Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft: Die Ecowas schrumpft
Die Ecowas verliert drei Mitglieder. Die Militärregierungen von Mali, Burkina Faso und Niger wollen austreten. Die Organisation weiß davon noch nichts.
Weiter heißt es, dass die Organisation Mali 2012 im Kampf gegen terroristische Gruppierungen nicht unterstützt habe. Die damalige Entwicklung gilt als Auslöser für die schwere Sicherheitskrise im Sahel. Aufgrund der Ausbreitung von Terrorbewegungen, die dem „Islamischen Staat“ (IS) und al-Qaida nahestehen, sind mehr als drei Millionen Menschen auf der Flucht. Gewalt gegen die Zivilbevölkerung geht allerdings auch von staatlichen Sicherheitskräften aus.
In ihrer Erklärung betonen die Staats- und Regierungschefs der drei Sahel-Staaten außerdem, sie wollten Verantwortung für die Geschichte übernehmen und auf Erwartungen, Sorgen und Sehnsüchte der Bevölkerung reagieren. Die Wortwahl erinnert an den in der Region hoch verehrten burkinischen Nationalhelden Thomas Sankara, der nach einem Putsch 1983 die Macht übernahm und im Oktober 1987 ermordet wurde. In seiner berühmten Rede vor den Vereinten Nationen betonte auch er, Burkina Faso wolle sein Schicksal künftig selbst in die Hand nehmen.
Im Kurznachrichtendienst X gab die Ecowas bekannt, bisher nicht formell über den Austritt informiert worden zu sein. Atiku Abubakar, der bei der Präsidentschaftswahl in Nigeria im vergangenen Jahr hinter Bola Tinubu Zweiter wurde, nannte die Entwicklung „besorgniserregend“. Es handele sich um einen ernsthaften diplomatischen Zusammenbruch.
Nigerias Präsident Tinubu, der aktuell Vorsitzender der Organisation ist, äußerte sich bisher nicht. Er befindet sich privat in Frankreich. Auch andere Staats- und Regierungschefs haben die Entwicklung noch nicht kommentiert.
Mali ignorierte Forderungen der Ecowas
Mit der Ankündigung erreichen die Spannungen zwischen der Regionalorganisation und den drei Sahel-Staaten einen neuen Höhepunkt. Seit dem ersten Putsch im August 2020 in Mali hat die Ecowas Wahlen und somit die Rückkehr zu einer zivilen Regierung gefordert. Mali ignorierte das mehrfach und setzte dafür erarbeitete Zeitpläne mehrfach aus. Vor zwei Jahren verhängte Sanktionen änderten daran nichts, sondern schürten innerhalb der Bevölkerung die Wut auf die Ecowas. Vermittlungen scheiterten.
Ungewohnt deutlich wurde der regionale Block nach dem Putsch in Niger im Juli 2023. Tinubu drohte mit einer Militärintervention, zu der es jedoch nie kam. Wirtschaftssanktionen bestehen allerdings weiterhin, wozu auch eine geschlossene Grenze zum südlichen Nachbarland Benin gehört. Lebensmittelpreise sind gestiegen. Hilfsorganisationen warnten in den vergangenen Monaten mehrfach, dass auch medizinische Produkte knapp werden und sich verteuern, weil kein Nachschub ins Land kommt.
Die Kritik an dem regionalen Zusammenschluss, der einst wirtschaftliche Beziehungen vereinfachen wollte, ist allerdings nicht neu. Beispielsweise kritisierten Aktivist:innen, dass die Organisation Verfassungsänderungen zulasse, damit Präsident:innen länger als vorgesehen an der Macht bleiben können. Das betraf die Elfenbeinküste und Togo.
Die Ecowas gilt auf dem Kontinent als stärkste Regionalorganisation. Zentral ist das Protokoll zur Personenfreizügigkeit aus dem Jahr 1979. Es regelt, dass Ecowas-Bewohner:innen innerhalb der Region keinen Reisepass brauchen, sich bis zu 90 Tage ohne Visum in allen Mitgliedstaaten aufhalten und ihren Wohnsitz frei wählen können.
Bisher hat es erst einen Austritt gegeben: Gründungsmitglied Mauretanien verließ die Organisation im Jahr 2000. Seit 2019 gibt es allerdings wieder ein Kooperationsabkommen. Eins der Ziele der Ecowas ist es, die Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung zu stärken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin