Whistleblower und die CIA: Wikileaks fühlt sich verfolgt
Laut Twitter-Account der Whistleblower-Seite werden ihre Macher gerade intensiv überwacht - angeblich von der CIA. Grund sei die geplante Veröffentlichung von Pentagon-Videos.
Es klingt nach einem Agententhriller: Wie im Twitter-Feed von Wikileaks beschrieben wird, sieht sich das Whistleblower-Portal, das seit 2006 mehr als eine Million zumeist geheimer Dokumente von Regierungen und Unternehmen veröffentlicht hat, aktuell Angriffen seitens amerikanischer Dienste ausgesetzt. "Gegen Wikileaks findet gerade eine aggressive amerikanische und isländische Überwachungsaktion statt. Wir werden verfolgt, es wird fotografiert, gefilmt und es gab Festnahmen", so die offenbar von Wikileaks-Sprecher Julian Assange verfasste Mitteilung vom Dienstag.
Am Donnerstag seien zwei Personen "unter diplomatischem Schutz des US-Außenministeriums" Assange von Island nach Norwegen gefolgt, hieß es weiter. Während einer Verhaftung eines nicht näher bezeichneten Mitarbeiters von Wikileaks habe dieser "geheime Fotos von unseren Produktionstreffen" gezeigt bekommen. Hinter der Aktion stecke offenbar die CIA. "Wir haben die Flugdaten der Verfolger des US-Außenministeriums/der CIA. Glaubt nicht, dass ihr damit durchkommt", so eine weitere Twitter-Nachricht.
Grund für das Vorgehen gegen Wikileaks soll laut der Macher Filmmaterial "vom 5. April" sein. Dabei soll es sich um ein Video handeln, das einen Militärschlag zeigt. Das US-Klatschblog "Gawker" spekulierte, es handele sich vermutlich um unzensierte Bilder eines Luftangriffes in Afghanistan, bei dem fast 100 Zivilisten getötet wurden. Allerdings fand diese Operation, die in den USA gerade untersucht wird und in der sich das Pentagon ursprünglich mit eigenem, zensierten Videomaterial verteidigen wollte, am 7. Mai statt. (Möglicherweise handelt es sich beim 5. April aber auch um den Veröffentlichungstermin bei Wikileaks.)
Bereits vor zehn Tagen hatten die Wikileaks-Macher behauptet, das Pentagon versuche, die Arbeit der Seite zu unterdrücken. Demnach soll das Gegenspionage-Zentrum der US-Armee, das ACIC, bereits 2008 eine Analyse über die Whistleblower-Seite verfasst haben. Dabei ging es um geheime Dokumente zum Lager Guantanamo Bay und zu Militärschlägen im Irak. Die Wikileaks-Infos seien zwar teilweise lücken- und fehlerhaft, so das ACIC, aber dennoch geeignet, ausländischen Diensten und Terroristen Hilfestellung zu leisten. Aus diesem Grund müsse man versuchen, Wikileaks unglaubwürdig zu machen oder möglichen Informanten aufs Schärfste mit Enttarnung drohen. Technisch sei dem Angebot aber kaum beizukommen, da die Macher es ständig anpassten.
Es ist schwierig, die im Wikileaks-Twitter-Feed gemachten Aussagen zur angeblichen Überwachungsaktion zu verifizieren. Julian Assange, der einzige namentlich bekannte Wikileaks-Mitarbeiter, war per E-Mail zunächst nicht zu erreichen. Laut einem Bericht der britischen Boulevardzeitung Daily Mail wollte das Pentagon den Vorfall am Mittwochabend nicht kommentieren.
Ein Vertreter der norwegischen Journalistenorganisation SKUP, die investigative Recherchen fördert, im Wikileaks-Twitter-Feed namentlich erwähnt wird und Sprecher Julian Assange vor wenigen Tagen zu einer Konferenz nach Norwegen eingeladen hatte, konnte sich auf Anfrage von taz.de nicht näher zu der Sache äußern. "Wir wissen nur, dass Assange verfolgt und überwacht wurde, wie er uns sagte", so der Sprecher. Informationen über eine angebliche 22-stündige Verhaftung eines Wikileaks-Mitarbeiters inklusive Beschlagnahme eines Computers, von der im Twitter-Feed ebenfalls die Rede ist, besitze er nicht. "Wir werden uns die Sache jetzt aber näher ansehen. Wenn sie stimmt, werden wir nicht zögern, rechtliche Schritten zu unternehmen. So etwas ist völlig inakzeptabel."
Das Wikileaks-Projekt, das in der Vergangenheit auch schon mit professionellen Medien wie dem deutschen Magazin Stern zusammenarbeitete, befindet sich aktuell sowieso in einem Ausnahmezustand. Das Projekt hat im Dezember seinen Regelbetrieb bis auf die Annahme neuer Dokumente eingestellt, um eine groß angelegte Spendenaktion zu untermauern. Seither sind aber nur 360.000 Dollar des Jahresbudgets von 600.000 Dollar eingegangen. Aus diesem Grund ist derzeit nur ein kleiner Teil des Archivs der Seite zugänglich. Darunter sind aber durchaus brisante Infos - so unter anderem die Gläubigerliste des bankrotten isländischen Bankhauses Kaupthing. Mit Island verbindet Wikileaks eine besondere Beziehung: Das Land soll nach der schweren Finanzkrise zu einem "Datenfreihafen" mit starken Schutzregeln für Journalisten und Whistleblower werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus