Western in Niedersachsen: Altmetall statt blaue Bohnen
In seinem Spielfilmdebüt „Schrotten!“ erzählt Max Zähle von Schrotthändlern, die im niedersächsischen Wald einen Zug ausrauben.
Die kannte er aus seiner Jugend auf dem Land in Niedersachsen, wo sie mit ihren Pritschenwagen noch zum Straßenbild gehörten. Einer seiner Freunde gehörte zu solch einem Clan, und dadurch lernte er diese Subkultur mit ihren eigenen Ritualen, ihrer „Geheimsprache“ Rotwelsch und ihrem starken familiären Zusammenhang kennen.
So viel Exotik mitten in der norddeutschen Provinz ist ein Geschenk für einen Filmemacher. Und es wirkt eben nicht lächerlich, wenn von diesem Milieu mit der dramaturgischen Struktur und den Konventionen eines uramerikanischen Genres erzählt wird. Natürlich ist die Wildnis statt der weiten Prärie ein kleines Wäldchen, bei dem man das Gefühl hat, gleich hinter den Bäumen ist schon die nächste Bundesstraße. Aber genau dieses Spiel damit, ob ein Western im ordentlichen Niedersachsen überhaupt funktionieren kann, macht den Reiz von „Schrotten“ aus.
Und da das Genrekino die Archetypen mag – im Grunde kommt ja alles von den antiken Mythen –, beginnt Zähle mit der Geschichte vom verlorenen Sohn. Mirko Talhammer hat es geschafft, aus den Geschäften seines Familienclans auszusteigen und nach Hamburg zu ziehen, wo er als Verkäufer in einer Versicherung arbeitet. Doch schnell stellt sich heraus, dass er mit einem Schneeballsystem seinen Kunden das Geld aus der Tasche zieht.
Man kann einen Menschen aus seinem Milieu holen, aber nicht das Milieu aus einem Menschen. Seine Verwandten müssen ihn aus seinem Büro entführen, damit er zum Begräbnis seines Vaters zurück zum heimatlichen Schrottplatz kommt. Aber nachdem er sich dort ordentlich mit seinem Bruder Letscho geprügelt hat, gehört er wieder zur Familie.
In den Filmen von Howard Hawks beginnt eine wunderbare Freundschaft immer mit einer Schlägerei und Zähle arbeitet gerne und gut mit solchen Zitaten von den alten Meistern – der erste Satz des Films stammt aus „Der Pate“.
Der Schrottplatz des Clans ist so gut wie bankrott, weil es schlicht keinen Schrott mehr zu sammeln gibt. Es bleibt nur ein Ausweg: Man stiehlt das Altmetall, und zwar einen ganzen Waggon davon, der von einem Zug auf offener Strecke abgekoppelt werden soll. Hier zahlt sich Mirkos gute Ausbildung aus, denn er kann genau berechnen, welches Gewicht die eigens dafür neu verlegten Gleise tragen können müssen. Die Beute sind immerhin 40 Tonnen Kupfer.
Max Zähle versichert im Gespräch, dass dieser Bahnraub physikalisch so möglich wäre. Kriminologisch ist er natürlich ein Witz, denn deutlichere Spuren als in einem Wäldchen verlegte Gleise und die Spuren der Täterfahrzeuge im weichen Waldboden kann sich die Polizei kaum wünschen.
Aber nach den Regeln des Genres sind solche Löcher in der Plausibilität gestattet, solange sie nicht zu offensichtlich sind und der inneren Logik der Geschichte zuwiderlaufen. Wichtiger ist, dass es mit einem mächtigen Recyclingunternehmer, der den Schrottplatz der Familie Talhammer nach deren Bankrott plattmachen will, einen schön öligen Schurken gibt und das es zu einem spannenden Showdown auf dem Schrottplatz kommt.
Max Zähle hat 2010 mit „Raju“, seinem Abschlussfilm an der Hamburg Media School, einen Studenten-Oscar gewonnen. Danach hat er einige Folgen der NDR-Serie „Großstadtrevier“ inszeniert. „Schrotten!“ ist sein Langfilmdebüt, an dem er fünf Jahre lang gearbeitet hat. Er hat ein Talent dafür, seine Charaktere oft nur mit kleinen Gesten und wenigen Sätzen präsent wirken zu lassen.
So spielt etwa Lars Rudolph eine Nebenfigur mit dem schönen Spitznamen „Träumchen“. Er hat nur zwei oder drei Auftritte, steht als ein Mitglied des Familienclans meist nur am Rand und ist doch so interessant gezeichnet, dass man fast enttäuscht ist, weil nicht mehr von ihm erzählt wird.
Lucas Gregorowicz und Frederick Lau sind als die Gebrüder Talhammer perfekt gecastet, aber keiner von ihnen ist eindeutig der Sympathieträger des Films. Stattdessen ist „Schrotten!“ ein Ensemblefilm, in dem die Schrotthändler als eine zugleich verschworene und verschrobene Gemeinschaft gefeiert werden.
Gedreht wurde der Film in Celle, dessen Fachwerkhäuserfronten so schmuck ausgestellt werden, dass es im Film selber sogar einen ironischen Seitenhieb darauf gibt. Vor allem aber gibt es in der Umgebung von Celle noch viele Schrotthändler und einer von ihnen entwickelte sich zum Förderer des Filmprojekts.
Er selber bekam die kleine Rolle des Patriarchen der Familie, der am Anfang des Films stirbt. Für die Aufnahmen von seiner Trauerfeier haben sich tatsächlich viele von seinen Kollegen versammelt. Er hatte also das zweifelhafte Vergnügen, eine Preview seiner eigenen Beerdigung zu erleben.
Auf seinem Betriebshof wurden jene Szenen gedreht, die auf der Recyclinganlage des mächtigen Konkurrenten der Familie Talhammer spielen. Deren Schrottplatz musste extra für den Film gebaut werden, denn er ist eher ein Märchenort, in dem die Metallberge idyllisch in die Landschaft platziert sind und eine Razzia der Polizei wie ein Angriff auf ein Westernfort wirkt.
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