Wie Fahrräder zu Pedelecs werden: Mach mal schneller
Pedelecs und E-Bikes werden beliebter, nicht nur bei Senioren. Start-ups und Do-it-yourself-Pakete helfen, das Lieblingsrad umzurüsten.
Mein behäbiges, altes Hollandrad rostet unten, an den Pedalen und oben, auf der Schraube am Lenker. Auf dem Schutzblech kleben noch die Aufkleber vom Herrn Papa: „Atomkraft? Nein Danke“. Favoriet heißt es, mit ie, es ist schließlich ein Holländer. Zuverlässig stemmt es sich gegen jeden Sturm. Bedächtig. Doch wenn die Fußgänger mich auf dem Bürgersteig fast überholen, da will man manchmal nicht mehr mitstemmen. Bei dem schweren Rad. Bei dem Wind.
Es soll also Anschub her. Doch das Rad ersetzen – lieber nicht. Favoriet bleibt Favoriet. Zum Glück kann man das Rad mit einem Motor aufrüsten. Doch soll er fest installiert sein oder austauschbar? Sichtbar oder versteckt? Vorne – mittig – hinten?
Das Fahrrad könnte ein Pedelec werden und damit bis zu 25 Kilometer die Stunde fahren. Der Pedelecmotor unterstützt nur beim Treten. Ich könnte es aber auch zum Flitze-E-Bike mit maximal 45 Stundenkilometer umbauen. Das E-Bike kann dann auch ohne Gestrampel fahren. Doch bringt diese höhere Geschwindigkeit auch mehr Pflichten wie Helm, Spiegel und Versicherungen und Führerschein mit sich. Ein Aufrüstpaket für E-Bike oder Pedelec kostet zwischen 400 und 1.500 Euro, abhängig von der Leistung von Motor und Akku.
Ein komplettes Pedelec läge bei 2.000 Euro in der billigsten Variante. Und die ist meist altbacken mit klobigen Rahmen und großem Motor. E-Bikes sind noch teurer. Aber das Favoriet, das schöne Favoriet, das will ich nicht austauschen. Die Entscheidung steht fest: Es soll zum Pedelec aufgerüstet werden.
„Eigentlich kann aus jedem Fahrrad ein Pedelec gemacht werden“, verspricht Matthias Broda. Mit seinem Berliner Laden Aceteam baut er Fahrrädern einen Elektromotor an. Oder er verkauft seine handgefertigten Eschenholzräder gleich aufgerüstet. Ein Holzrad zum Testen wird noch aufgeladen und lehnt an der Wand des Showrooms in Berlin-Mitte. Broda sitzt auf dem Ledersofa mit Blick auf den Reichstag. Seine Ärmel sind angefressen, seine Schuhe abgewetzt von der Arbeit. Der Ladenhund, ein Akita-Inu, schlabbert neugierig am Rucksack.
Rund 1.000 Euro kostet das elektrisch verstärkte Hinterrad, das Smartwheel der Firma FlyKly. Es verspricht einen Antrieb für Pedelecs, der sich nicht nur überall einbauen lässt, sondern auch unauffällig ist. Der Motor ist neben der Nabe des Hinterrads eingebaut, dezent hinter weißem Plastik versteckt. Seit zwei Jahren bietet Broda das Smartwheel an. Rund zwanzig Antriebe verkauft er im Jahr, nicht besonders viele. Sie sind teurer als die viele Umrüstpakete im Internet. Aber es gehe halt um das schöne Design.
Mit der Idee des schicken Pedelecs ist der Berliner nicht allein. Hippe Start-ups möchten eine jüngere Käufergruppe erreichen, denn bisher leisten sich vor allem Senioren den Komfort. Bundesweit gründen sich Firmen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Pedelecs und E-Bikes als lifestylefähig zu etablieren. Sie heißen The Urban Factor oder Power Bikes. Das Smartwheel der Firma FlyKly, das Brodas Laden verkauft, wird hingegen in Italien hergestellt. Die Produktion wurde über das Crowdfundingportal Kickstarter finanziert.
Den drei Kilo schweren Motor kann man als Komplettsatz in der Felge kaufen oder ihn im Laden einspannen lassen. Das ist einfacher als bei vielen anderen Nachrüsterkits, die meist aus Motor, Display, Akku und vielen Kabeln bestehen. Dafür sind die Sets für fast die Hälfte des Geldes zu haben. Broda empfiehlt die Varianten ab 600 Euro, beispielsweise von Bafang, Ansmann und Heinzmann. Do-it-yourself-Tutorials im Internet helfen bei der Montage zu Hause.
Zerzauselte Haare
Beim Smartwheel stellt eine Handyapp die Maximalgeschwindigkeit ein. Broda kniet sich vor das Rad, er hält das goldene Smartphone hoch und stellt den Antrieb auf 25 km/h. Dann ist das Rad bereit zum Testausflug. Das elektronisch unterstützte Treten ist zackiger, flotter, man fühlt sich wie ein geräuschloser Easy Rider. Der Wind zerzauselt die Haare, und es kommt ein wenig Freiheit auf – zumindest für die nächsten 60 Kilometer. Dann muss eine Steckdose her.
Das Pedelec gibt spürbar Anschub von hinten. Es ist ein bisschen wie damals, als ich bei den langen Fahrradtouren so lange gejammert habe, bis ein Erwachsener endlich Erbarmen gezeigt und angeschoben hat. Und geschoben und geschoben und geschoben. Ich überhole elegant einen Fahrradkurier. Auf dem Bürgersteig ist es mit dem Pedelec bei so viel Power doch etwas eng, da hat man das Bedürfnis öfter zu bremsen, das Fahrrad in Ruhe ausrollen zu lassen. In den Kurven ist Vorsicht geboten. Aber daran sollte man sich auch gewöhnen können.
„Eigentlich fahren die Leute mit ihren Pedelecs nicht unbedingt schneller als mit normalen Rädern“, sagt René Filippek vom ADFC, dem ADAC-Pendant für Radfahrer. Bei gleicher Geschwindigkeit muss einfach nur weniger selbst getreten werden.
E-Bikes und Pedelecs setzen sich immer stärker durch. 2014 gab es laut Statistischem Bundesamt 1,6 Millionen Elektrofahrräder in deutschen Haushalten, 2015 schon rund 2 Millionen. „Gerade bei Mountainbikes werden vermehrt Elektromotoren eingebaut“, beobachtet auch René Filippek. Verständlich, den Berg herunterzurasen hat ja immer mehr Spaß gemacht, als ihn dann per Rad wieder umständlich zu erklimmen.
Mehrgewicht könnte Schäden schneller entstehen lassen
Mein Favoriet ist aus dem Jahr 1979. Kann das alte Hollandrad überhaupt den Schritt ins elektrische 21. Jahrhundert schaffen? „Der Rahmen wird durch den eingebauten Motor stärker belastet und ist darauf nicht unbedingt ausgerichtet“, sagt René Filippek vom ADFC. Das Mehrgewicht des Motors könnte Schäden schneller entstehen lassen, gerade wenn das Fahrrad mal in einen Unfall verwickelt war. Das war das Favoriet mal in den Achtzigern, sagt mein Vater.
Der Experte steht dem Umrüsten eher kritisch gegenüber. Er gibt zu bedenken: „Das Umrüsten ist für den Laden auch ein rechtliches Risiko“, sagt Broda, er gelte jetzt als Hersteller und müsse bei Schäden haften. Er rät lieber zu einem kompletten Neukauf.
Montags baden Frauen, zum FKK-Schwimmen kommen Schwule und abends duschen Flüchtlinge. Im Stadtbad Berlin-Neukölln hat jede Gruppe ihre eigene Zeit. Wie sollen wir zusammen leben, wenn wir nicht zusammen planschen können? Dieser Frage gehen wir nach in der taz.am wochenende vom 27./28. Februar 2016. Außerdem: Die Feministin Laurie Penny im Gespräch über die Macht von Science-Fiction und die Schwierigkeit, ein Vorbild zu sein. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Mein Favoriet hat eine Rücktrittbremse und ein Dreiganggetriebe. Das müsste für den Elektroantrieb raus, denn an der Hinterradnabe ist der Platz für den Motor reserviert. Ist das Rad dann grundsaniert und glänzend, muss auch ein gutes Schloss angeschafft werden. Sonst mag man es vor lauter Sorge um das 1.000-Euro-Smartwheel nicht mehr abends auf der Straße anketten.
Wie sieht die Zukunft des Pedelecs aus? Matthias Broda vom Aceteam glaubt an das Elektrorad. Sie könnten den Stadtverkehr entlasten. Seine Räder sollen nachhaltig sein. Und schön. Vor allem auch schön. Broda ist ein Ästhet. Er schwärmt von leistungsstärkeren Akkus, von Antrieben, die mit verschiedenen Gangschaltungen kompatibel sind. „Der Markt verändert sich im Moment sehr stark“, sagt Broda. Und die Entwicklungen sind auch sehr schnell. Schon im Herbst kommen neue Modelle heraus, mit denen sich noch mehr verschiedene Räder umbauen lassen.
Vielleicht ist die erste Investition in das Favoriet ein unplattbarer Reifen aus Spezialkautschuk. Dann ist erst einmal das ewige Flicken abgewendet. Der große Umbau wartet noch auf den technischen Fortschritt, dass die Antriebe leichter und günstiger werden. Und damit zumindest die Gangschaltung fürs Fahrgefühl erhalten bleibt. So lange stemmen sich das Favoriet und ich noch den Märzstürmen entgegen.
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