Widerstand im Körper: Über miteinander verbundene Kämpfe
Unsere Autorin findet: Wer sich gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt einsetzt, ist nah an den Menschen, die im Iran nach Freiheit rufen.
W enn man denn hinsieht, sieht man Bilder, die man nicht vergisst: Die Mädchen, die ihr Tuch abgelegt haben, die auf die Tafel in ihrem Klassenraum blicken, deren langes Haar ihren Rücken bedeckt und deren Mittelfinger sich gegen die alten Männer des Regimes erhebt. Die Frauen, die in Solidarität ihre Haare abschneiden, mit Zorn auf der Stirn und weit geöffneten Mündern. Die Fotos und Videos von Jîna Mahsa Amini, von Nika Shakarami, von Sarina Esmaeilzadeh und von den vielen, deren Namen hier nicht angekommen sind.
Ich würde sagen, dass ich eine freie Frau bin, meistens. Eine, die aus Sehnsucht nach Leichtigkeit nach Süden fährt und auf dem Rückweg den Koffer voller Steine hat. Die am Tag nach der Wahl in Italien die ligurischen Hügel betrachtet und sich fragt, ob eine Landschaft auch dann noch schön ist, wenn sie im Faschismus liegt. Ich bin eine von denen, die vor den Nachrichten weglaufen, die kurz auf Pause drücken und sich dabei sorgen, dass aus zwei Wochen Wegsehen aus Erschöpfung Monate der Ignoranz aus Bequemlichkeit werden.
Ich bin eine freie Frau, die sich jeden Sommer über sich selbst ärgert, wenn sie das kurze Kleid anzieht und dann doch wieder aus, obwohl sie es liebt. Ich bin eine, die mit Anfang 30 übt, ihre Beine nicht ständig zu überschlagen, sondern sie parallel nebeneinander zu stellen und den Blick auf die eigenen Schenkel auszuhalten. Eine, die das Wort Freiheit oft gehört hat, zuletzt immer öfter so fürchterlich missbraucht, dass sie sich diese Freiheit vorstellt wie einen pappigen Zwetschgenknödel ohne Füllung.
Viel sein dürfen
Ich bin eine Frau, die viele ist und sein darf. Ich bin keine, die dabei um ihr Leben fürchten muss. Wenn sie von zornigen Männern angebrüllt wird, sie habe sich zu bedecken. Wenn eine Haarsträhne hervorguckt. Wenn sie auf der Straße tanzt und singt. Keine, deren Schädel und Nase sie zertrümmern, deren Körper sie verscharren. Ich bin nicht die Frau, die zum Gesicht einer Revolution wird, obwohl ihr Gesicht nichts hätte werden sollen – außer älter. Ich bin keine, der verboten wird, das Land ihrer Eltern zu betreten, aber ich bin eine, die so einen Tag fürchtet.
Es fühlt sich weit weg an: Widerstand im Körper zu tragen, nicht als Theorie, sondern als Muskel. Einerseits. Andererseits: Wer gegen die gläserne Decke kämpft und sich an der Ungleichverteilung von Care-Arbeit stößt, wer auf häusliche Gewalt aufmerksam macht, auf Polizeigewalt, wer für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung protestiert und gegen das Sterbenlassen auf den Fluchtrouten nach Europa – wer das tut, ist nah an den Menschen, die im Iran nach Freiheit rufen. Wer das tut, muss die Verbindungen sehen.
Annie Ernaux schreibt in „Erinnerungen eines Mädchens“ von einer Situation, „die seit undenklichen Zeiten überall auf der Welt stattfindet.“ Ich bin eine, die unterstreicht: „Jeden Tag bilden Männer irgendwo auf der Welt einen Kreis um eine Frau, um sie zu steinigen.“
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