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Widerstand gegen RäumungsklageEinfach wohnen

Familie Hacikerimoglu ist die letzte Bewohnerin einer Bremer Schlichtbau-Siedlung. Sie kämpft vor Gericht, um zu bleiben, während drumrum alles schon abgerissen ist.

Adem Hacikerimoglu mit einem seiner sieben Kinder Foto: Benjamin Eichler

BREMEN taz | Im Garten von Familie Hacikerimoglu haben sie schon mal Pflöcke eingeschlagen, die Bauarbeiter der Vonovia. In grellem Pink staksen sie aus der Erde, gleich neben der Schaukel. Es ist ein Statement, das Druck erzeugen soll: Hier soll schon bald ein Neubau stehen, hier ist kein Platz mehr für Adem Hacikerimoglu und seine sieben Kinder. Dass eines von ihnen über die ungesicherten Pfähle stolpern, sich schwer verletzten könnte – der Wohnungsbaukonzern hat das offensichtlich in Kauf genommen. „Da“, sagt Adem Hacikerimoglu, „hört jede Menschlichkeit auf.“

Auf die Hauswand hat jemand „Wohnen ist ein Menschenrecht“ gesprüht, in schwarzen Lettern, mit Verweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes. Die Wohnung dahinter steht schon leer, doch das rote Sofa ist noch da, ein Backgammon-Spiel liegt darauf, als seien Adem Hacikerimoglus Eltern, die hier vor Kurzem noch wohnten, nur eben mal weg gegangen. Als kämen sie bald wieder.

Inzwischen ist die Familie über Bremen verstreut. Die Vonovia hat sie „umgesiedelt“, wie der Wohnungs-Konzern das nennt.

124 Wohnungen gab es hier einmal, in der Holsteiner Straße in Bremen-Walle, alles sogenannte Schlichtbauten. Sie haben nur eine Ofenheizung und kein warmes Wasser, und die Dusche haben Hacikerimoglus selbst eingebaut. Für knapp 100 Quadratmeter zahlen sie heute 420 Euro.

Die älteste Tochter ist mittlerweile 16, das jüngst Kind gerade ein paar Monate alt. Zusammen sind sie die letzten Mieter des letzten Schlichtbaus, der hier noch steht. 2017 gab es hier noch acht bewohnte Wohnungen. Doch bis auf diese eine sind alle Häuser schon abgerissen.

Ich möchte aus eigener Kraft meine Miete bezahlen. Das ist meine Ethik

Adem Hacikerimoglu

Schaut man aus der Küche, schweift der Blick über ein großes Baufeld. Vorn, an der „Dithmarscher Freiheit“ stehen die Bagger, die Fundamente sind schon gegossen, und hinten, vor dem Haus der Hacikerimoglus, haben sie meterhoch den Schutt aufgetürmt.

Fünf Wohnblöcke sollen hier entstehen, handelsübliche Klötze mit Flachdach, angeklebten Balkonen und Aufzug innen drin. Insgesamt 60 Wohnungen, maximal vier Zimmer groß, für rund acht Euro pro Quadratmeter. Voraussichtlicher Mietbeginn: 1. Dezember 2018. So steht es auf der Bautafel, die für den „Waller Heimathafen“ wirbt. „Hier finden Sie Ihr neues Zuhause“, schreibt die Vonovia da. Eine Wohnung, wie sie die Hacikerimoglus bewohnen, wäre dann doppelt so teuer wie jetzt.

Im Februar hat der Konzern ihnen schließlich eine Räumungsklage geschickt. „Wir haben uns mehrere Monate bemüht, eine Einigung mit dem Mieter zu erzielen“, schreibt Max Niklas Gille, der Sprecher der Vonovia. Weil es dazu aber nicht kam, macht der Konzern jetzt Druck. Die Familie hält dagegen. Sie hat Widerspruch eingelegt. Sie will als Härtefall anerkannt werden. Sie will bleiben. Sie will kämpfen.

Der Kampf begann vor zwei Jahren

Zwei Jahre ist es her, da hat dieser Kampf begonnen. Damals, sagt Adem Hacikerimoglu, haben sie sich „ein Versprechen“ gegeben, die BewohnerInnen der Holsteiner Straße. Sie wollten bleiben, alle zusammen, bis zum Schluss. Inzwischen sind alle anderen weg. Zum Beispiel, weil die Vonovia ihnen Angebote gemacht hat, denen sie nicht widerstehen konnten. Wie die genau aussahen, darüber wird nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.

Manche der BewohnerInnen sind aber auch einfach irgendwann gestorben, so wie Frau Osterloh, vor deren letzter Wohnung nun der Wein rankt. Sie war die Nachbarin der Hacikerimoglus. In der Küche kleben noch die Sonnenblumen auf den gelben Fliesen, doch es riecht muffig hier, und feucht, weil keiner mehr einziehen durfte, seit Jahren schon. Eine Modernisierung – auch einzelner Wohnungen – ist „wirtschaftlich nicht darstellbar“, sagt die Vonovia, eine Sicht, die die rot-grüne Bremer Landesregierung übernommen hat.

Adem Hacikerimoglu ist in dieser Siedlung geboren, vor 38 Jahren, sein Vater war ein typischer Gastarbeiter und 45 Jahre bei der Deutschen Bahn. Der Sohn musste erst mal „was Richtiges“ lernen, also wurde er Schlosser bei den Stahlwerken. Nebenher rappte er, und stand 2006 „kurz vor einem Plattenvertrag“, wie er sagt. Doch dann bekam er Krebs, krempelte sein Leben um. Heute ist er Sozialarbeiter bei der Diakonie – „Ich hab ein Helfersyndrom“ – und arbeitet nur noch 20 Stunden in der Woche, „ganz bewusst“, wie er sagt: „Ich will nicht viel verdienen.“

Ein Leben für die Kinder

Luxus bedeutet ihm nicht viel. Jedenfalls macht er ihn nicht glücklich. Ein Leben mit Warmwasser und Zentralheizung hat er – anders als seine Frau – nie geführt, und als der Fernseher kaputt ging, hat er auch keinen neuen mehr angeschafft.

Fragt man ihn nach dem Sinn des Lebens, sagt er: „Wir leben für die Kinder.“ Mehr als sieben sollen es jetzt aber nicht mehr werden. Auch ihm hat die Vonovia Angebote gemacht, eine Vier-Zimmer-Wohnung in Walle etwa, 114 Quadratmeter, mit kleinem Garten, für 1.100 Euro, alles in allem. Auch bei der halbstaatlichen Gewoba hätte er unterkommen können, für 1.400 Euro Miete im Monat. Zu teuer. Und auch mit der Vonovia wurde er sich nie einig.

Am Ende zwingt ihn jede dieser Wohnungen, sich beim Amt anzustellen, und Transferleistungen zu beziehen. „Ich möchte das nicht“, sagt Adem Hacikerimoglu bestimmt: „Ich möchte aus eigener Kraft meine Miete bezahlen.“ Er ist einer, der auf jeden Fall für sein Geld arbeiten will. „Das ist meine eigene Ethik“, sagt er. Die Vonovia wiederum kalkuliert mit der Unterstützung vom Staat: „Wenn es aber diese Möglichkeit gibt – warum sollte man sie dann nicht ausschöpfen? Das ist ja nichts Illegales“, sagte Gille dem Weser-Kurier.

Die Stadt hält sich raus

Am Ende saniert sich der Wohnungsbaukonzern hier also ein Stück weit auf Kosten der Staatskasse, sonnt sich aber in dem Ruhm, ja doch die allenthalben geforderten Wohnungen zu bauen: „Wir sehen die Schaffung neuen Wohnraums als wichtigen Schritt für die Entwicklung des Viertels“, sagt Gille.

Sozialwohnungen werden hier aber keine entstehen. Die Vonovia ist dazu nicht verpflichtet, also macht sie es auch nicht: aus rechtlichen Gründen greift die rot-grüne Sozialwohnungsquote nicht. Der Stadt fehlt also die Handhabe. Und aus dem Streit hält sie sich eh heraus: „Es ist Aufgabe der Eigentümerin, für ihre Mieterinnen und Mieter alternativen Wohnraum anzubieten“, sagte der grüne Bausenator Joachim Lohse im Parlament.

„Wir haben viele Angebote gemacht und waren sehr lange im Austausch“, sagt Gille. „Jetzt sprechen nur noch Anwälte“, sagt Hacikerimoglu. Sollte er vor Gericht unterliegen, könnte seine Familie noch Räumungsschutz beantragen, erklärt Anwältin Bianca Rönn, für maximal zwölf Monate.

Deutschland-Fahnen über dem Zaun

Andererseits könne das Gericht theoretisch auch entscheiden, dass das Mietverhältnis auf unbefristete Zeit fortbesteht, so Rönn – „theoretisch zumindest“. Und zwar dann, wenn die Hacikerimoglus vor Gericht zwar unterliegen, die Richter aber den Widerspruch gegen die Räumungsklage für begründet halten, aus Härtefallgründen.

Zugleich betont die Anwältin, betont Adem Hacikerimoglu immer wieder, dass man an einer „gütlichen Einigung“ interessiert sei und „immer bereit, Gespräche zu führen“. Die Vonovia erklärt: „Es ist uns wichtig, möglichst zeitnah eine Lösung für die Situation zu finden“. Geht der Rechtsstreit durch mehrere Instanzen, wird daraus nichts.

Derweil hat Adem Hacikerimoglu den Weg hinter seinem Haus erst mal verbarrikadiert, über dem Zaun hängen ein paar Deutschland-Fahnen. Nur, damit nicht wieder Leute vor dem Tür stehen, und nach Altmetall suchen, oder etwas anderem, was sich zu Geld machen lässt.

Bobbycars in Reih und Glied

700 Quadratmeter hat der Garten der Hacikerimoglus, in der Mitte steht ein großer Tisch, unter einem Pavillon, dahinter ein altes Sofa, neben der Rutsche und der Hütte, die seine Frau mal gebaut hat, und vor dem Zaun parken Bobbycars und Roller in Reih und Glied. In der Haustür der Familie ist das Glas gesprungen, repariert wird das nicht mehr.

Nach Einschätzung der Vonovia, und das sagt auch der Senat, „ist ein gesundes Wohnen in dieser Wohnanlage nicht mehr möglich“, nach Einschätzung der CDU ist es „menschenunwürdig“, hier zu wohnen. Ein Erhalt der drei Schlichtbau-Siedlungen war politisch ohnehin nie gewollt, mittlerweile gibt es nur eh noch eine, im Stadtteil Sebaldsbrück; auch sie gehört der Vonovia und soll verkauft werden, irgendwann.

Ob er enttäuscht sei, dass der Kampf der BewohnerInnen gegen die Vonovia auseinanderfiel? Adem Hacikerimoglu nimmt einen Schluck Tee, überlegt lange. Nein, sagt er dann, aber „traurig“. Weil sie ihr Versprechen nicht gehalten haben. „Die Menschen lassen sich vom Geld leiten, nicht von Menschen.“Er will im Sommer erst einmal seine Wohnung renovieren.

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