Wie Kalou uns Lindners Traum zeigte: Der Bote trägt die Verantwortung
Gerade ein treuherziger Mann wie Salomon Kalou zeigt, wie es hinter den Kulissen läuft. Das ist so tragisch wie logisch.
W er drei Herthaner nach Salomon Kalou befragt, wird achtmal das Wort „Chancentod“ hören. Kalou, das sei einer, der aus fünf Metern Strand das Meer nicht trifft. Das ist tragisch, insbesondere bei einem Klub wie Hertha, dessen Spielstil ähnlich erlebnisorientiert ist wie ein Sonntagsbesuch in einem verwilderten Schrebergarten bei Nieselregen. Wer ins Olympiastadion geht, dem steht der Sinn nicht nach Schönheit, der will Ergebnisse sehen.
Gleichzeitig gilt Salomon Kalou als zutiefst freundlicher, zugewandter Mann ohne große Allüren; einer, dem seine eigene Berühmtheit sogar etwas unheimlich ist und der auf Fantreffen so freundlich parliert, dass man meinen könnte, er sei einer wie alle anderen auch. Einer von uns – selbst wenn das in Hertha-Eckkneipen wegen rassistischer Anwandlungen anders gesehen wird.
Und jetzt stellt sich heraus: Ist er nicht. Die Fußballmillionäre leben in einer anderen Wirklichkeit, in der sie angewiesen werden müssen, ihre schmutzige Kleidung in eine dafür vorgesehene Vorrichtung zu legen, die Normalbürger*innen als Waschmaschine kennen. Und in diese andere Wirklichkeit hat Salomon Kalou uns einmal kurz mitgenommen.
Er hat ein Video gestreamt, das ihn und die ganze Hertha-Mannschaft live dabei zeigt, wie sie ihren Berufsalltag wieder aufnehmen, als wäre nichts: sich nicht um Abstandsregeln scheren, über Gehaltseinbußen mosern, Tester ohne Schutzausrüstungen etc. Im Grunde der gelebte Traum des Christian Lindner: Alle tun so, als wäre nichts, und sind reich dabei.
Der Ball rollt wieder. Die Bundesliga lässt ihre Mannschaften wieder aufeinander los. Grund genug für die taz, das Spektakel Fußball und seine Sonderrolle in Deutschland genauer unter die Lupe zu nehmen.
Warum hat der Fußball bei der Politik so leichtes Spiel? Was sagen Athlet:innen anderer Sportrarten zum Ausbrechen des Fußballs aus dem Lockdown? Und was halten die Spieler selbst eigentlich von den großen gesundheitlichen Experiment, das da mit ihnen veranstaltet wird?
Oder sollten wir uns einfach freuen über die Rückkehr einer großartigen Nebensache, auch wenn die Geisterspiele wohl wenig stimmungsvoll werden? Texte über den Virus Fußball in Zeiten der Pandemie.
Bedeutung geht mit Verantwortung einher
Als die Empörung über die Gedankenlosigkeit der Fußballprofis hochkochte, beeilte sich Hertha BSC zu versichern, beim Verhalten von Salomon Kalou handle es sich um „einen Einzelfall“. Man wird sehr lange suchen müssen, um deutschlandweit drei Menschen zu finden, die glauben, dass das tatsächlich ein Einzelfall ist. Salomon Kalou hat uns die Wirklichkeit gezeigt, und dafür ist er nun suspendiert worden. Ein eindeutiger Fall von „Tötet den Boten!“.
Denn was sein Video gezeigt hat, ist mitnichten persönliches Fehlverhalten, sondern die schnöde Gedanken- und Verantwortungslosigkeit hinter den Kulissen. Dabei ist es so tragisch wie logisch, dass gerade ein so freundlicher, zugänglicher, beinah treuherziger Mann wie Salomon Kalou uns diesen Einblick geliefert hat; er wird einfach darauf vertraut haben, dass die Verantwortlichen sich auch ihrer Verantwortung bewusst sind.
Sind sie natürlich nicht. Ständig wird die soziale Bedeutung des Fußballs betont, wenn es darum geht, wieder Bundesliga spielen zu lassen: eine Bedeutung, die nicht mit Verantwortung einhergeht. Das wird so nix.
Vorschlag zur Güte: Sollen sie die Spiele aussetzen und stattdessen 90 Minuten lang ein hoch aufgelöstes 3-D-Bild von Oliver Bierhoff zeigen, nachdem er sechs Wochen nicht beim Friseur war – und Salomon Kalou in Ruhe lassen.
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