Widerstand gegen Putschregime in Myanmar: Generäle verlieren die Kontrolle
Die Militärjunta erleidet mit dem militärischen Verlust der wichtigen Grenzstadt Myawaddy eine weitere Niederlage. Die Kampfmoral der Truppen sinkt.
Augenzeugen bestätigten dies gegenüber Agenturen. 200 Soldaten zogen sich nach Rebellenangaben an eine Brücke zurück, die über den Grenzfluss Moie zur benachbarten thailändischen Stadt Mae Sot führt. Offenbar wollen sie fliehen.
Thailand hat sein Militär dort bereits verstärkt. Schon am Wochenende hatte Myanmar mit Erlaubnis der Regierung in Bangkok ein Flugzeug nach Mae Sot geschickt, um geflohene Juntakräfte nach Myanmar zurückzubringen. Doch flog der Jet thailändischen Medien zufolge wieder ohne Passagiere zurück.
Dienstagabend hatten die Rebellen ihren finalen Angriff auf die Stadt gestartet, nachdem Gespräche über eine Kapitulation des Bataillons ergebnislos waren. Der Angriff löste eine Flucht von Zivilisten über die Grenzbrücke aus. Nach thailändischen Angaben verdoppelte sich dort die Zahl der Einreisenden ins Königreich.
Rebellen kontrollieren auch die Straße nach Myawaddy
Erst am letzten Wochenende hatten die Rebellen den Stützpunkt eines Bataillons in Thin Gan Nyi Naung einige Dutzend Kilometer westlich von Myawaddy eingenommen. Dabei kapitulierten die 400 Verteidiger, die bisher den Zugang zur Grenzstadt kontrollierten, mit 200 Familienangehörigen. Die Rebellen erbeuteten so zahlreiche Waffen und Munition.
Myawaddy hat etwa 60.000 Einwohner und ist vom Handelsvolumen her der wichtigste Grenzort zu Thailand. In den letzten Jahren waren in der Umgebung der Stadt dort zahlreiche Kasinos und Cyberbetrugsfabriken entstanden, an denen das Militär mutmaßlich mitverdiente.
Empfohlener externer Inhalt
Vom Hinterland ist die Stadt nur über eine einzige große Straße erreichbar. Da diese jetzt Rebellen kontrollieren, konnte das Militär, das wegen seines Mehrfrontenkrieges landesweit unter Druck steht, seine Truppen nicht verstärken und nur noch einige Luftangriffe fliegen.
Auf Thailands Seite der Grenze leben zum Teil seit Jahrzehnten 90.000 Flüchtlinge aus Myanmar, dem einstigen Birma. Viele gehören zur Minderheit der Karen, von denen viele Christen sind. Die Karen National Union (KNU) und ihr militärischer Arm KNLA kämpfen seit der Unabhängigkeit des Landes 1948 gegen die Zentralregierung und sind die am längsten Widerstand leistenden ethnischen Rebellen im Land.
Alte Rebellen, junge Aktivisten: ein erfolgreiches Bündnis
KNU und KNLA haben seit dem Putsch 2021 viele untergetauchte Aktivisten aus den Städten militärisch trainiert. Umgekehrt haben die zum Teil gut gebildeten Städter ethnischen Rebellen geholfen, nicht nur ihre eigene Waffenproduktion etwa mittels 3D-Drucker zu verstärken, sondern auch schlagkräftige Drohnen zu bauen.
Vor einer Woche wurde erstmals die vom Militär strategisch im Landesinneren platzierte neue Hauptstadt Naypyitaw mit einem Dutzend Drohnen von Rebellen angegriffen. Ziele waren der Flughafen und der Sitz des Putschführers Min Aung Hlaing.
Zwar schoss das Militär nach eigenen Angaben alle Drohnen ab. Dennoch war der beispiellose Angriff ein psychologischer Schlag gegen die Junta. Denn er zeigt ihren Kontrollverlust. Sie gerät immer stärker in die Defensive, nicht zuletzt, weil auch die Kampfmoral der Soldaten sinkt, nicht zuletzt, weil sich auch die Armut der Bevölkerung angesichts der vom Putsch ausgelösten Wirtschaftkrise vergrößert hat.
Umgekehrt konnten die hoch motivierten Rebellen, die keinerlei Unterstützung ausländischer Mächte erhalten, seitdem viele Waffen erobern. Die Junta versucht ihre Truppen jetzt mit einer Wehrpflicht zu verstärken. Doch treibt diese manche Wehrpflichtige auch in die Arme der Rebellen.
Am Donnerstag haben auch in Myanmars Norden mit der Kachin Independent Army (KIA) verbündete Rebellen eigenen Angaben zufolge eine wichtigen Militärstützpunkt erobert. Von dort hatte das Militär den Zugang zur Stadt Hpakant kontrolliert, dem wichtigstem Ort zum Abbau wertvoller Jade. Die erfolgreiche Offensive der anti-diktatorischen Rebellen hatte Ende Oktober im Shan-Staat begonnen.
Thailand rechnet mit vielen weiteren Flüchtlingen
Laut der renommierten myanmarischen Menschenrechtsorganisation AAPPB sind seit dem Putsch am 1. Februar 2021 insgesamt 4.882 Zivilisten vom Militär getötet und 26.510 festgenommen worden, 20.337 sind noch in Haft. 164 Personen wurden seitdem zum Tode verurteilt. Angaben über die militärischen Verluste beider Seiten gibt es nicht, sie dürften aber in die Zehntausende gehen. Es gibt laut UN-Nothilfeageuntur Ocha inwischen mehr als 2,8 Millionen Binnenflüchtlinge.
Thailands Außenminister Parnpree Bahiddha-Nukara erklärte diese Woche, sein Land sei zur Aufnahme von (weiteren) 100.000 Flüchtlingen aus Myanmar bereit. Die Flüchtlinge dürfen aber meist die Grenzregion nicht verlassen und haben kaum legale Arbeitsmöglichkeiten. Das macht sie leicht ausbeutbar.
Laut thailändischen Medienberichten ist die Grenzstadt Mae Sot, wo sehr viele Flüchtlinge aus Myanmar leben, der beliebteste Stationierungsort für thailändische Polizisten. Denn hier lässt sich von Flüchtlingen aus Myanmar leicht Geld erpressen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP