Wetterkatastrophe in Libyen: Halbe Stadt ins Meer gespült

Tausende Tote, Zehntausend vermisst: Die Flutkatastrophe in Libyen trifft das Land umso mehr, als es seit zwölf Jahren von Konflikten gebeutelt ist.

Autos liegen auf dem Rücken in einer Straßenschlucht, die von Schlamm durchzogen ist

Allein in Darna wurden bis Dienstagnachmittag mehr als 2.300 Tote gemeldet Foto: afp

MARRAKESCH taz | Zu Fuß schlagen sie sich durch von Wassermassen zerstörte Straßenzüge: Soldaten, Sanitäter und Freiwillige, die nach Überlebenden suchen. Zu sehen sind sie in Videos aus der ostlibyschen Stadt Darna, die libysche Rettungskräfte veröffentlicht haben. Die Bilder lassen die Katastrophen und Konflikte im Kriegsland Libyen der vergangenen zwölf Jahre fast harmlos erscheinen.

Weil Telefon und Strom ausgefallen sind, dringt das Ausmaß des Infernos nur langsam an die Weltöffentlichkeit. Sicher ist bereits jetzt: Durch die Überschwemmungen im Osten Libyens sind Tausende Menschen ums Leben gekommen. Rettungskräfte meldeten am Dienstag allein aus der Hafenstadt Darna mehr als 2.300 Tote und rund 7.000 Verletzte.

Mehr als 5.000 Menschen würden noch vermisst, teilte ein Sprecher der libyschen Not- und Rettungsdienste mit. Am späten Dienstagnachmittag erklärte ein Sprecher des Innenministerium, insgesamt seien rund 5200 Menschen gestorben. 10.000 Menschen gelten als vermisst.

Am Sonntag hatten nach starken Regenfällen aus den Bergen kommende Wassermassen die direkt an der Mittelmeerküste gelegene Hafenstadt Darna überflutet und sich ihren Weg ins Meer gesucht. Dabei wurde die halbe Stadt förmlich mitgerissen. Es sind die schwersten jemals gemessenen Regenfällen im Land.

Es ist kaum zu fassen

Als am Sonntag das Sturmtief „Daniel“ bereits mehrere Stunden lang über der an Ägypten angrenzenden Cyrenaika-Provinz gewütet hatte, geschah gegen 14 Uhr das zuvor Unvorstellbare: Zwei in den achtziger Jahren gebaute Staudämme gaben den Wassermassen nach und brachen. Auf den wenigen intakten Bürgersteigen und Straßen der Stadt liegen nun Hunderte Leichen, wie Videos zeigen. Auch in der ebenfalls betroffenen etwas weiter westlich gelegenen Stadt al-Baida stehen die Straßen auch am Dienstag noch mehrere Meter hoch unter Wasser. Tausende Menschen werden vermisst.

Selbst für Libyer ist die Dimension des Geschehens kaum zu fassen. „Es könnte ja sein, dass die Zahl von 10.000 Vermissten aus politischen Gründen aufgebläht wurde, zum Beispiel, um Hilfsgelder zu erlangen“, hatte der Arzt Ali Masednah Kotani noch am Sonntag gegenüber der taz vermutet.

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Erst als der aus dem benachbarten Tobruk stammende Mediziner Luftaufnahmen von Darna sah, wich die Skepsis dem Entsetzen. Auf den Bildern ist zu sehen, dass der gesamte östliche Teil der Stadt fehlt. „Drei Stadtteile wurden einfach ins Meer gespült“, berichtet auch Mohamed al-Mneina, ein Fotograf aus Darna, der taz.

Die Einwohner wurden gewarnt

„Am Samstag rief mich unsere Bereichsleiterin für Darna an“, berichtet Amal al-Hadsch aus der libyschen Hauptstadt Tripolis. Sie hat das „Netzwerk libyscher Frauen“ mitbegründet, das Milizen und korrupte Politiker aus der Regierung verdrängen will. „Sie sagte, dass die Bewohner von Darna vom Katas­trophenschutz und von Medien vor dem kommenden Sturm gewarnt wurden“, erzählt al-Hadsch am Telefon. „Sogar von Evakuierung war die Rede. Doch sie glaubte, mit ihrer Familie im achten Stock ihres Wohnhauses sicher zu sein.“

Über überlebende Nachbarn hat al-Hadsch mittlerweile herausgefunden, dass ihre Kollegin zusammen mit ihren drei Kindern, ihrem Ehemann und Nachbarn von der Flutwelle erfasst und ins Meer gespült wurde.

Aktivisten wie al-Hadsch kritisieren seit Langem, dass die zerstrittenen Behörden in Ost- und Westlibyen keine Maßnahmen gegen die zunehmenden Folgen des Klimawandels treffen. Das Land ist nach dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 im Chaos versunken und seit Jahren faktisch zweigeteilt.

Das Risiko für Krankheiten steigt

Der designierte Regierungschef der Ostregion, Osama Hammad, hat Darna nach dem Unglück zu einem Katastrophengebiet erklärt, während die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung in Tripolis am Montag eine dreitägige Staatstrauer ausrief. Sie beschwor die „Einigkeit aller Libyer“ angesichts der Katastrophe. Aus Tripolis machten sich Hilfskonvois auf den Weg Richtung Osten.

Stündlich werden derzeit Leichen aus dem Hafenbecken geholt, berichtet al-Hadsch weiter. Wie viele Vertreter der Zivilgesellschaft hat sie eine Spendenkampagne gestartet. Aus dem gesamten Land sind private Konvois mit Hilfsgütern unterwegs in das Flutgebiet. Dort drohen durch das stehende Wasser nun Infektionskrankheiten, die eine Evakuierung der gesamten Region notwendig machen könnten.

„Ich erhalte stündlich Hilferufe von Menschen, die vom Wasser eingeschlossen sind, sagt Amal al-Hadsch. Sie ist wütend, dass noch keine internationalen Hilfsaktionen angelaufen sind. „Die libyschen Behörden haben keine Erfahrung mit einer derartigen Situation. Warum kann die EU keine Schiffe über das Mittelmeer schicken?“

Rettungsaktionen verlaufen nur schleppend

Während die Welt noch auf die vielen Opfer des Erdbebens in Marokko blickt und in Marrakesch weitere internationale Journalisten eintreffen, läuft die dringend notwendige internationale Rettungsaktion für die Betroffenen der Überschwemmungen in Ostlibyen nur schleppend an.

Bisher haben nur wenige Staaten Hilfe auf den Weg gebracht. Die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate haben Transportflugzeuge Richtung Ostlibyen geschickt. Italien hat ein Rettungsteam in die betroffenen Gebiete gesandt. In Deutschland hat das Technische Hilfswerk Hilfslieferungen vorbereitet, um die Bevölkerung in den überschwemmten Gebieten zu unterstützen. „Wir werden Zelte mit Beleuchtung, Feldbetten, Decken, Isomatten, Schlafsäcke, Stromgeneratoren sowie Hygienematerial anbieten“, erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb am Dienstag im Internetdienst X (früher Twitter): „Unsere Gedanken sind bei allen Betroffenen und ihren Familien.“ Zu möglichen Hilfsleistungen stehe die Bundesregierung mit den Vereinten Nationen sowie Partnerstaaten in Kontakt.

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