„Westfield Hamburg-Überseequartier“: Junge Frauen mit eckigen Tüten
In bester Hamburger Hafenrand-Lage hat ein globaler Konzern einen Stadtteil im Stadtteil errichten lassen, der keiner ist.
„13 nationale und internationale Architektenteams haben zwischen Speicherstadt und Elbe ein spektakuläres Quartier geschaffen, das sich dennoch nahtlos in Hamburgs jahrhundertealte Tradition als Hafenstadt einfügt“: So was schreibt man der Einfachheit halber selbst und klingt, als wäre wiederholt worden, was die ganze Hafencity mal darstellen sollte. Ein Beispiel für eine Stadtplanung, die vergangene Fehler vermeidet, sich aber auch den Luxus erlaubt, keine Stadt für alle sein zu müssen. Andere sehen hier einfach nur ein neues Einkaufszentrum – das dann auch noch allerlei Probleme mit sich bringt.
Bleiben wir bei Starbucks und H&M: Es sollten eigentlich so ganz andere Marken hier zu finden sein, hieß es, solche, die teils in Europa kaum bekannt oder präsent seien. Scheint nicht geklappt zu haben, unter den derzeit etwas über 100 Geschäften finden sich viele bestens bekannte. Immerhin, über die Hälfte der nun hier vertretenen „Marken und Konzepte“, so zitierte dieser Tage der Norddeutsche Rundfunk die Hausherren, seien bisher nicht in der Hamburger Innenstadt vertreten, ein Drittel sogar neu in der Stadt insgesamt.
Die Besonderheit Mehrere Gebäude mit Wegen dazwischen, kein Zaun außen herum: Einen richtigen Stadtteil will der globale Mall-Konzern Unibail-Rodamco im Hamburger Überseequartier errichtet haben.
Das Zielpublikum Wer nicht zum Einkaufen kommt, geht vielleicht gerne ins Kino? Das nun größte Multiplex der Stadt ist eines der „inspirierenden Kultur- und Freizeitangebote“. Restaurants, Street-Food-Stände und Bars gibt es, Wohnungen und Büros, Wohnen für Ältere, Hotels und einen Anleger für Kreuzfahrtschiffe.
Hindernisse auf dem Weg Geht es nach den Befürwortenden, wird die neue Mall auch die Innenstadt bereichern, der sie erst mal Kaufkraft nimmt: Die Menschen würden von hier nach da flanieren. Dazu müssen sie mehrere (romantische) Wasserwege und (mehrspurige) Straßen überwinden.
Kein bloßes Zahlengeklimper: Der versprochene andere Mix rührt ja direkt an der Sorge, dass das neue Angebot Einkaufswillige abziehen wird von den traditionellen Einkaufsstraßen in der benachbarten City. Oder wird umgekehrt ein Mehr an Menschen gerade auch dem dortigen Einzelhandel zugutekommen? Nach rund einer Woche lässt sich das noch nicht sagen. Vorerst spielen alle Beteiligten ihre eingeübten Rollen weiter, die einen performen Optimismus, darunter auch der Erste Bürgermeister bei der Westfield-Eröffnung, die anderen geben sich besorgter.
Begehrter Hamburger Grund
Fürs Einüben der Rollen war reichlich Zeit: Die Fertigstellung hat sich mehrfach verzögert und mindestens aufs Doppelte verteuert: um die 2,3 Milliarden Euro. Dass mit Unibail-Rodamco ein einzelner Player die Tranche begehrten Hamburger Grunds „entwickeln“ durfte, dekretierte 2014 ein Bürgermeister namens Olaf Scholz: Es durfte nicht noch so eine Hängepartie geben wie, am anderen Ende der Hafencity, die Elbphilharmonie. Vorher waren andere Investoren abgesprungen.
Auch eine Facette dieser Erfolgsgeschichte: Sechs Menschen, Arbeiter aus Osteuropa, kamen bei den Arbeiten ums Leben. Entschädigungen wurden keine gezahlt, Schuld oder auch bloß moralische Verantwortung nicht anerkannt: Es waren ja Sub- oder Sub-Sub-Unternehmer, die da etwas falsch gemacht haben.
An einem sonnigen Mittag im April herrscht Betrieb im neuen Quartier, das so recht eben doch keins ist: Viele Eltern, kleine Kinder wuseln umher. Und es scheinen heute vor allem junge Frauen Bekleidung in großen eckigen Tüten durch die Gänge zu bewegen. Auf mehrere Ebenen verteilen sich die Shops unter Straßenniveau, dann kommen noch Parkdecks.
Dass die erwarteten bis zu 16 Millionen Besucher:innen jährlich halt auch mit dem Auto kommen könnten, das trieb vor Jahren schon einige Anwohner:innen um. Die Luftschadstoffwerte in der Hafencity waren jedenfalls lange vorher regelmäßig schlechter als vielerorts in der Stadt. Immerhin wurde rechtzeitig eine stark frequentierte Buslinie bis zum Westfield verlängert, und U-Bahn-Anschluss hat es auch.
Nicht nur in den sumpfigen Grund wuchert die kleine Einkaufsstadt, auch in die Höhe: Ebene +1, da reihen sich Bars und Street-Food-Küchen, viele bunte Lampions und überhaupt Asien-Anspielung. Bei „The Baby Goat“ ist ein Container verbaut worden (oder wenigstens so getan als ob): nicht dass noch irgendwer vergisst, dass man gerade in einer Hafenstadt sein Bier oder seinen (ehrlich gesagt, überraschend günstigen) doppelten Espresso nimmt.
Gustav Klimt, digital geremixt
Am „Platz des 10. Längengrads“ überschneiden sich Neu-in-Hamburg- und Mehr-als-Shopping-Ansprüche: Mit dem „Port des Lumières“ beherbergt das Westfield „das erste dauerhafte Ausstellungszentrum für immersive Kunst in Hamburg“, was nun ein recht spezifisches Alleinstellungsmerkmal ist. Überwältigt eintauchen lässt sich in digital geremixten Gustav Klimt und Friedensreich Hundertwasser, ein paar von Egon Schieles wohl minderjährigen Prostituierten-Gestalten in über-über-lebensgroß gibt es auch.
Nachhaltiger mag das Geschäftsmodell gleich nebenan sein: Die „Service-Residenz Vilvif“ führt immer mittwochmittags „Gesellschaftsflächen und exemplarische Wohneinheiten“ vor, aber ganz unverbindlich.
Die Handvoll Skater sind nicht lange zu hören in der lauen Frühsommernacht. Ob die Security eine unbekannte Hausordnung durchgesetzt hat, ob die Skater in den geheim gehaltenen Eingeweiden dieser 1970er-Jahre-Hollywood-Dystopien evozierenden Nicht-Stadt verschluckt wurden – oder ob sie schlicht ihr Ziel erreicht haben?
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