belohnen!
Eine Studie empfiehlt der Bundesregierung, sich am Wiederaufbau Syriens unter Diktator Assad zu beteiligen. Es wäre ein fatales Signal.
S yrien liegt wortwörtlich in Trümmern. Nicht nur die Städte und die Infrastruktur sind zerstört, auch die Wirtschaft liegt am Boden. Das syrische Pfund hat gerade binnen einer Woche gut die Hälfte seines Werts verloren, die von den USA angekündigten neuen Sanktionen dürften die Lage im Land noch einmal verschärfen.
Es wirkt logisch, dass die europäischen Staaten einen Beitrag für eine Stabilisierung und finanzielle Hilfe beim Wiederaufbau des Landes leisten sollten. Wäre nicht auch der Zusammenhalt der syrischen Gesellschaft nachhaltig zerstört. Weiterhin setzen das Assad-Regime und seine russischen und iranischen Verbündeten eine Politik fort, mit der sie seit Jahren einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen – und die mittels willfähriger Gesetzgebung die Vertreibung und Ausbeutung zugunsten der Kriegselite noch zementiert.
Es ist ein fatales Signal, dass eine kürzlich erschienene Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) der Bundesregierung als Strategiewechsel in der Syrien-Politik eine Beteiligung am Wiederaufbau des syrischen Staats empfiehlt. Denn für die Assad-Diktatur wären westliche Gelder nichts anderes als eine Belohnung für eine Politik aus Verfolgung, Folter, Zerstörung und Mord, mit der sie fast die Hälfte der Bewohner*innen des Landes zur Flucht gezwungen hat.
Die bisherige Syrien-Politik der Bundesregierung sei gescheitert, so das Kernargument der Politikberater*innen der SWP. Die veränderten Kräfteverhältnisse vor Ort machten einen politischen Wandel im Land unrealistisch. Wenn Deutschland und Europa finanzielle Unterstützung an die Bedingung einer Ablösung des Assad-Regime knüpften, dann riskiere der Westen, dass sein ohnehin geringer politischer Einfluss weiter erodiere.
verantwortet die Geschäftsführung der deutsch-syrischen Solidaritätsinitiative „Adopt a Revolution“, die seit 2011 syrienweit friedliche zivile Gruppen unterstützt.
verantwortet die Geschäftsführung der deutsch-syrischen Solidaritätsinitiative „Adopt a Revolution“, die seit 2011 syrienweit friedliche zivile Gruppen unterstützt.
Zweckentfremdete Hilfsmittel
Dabei lehren schon die Erfahrungen der letzten Jahre in der humanitären Hilfe, dass Geldflüsse über das Assad-Regime eher das Gegenteil von positivem Einfluss erreichen. So wurden Hilfsgelder systematisch vom syrischen Staat zweckentfremdet und mutmaßlich für Kriegsverbrechen eingesetzt, wie Human Rights Watch recherchiert hat.
Schaut man sich die Masterpläne für den Wiederaufbau des Regimes an, fällt auf: Es geht nicht darum, den Vertriebenen und Ausgebombten die Rückkehr zu ermöglichen. Dreieinhalb Jahre nach der Rückeroberung durch Regierungstruppen müssen Rückkehrer in Ost-Aleppo weiter in Ruinen ohne Strom- und Wasseranschluss hausen. Gleichzeitig existieren aberwitzige Bebauungspläne für Luxuswohnviertel im Stil von Dubai.
Am SWP-Papier offenbart sich ein grundlegendes Manko der Politikberatung. Statt die strategische Frage zu beantworten, wie wir überhaupt zu einer aktiven Syrien-Politik kommen können, die Kriegsverbrechen und humanitäre Katastrophe nicht nur verwaltet, sondern darauf drängt, diese nachhaltig zu beenden, gehen die Berater*innen die untergeordnete taktische Frage an, wie die deutsche und europäische Politik in Syrien einen Fuß in der Tür behalten kann. Denn knapp zehn Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings fehlt Europa nach wie vor eine Außenpolitik mit politischem Gestaltungswillen im Sinne von global gültigen Menschenrechten.
Kurdische Selbstverwaltung stärken
Um hier im Fall Syrien nicht direkt mit dem großen Wurf beginnen zu müssen, könnte die Bundesregierung ja einmal einen Anfang wagen: Statt syrische Autobahnen zu sanieren, über die dann die Panzer des Assad-Militärs rollen, könnte Deutschland versuchen, die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien zu stabilisieren. Noch gibt es Chancen, die demokratischen Ansätze und die Idee einer multiethnischen, multikonfessionellen Gesellschaft zu erhalten, bei aller berechtigten Kritik an der dominierenden PYD. Als Teil der Anti-IS-Koalition haben die Kurd*innen im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ westliche Werte verteidigt und dafür einen hohen Preis bezahlt. Weil die europäischen Regierungen den Konflikt mit der Türkei scheuen, riskieren sie, dass noch die letzte halbwegs stabile Region Syriens zwischen türkischer Militärintervention und Verhandlungen mit dem Assad-Regime zerrieben wird.
Oder wie wäre es damit, bei Russland und dem Assad-Regime ernsthaft Druck dafür zu machen, dass humanitäre Hilfe wirklich bei den am schwersten Betroffenen ankommt? Im Januar hatte Russland mit einem Veto den Zugang von UN-Organisationen in oppositionelle Gebiete Syriens deutlich reduziert. Mehr als eine Million Menschen im Nordosten des Landes können jetzt nur noch via Damaskus versorgt werden, was der politischen Einflussnahme des Regimes Tür und Tor öffnet. Mit entsprechendem diplomatischen Druck sollte es doch möglich sein, Cross-Border-Hilfslieferungen auch gegen den Willen Russlands durchzuführen, zur Not im Rahmen der Anti-IS-Koalition.
Dass die Bundesrepublik unter Angela Merkel über politisches Gewicht verfügt und dieses auch einsetzen kann, zeigte der Libyen-Gipfel Anfang des Jahres. Den Krieg hat er nicht beendet. Trotzdem galt es als Durchbruch, dass sich alle Seiten überhaupt an einen Tisch gesetzt haben – und die Bundesregierung hat wenigstens den Versuch unternommen, ihr diplomatisches Gewicht für eine politische Lösung zu nutzen.
Sollte der Konflikt in Syrien einmal Chefinnensache werden, könnte das Angebot von Wiederaufbauhilfen ein Baustein in einer Strategie für eine friedliche und nachhaltige Lösung des Syrien-Konflikts sein. Aber solange der deutschen und der europäischen Außenpolitik dieser politische Wille fehlt, sollte die Politikberatung die Finger davon lassen, Wiederaufbauhilfen zu empfehlen. Zu groß ist die Gefahr, dass sie damit letztlich zur Stabilisierung einer der brutalsten Diktaturen der Welt beitragen, statt Syrer*innen ein Leben in Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen.
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