Wettbewerb aktueller Jüdischer Musik: Auf der Suche nach dem „Urquell“

Die Hannoversche Villa Seligmann veranstaltet Samstag einen Kompositionswettbewerb für aktuelle jüdische Musik. Und fragt nach „originär Jüdischen“.

Saxophonist John Zorn in Hamburgs Elbphilharmonie

Vertritt eine „radikale jüdische Kultur“: John Zorn (r.) in der Hamburger Elbphilharmonie Foto: Daniel Dittus

HAMBURG taz | Dieses Haus steht voller Orgeln. Sie entstammen der Synagogen­orgel-Sammlung von Andor Izsák. Dieser eröffnete im Jahr 2012 die Villa Seligmann, benannt nach ihrem ersten Eigentümer, als Haus für jüdische Musik in Hannover. Schon 2006 hatte eine ebenfalls nach Seligmann benannte Stiftung die Immobilie erworben. Izsák, selbst Professor dort, dockte das Haus dann an die örtliche Musikhochschule an – ausdrücklich, um die Bedeutung der nach der Shoah vergessenen Synagogalmusik zu zementieren.

So schien gesetzt, dass das repräsentative Zeugnis jüdischen Stadtbürgertums vor 1933 ein Forschungs- und Aufführungsort für historische Musik würde. Mit dem 2018 berufenen Eliah Sakakushev-von Bismarck suchte Izsák sich dann bewusst einen der Gegenwart zugewandten Nachfolger; der zum Beispiel wissen will, wie sich zeitgenössische jüdische Musik hierzulande entwickelt.

Um das zu ergründen, hat der langjährige Orchestercellist gemeinsam mit dem Verein „Global Partnership“ den Kompositionswettbewerb „Aktuelle Jüdische Musik in Deutschland“ ausgerufen, der soeben endete. „Zunächst dachte ich nur an Klassik und Synagogalmusik“, sagt Sakakushev-von Bismarck. Im Dialog mit Anke Biedenkapp von „Global Partnership“ habe sich dann ergeben, dass es sinnvoll wäre, auch Jazz und Pop zu berücksichtigen. Der Wettbewerb sollte Teil der „Europäischen Route des Jüdischen Kulturerbes“ sein: Die Idee, diese Route von Hannover aus in Deutschland zu verankern, war Biedenkapp im Zuge von Hannovers Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 gekommen.

„Kulturrouten“ gibt es seit 35 Jahren, inzwischen sind es 45, gewidmet unter anderem den Wikingern, Napoleon, der Romantik. Die Route des „Jüdischen Erbes“ führt seit 2004 durch 17 Länder, „ohne dass sich deutsche Organisationen daran beteiligten“, sagt Biedenkapp.

Wettbewerb als Teil einer Kulturroute

Das wollte sie ändern, allerdings nicht im Sinne eines Wanderweges, denn die Spuren jüdischen Lebens zögen sich wie eine Art Netz durch Europa, sagt sie. Daher habe man „virtuelle Bausteinen“ konzipiert, um jüdisches Leben zu präsentieren. Und einer davon ist der Kompositionswettbewerb. Drum herum wurde ein kleines Festival geplant, das neben dem Preisträgerkonzert in der Villa auch Klubshows und „Shtetl-Disko“ bietet.

Doppelkonzert Klassik und Jazz: Sa, 7. 5., 21 Uhr; ab 23 Uhr Shetl-Disko, Feinkost Lampe, Hannover

Diskussion „Jüdische Musik in der Erinnerungskultur“, u. a. mit Yuriy Gurzhy, Jean Goldenbaum, Noam Bar: Mo, 9. 5., 19 Uhr, Neues Rathaus Hannover (sowie als Stream: https://youtu.be/2AQ8JJ7r4uk)

Auch der Wettbewerb selbst richtete sich insbesondere an Jüngere, die sich mit dem Judentum identifizieren. Es gehe „um die Denkweise, das Prisma, durch das das Licht der Gegenwart gebrochen wird“, sagt Sakakushev-von Bismarck. „Oder aber man entwickelt Elemente der jüdischen Tradition weiter“, wie es etwa Max Bruch 1880 in Form der Yom-Kippur-Hymne „Kol Nidrei“ getan habe.

Auf die Ausschreibung hin gingen 40 Bewerbungen ein, es wären wohl noch mehr gewesen ohne die Bedingung „unveröffentlichtes Stück“. Jüdisch zu sein war nicht Voraussetzung, gewonnen haben aber vier Menschen jüdischen Hintergrunds: der Frankfurter Komponist Camilo Bornstein, der in Brasilien aufwuchs; der in Berlin lebende israelische Akkordeonist Ira Shiran; die Kölner, aus Moskau stammende Dirigentin und Pianistin Ekaterina Margolin sowie die ukrainische Popsängerin Maria Raykhman, wohnhaft in Berlin.

Jüdische Musik spiegelt das jeweilige Umfeld

Für die Jury aus MusikerInnen und KomponistInnen sei „spannend“ gewesen, so Biedenkapp, „dass die Grenzen zwischen jüdischer und nichtjüdischer Musik“ nicht mal für sie selbst „klar definierbar“ seien. „Jüdische Musik lässt sich eigentlich durch das Umfeld bestimmten“, sagt Sakakushev-von Bismarck dazu: „Sie ist eine Schwingung, die im Gesamtkontext der umgebenden Kultur mitklingt. Die osteuropäisch-aschkenasische und die sephardische jüdische Musik unterscheiden sich zum Beispiel stark in ihren Tonarten und Intervallen.“ Sephardische Musik etwa könne nicht nur spanische, sondern auch bulgarische, türkische, griechische Elemente aufweisen.

„Auch was sich derzeit in Israel abspielt, ist spannend“, sagt Sakakushev-von Bismarck: Die dortige Musik sei durch eingewanderte Shoah-Überlebende eher europäisch geprägt. „Aber inzwischen herrscht der nahöstliche Klang als Ausdruck moderner Identität vor.“

Aber gibt es denn den „urjüdischen“ Klang? „Ich denke schon“, sagt Sakakushev-von Bismarck. „Die Urquelle der jüdischen Musik ist die Kantilation der Tora, deren Texte so heilig sind, dass man sie nicht nur aufsagen darf. Forscher vermuten, dass diese nur mündlich überlieferten Modi so oder ähnlich zu Zeiten des ersten Tempels vor 3.500 Jahren gesungen wurden. Für mich haben sie einen deutlich semitischen, also – wenn man so will – jüdischen Klang.“

Wie stark sich die junge Generation diesem Urklang verpflichtet fühlt, wird sich zeigen: in weiteren Wettbewerben und Festivals, die Sakakushev-von Bismark als „Herzensprojekt“ bezeichnet. „Wir wollen Menschen anregen, sich mit jüdischer Identität zu befassen, und wir wollen die Idee der jüdischen Musik weitertragen.“

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