: Wider das Haus der Schreie
Hamburger Initiative gegen Genitalverstümmelung in Äthiopien ■ Von Natascha Peleikis
Ihnen wird erzählt, es sei der schönste Tag ihres Lebens. Sie bekommen ein neues Kleid geschenkt, es gibt ein besonderes Essen, und ihre Mütter bringen sie an einen besonderen Ort. In Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, nennt man diesen Ort „das Haus der Schreie“, nur wissen die Mädchen das nicht. Sie sind zwischen sechs Monaten und 14 Jahren alt, niemand erklärt ihnen, was passieren wird, niemand bereitet sie auf die Schmerzen vor. Nach diesem Tag leiden sie häufig ein Leben lang.
Bei den drei Millionen Afar in Äthiopien ist die „pharaonische“ Beschneidung Tradition. Die Klitoris wird entfernt, auch die Schamlippen. Die Wundränder werden mit Dornen zusammengesteckt und die Beine vier Wochen lang zusammengebunden, damit die Wunde zusammenwächst. „Religiöse Gründe“, lautet die häufigste Erklärung für die Genitalverstümmelung, praktiziert wird sie aber unabhängig von religiöser Zugehörigkeit.
Hier setzt der Hamburger Abenteurer und Menschenrechtler Rüdiger Nehberg an. Zusammen mit seiner Lebenspartnerin Annette Weber dokumentierte er in Äthiopien die Beschneidungspraxis. Von der Idee einer „Pro-Islamischen Allianz gegen die Genitalverstümmelung bei Frauen“ (PIA) überzeugten sie als ersten Aziz Alkazaz, Mitarbeiter des Orient-Instituts in Hamburg. „Weder erwähnt der Koran die Mädchenbeschneidung, noch ist sie aus islamischen Schriften abzuleiten“, so Alkazaz. Die Genitalverstümmelung sei Gottesanmaßung und Diskriminierung des Islam.
Auf ihre Initiative hin beschloss eine Versammlung aus politischen und religiösen Führern sowie je einer Frau aus den 29 Provinzen der islamischen Afar einstimmig, „dass die bei den Afar-Völkern ererbte schlechte Tradition der Mädchenbeschneidung und der Behandlung der Genitalien nicht mit der islamischen Schari'a und der allgemeinen menschlichen Natur zu vereinbaren ist...“ Richter und islamische Gerichte seien nun verpflichtet, die Anordnungen durchzusetzen, Zuwiderhandlungen müssten dem islamischen Gericht angezeigt werden.
Die Einhaltung des neuen Stammesgesetzes schätzt Ali Mekla Dabala, der als Dolmetscher mit bei den Afar war, optimistisch ein: „Immer schon galt das Stammesgesetz mehr als das Landesgesetz.“ Offiziell ist die Genitalverstümmelung in Äthiopien verboten, praktiziert wurde sie dennoch.
Als nächste Schritte planen Nehberg und Weber einen Film und einen Vortrag vor der Organization of African Unity (OAU) in Addis Abeba und den Universitäten in Kairo und Karthoum. Sie hoffen zudem, sagten sie gestern in Hamburg bei der Vorstellung des Projekts, ihr Filmmaterial über den arabischen Fernsehsender Al-Dschasira verbreiten zu können. Für die Afar wollen sie eine ambulante Krankenstation sowie eine mobile Schule einrichten.
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