Wie Russland um Soldaten wirbt: „Du bist doch ein Kerl!“
Mit Chauvinismus und finanziellen Wohltaten versucht Putin, Männer für den Krieg zu gewinnen. Dafür werden extra Anlaufstellen eingerichtet.
Wieder Szenenwechsel: Es wird Nacht, ein Taxi fährt durch die nasse Dunkelheit, der Fahrer packt das Geld seines Gastes ein. „Wolltest du etwa solch einen Weg einschlagen?“, wird gefragt. Dann tauchen alle drei Männer aus dem Nebel auf, alle in Armeeuniform, samt einem Z auf dem Arm – dem Propaganda-Symbol des Kremls für den Angriffskrieg gegen die Ukraine.
„Du bist doch ein Kerl! Dann sei es auch! Diene unter Vertrag“, lautet die Botschaft des russischen Verteidigungsministeriums, das mit diesem Filmchen um neue Vertragssoldaten wirbt: Kanonenfutter für die Front in der Ukraine. Die Botschaft hinter dem Video ist recht primitiv: Wachmann, Fitnesstrainer, Taxifahrer – das seien keine Berufe für wahre Männer, ein richtiger Mann müsse eine Waffe in die Hand nehmen und sein „Vaterland verteidigen“. Das sei doch der Traum aller „Muschiks“, wie der Macho-Mann in Russland genannt wird.
Das patriarchale Bild, wonach ein Junge ein „Verteidiger“ sei, das sind offiziell in Russland „einzigartige, traditionelle, russische Werte“, die nicht zu hinterfragen sind. Was ein Mann verteidigt und warum, ist nicht Teil irgendeiner Diskussion im Land. Im Werbefilm zeigt sich vielmehr ein Chauvinismus, der die präsentierten Berufe entwertet: Berufe, von denen in Russland viele Männer leben, selbst wenn sie bereits in Rente sind.
Gescheiterte Existenzen für den Krieg
Aus Sicht des Verteidigungsministeriums sind sie aber quasi gescheiterte Existenzen, und natürlich helfe da nur eins: die Unterschrift unter den Vertrag als Zeitsoldat. Dafür wirbt das Ministerium mit allerlei „Wohltaten“: einem Monatseinkommen von umgerechnet mindestens 2.300 Euro, was viel Geld ist in Russland; mit einem warmen Kindergarten- oder Schulessen für die Kinder von Soldaten; mit Putzhilfen für die älteren Angehörigen von Soldaten. Moskau hat im Norden der Stadt eine extra Anlaufstelle für die zukünftigen Zeitsoldaten eingerichtet – doch Andrang dort ist kaum zu beobachten.
Dass ein „anständiger Lebensstandard“ mit zivilen Berufen offenbar kaum zu erreichen ist, ist die Tragik in einem Land, das seine Männer für sinnlose Imperialismusträume eines Präsidenten verheizt. Die Unzufriedenheit mit seinem Leben, so suggeriert die Werbekampagne, lasse sich lediglich mit einer Waffe in der Hand abstellen. Woher eine solche Unzufriedenheit womöglich kommt, interessiert den Staat nicht. Stattdessen lässt die Regierung Banner entlang der Straßen aufstellen, auf denen martialisch aussehende Kämpfer zu sehen sind, daneben der Satz: „Es gibt einen solchen Beruf – die Verteidigung des Heimatlandes.“
Das „Echte“ und „Richtige“ ist der Krieg, mehr hat der Staat nicht zu bieten. Wohlstand erreicht nur jemand, so zeigen Russlands Verwaltungen, Gerichte, Beamt*innen unmissverständlich, wer sich in den Dienst an der Waffe stellt – und als Subjekt völlig aufgibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs