Westafrika entdeckt lokale Küche: Essen wie Gott in Mali
Ibrahim Tounkara schwört auf Fonio, eine Hirsesorte. Lucia Allah-Assogba verkauft nur Lokales. Doch mit Pizzas und Burger können sie sich nicht messen.
M ittagszeit im Quartier du Fleuve, gelegen im Zentrum von Malis Hauptstadt Bamako: An den Straßenrändern stehen Frauen und verkaufen Obst und Gemüse. Junge Männer schieben schwere Karren mit gebrauchten Schuhen, Altmetall oder Abfall durch die Straßen. Ständig hupen Sammeltaxen potenzielle Fahrgäste an.
Etwas versteckt findet sich das Restaurant Bafing – es ist der Name eines 800 Kilometer langen Flusses, der durch Mali und Guinea fließt – hinter einer offenen hellblauen Tür. Der Inhaber Ibrahim Tounkara sitzt mitten im Gastraum an einem kleinen Holztisch. An den Wänden hängen verblasste Poster, die die so typischen hellbraunen Lehmbauten zeigen. Unter den Gästen sind Malier*innen wie Europäer*innen.
Tounkara hört einer Videokonferenz zu, kommentiert die Gesprächsbeiträge und macht sich manchmal Notizen. Zwischendurch zeigt er auf eine immer wieder auftauchende kleine rote Schnecke. Sie ist auf dem neben ihm liegenden weißen Papier zu sehen. Auch in seinem Büro, in dem sich Zeitungen, Bücher und Papiere stapeln, darf das kleine Kriechtier nicht fehlen.
Slow Food in Bamako: Ibrahim Tounkara macht's vor
„Unser Zeichen“, sagt er über die Schnecke, steht diese doch für Slow Food. Die Anhänger*innen dieser internationalen Bewegung setzen sich für genussvolles, bewusstes und regionales Essen ein. Tounkara, ein hagerer Mann im weißen Hemd und mit dickem, schwarzem Brillengestell, ist seit zwölf Jahren ihr Repräsentant im westafrikanischen Mali.
Tounkara zieht die Schublade seines Tisches auf und sucht ein paar Broschüren heraus. Es geht um Gärten, besondere Anbaumethoden für die Sahel-Region und die Philosophie der 1989 in Italien gegründeten Bewegung. Ziel ist es, Nahrungsmittel in guter Qualität zu produzieren, die Erzeuger*innen fair zu bezahlen und vor allem lokale Produkte zu verarbeiten. „Wir bereiten das zu, was uns die Erde gibt.“
Um zu zeigen, wie reichhaltig die Ernte in dem Sahelstaat Mali sein kann, holt er mehrere Päckchen mit winzigen Körnern hervor. Für Couscous – Grieß, der oft aus Weizen hergestellt und vor allem in Nordafrika konsumiert wird – sind sie aber zu dunkel. „Das ist Fonio“, sagt er und lässt den Inhalt durch seine Hände rieseln.
Bei Fonio handelt es sich um westafrikanische Hirse, die frei von Gluten sind und die Chance haben, sich zum westafrikanischen Superfood zu entwickeln. Seit einigen Monaten stehen sie abgepackt in Geschäften und auf Speisekarten. Fonio wird nicht nur in Mali, sondern auch in Ghana, Togo und Benin gegessen. In Europa, vor allem in Großbritannien und Frankreich, bieten einige Versandhändler Fonio bereits an. „Die bereite ich heute zusammen mit einer Erdnusssauce zu“, sagt Tounkara und deutet auf die schwarze Tür, die zur Restaurantküche führt.
Lokales Essen gibt es in Westafrika überall. Verkauft wird es meist am Straßenrand und in Garküchen. Neben Reis werden oft feste Breis aus Mais-, Yams- oder Reismehl mit dickflüssiger Sauce gegessen, die stundenlang gekocht werden. Sie machen zwar satt, haben aber nur wenig Nährwert. Es ist ein schnelles Essen in der Mittagspause. Doch in zahlreichen Restaurants hat internationales Fastfood die lokale Küche verdrängt. Mehr als Fisch, Hühnchen, Kartoffeln und Salat stehen dort nicht auf der Speisekarte, allenfalls manchmal ein oder zwei lokale Gerichte. Eines davon ist häufig Poulet Yassa.
Es handelt sich ein scharfes mariniertes Hühnchen mit Zitrone und Zwiebeln. Seinen Ursprung hat das Gericht im Senegal. Als Zweites findet sich oft Poulet Bicyclettes. Das „Fahrradhühnchen“, wie der Ausdruck wörtlich übersetzt bedeutet, steht für lokales Geflügel, das in der Vergangenheit durch die billigen Massenimporte von Tiefkühlware aus Europa verdrängt worden ist. Überall zu finden sind stattdessen Pizza, Burger, Pommes und Cola.
In der nigerianischen Hafenmetropole Lagos wurde 2009 das erste Schnellrestaurant der Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken sogar vom damaligen Kommissar für Handel und Industrie eröffnet. Es galt viele Wochen danach noch als Attraktion. Dabei existieren in Nigeria seit Jahrzehnten schon lokale Fastfoodketten wie Mr. Bigg’s, Kilimanjaro und Tantalizers. In der ivorischen Wirtschaftszentrum Abidjan hat Burger King vor ein paar Jahren eine Reihe von Filialen errichtet. Die Investitionen scheinen sich zu lohnen: Ein Besuch im Fastfood-Lokal ist ein Familienausflug am Wochenende wert und Statussymbol für die wachsende Mittelschicht.
Im Restaurant Bafing verzieht Ibrahim Tounkara bei dem Gedanken, anstatt Fonio Burger oder Pizza essen zu müssen, das Gesicht. Es sei der immer gleiche fade Geschmack, der ihn abschreckt, sagt er. Beim Kochen am heimischen Herd in Westafrika entsteht dieser Geschmack, weil weniger mit losen Gewürzen, sondern viel mit Brühwürfeln von Maggi oder Jumbo gekocht wird. Überall im Fernsehen, im Radio und am Straßenrand wird dafür geworben. Tounkara beklagt die von Fastfood ausgehenden Risiken wie Übergewicht und Diabetes. „Doch das haben viele Menschen bisher nicht begriffen“, seufzt Malis erster Slow-Food-Repräsentant.
Die „Ernährungsapotheke“ von Lomé
Knapp 1.800 Kilometer südöstlich von Bamako, in Togos Hauptstadt Lomé, erinnert sich Lucia Allah-Assogba an den Tod eines nahen Verwandten. „Es war 2013 und er ist an Nierenversagen gestorben“, sagt er, ohne auf Details einzugehen. Während sie das erzählt, hält die junge Frau im beige-orangen Kleid einen kurzen Moment inne. Der Vorfall ließ die heute 29-Jährige nicht los, weshalb sie entschied: Sie muss etwas für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Togoer*innen tun. Die sieben Millionen Menschen sollten zu ihren Wurzeln der traditionellen Ernährung zurückkehren, glaubt Allah-Assogba. „Die falsche Ernährung ist die Ursache für die meisten Krankheiten.“
Lucia Allah-Assogba sitzt auf einer schmalen Holzbank in ihrem Geschäft Togosime, was übersetzt „der Markt von Togo“ bedeutet. Auf die großen Banner, die im Laden und neben dem Eingang hängen, hat sie außerdem die Geschäftsphilosophie drucken lassen: „Ihre Ernährungsapotheke“ ist in großen Lettern zu lesen. In der Parallelstraße wird gebaut, und manchmal muss sie laut gegen den Lärm der Lastwagen ansprechen. An der Kasse bedient Verkaufsleiter Eric Assigbe gerade eine Kundin, die Fonio gekauft hat. Er notiert den Einkauf.
Mit dem Aufbau des Unternehmens hat Allah-Assogba begonnen, als sie gerade einmal 21 Jahre alt war. Wenn sie sich an die ersten Monate erinnert, lacht sie. Die meisten Regale seien leer geblieben, hatte sie doch nur gut zehn Produkte im Angebot: Öl, ein paar selbstgebackene Plätzchen, Moringa. Auch diese Pflanze ist in der Region höchst beliebt, wird als Tee getrunken, in Saucen gemischt und beim Aufpäppeln von Babys eingesetzt. Der Geschmack ist bitter und recht gewöhnungsbedürftig.
Trotzdem waren die wenigen Produkte für die Unternehmerin allemal besser als ein Ersatz aus Europa, China oder den USA, den es in den teuren und gut klimatisierten Supermärkten überall zu kaufen gibt. Wer genügend Geld hat, kann sich in Westafrika Schokolade aus der Schweiz, Hundefutter aus Belgien oder Wein aus Argentinien leisten, von zahlreichen Angeboten aus Frankreich, der einstigen Kolonialmacht, ganz abgesehen. Durch die Kette Shoprite kommen in den anglophonen Ländern vermehrt südafrikanische Produkte auf den Markt. Nur vor Ort oder in der Region Hergestelltes lässt sich so gut wie nirgends finden. Die Ausnahme machten bisher vor allem Säfte und Nüsse.
Noch immer haben lokale Produkte keinen guten Ruf. Die Qualität sei schlechter als die der importierten Ware, wird kritisiert. Die Verpackung ist alles andere als ansprechend. Immer wieder sind es muffige Papiertüten, die die Inhalte mehr verstecken als präsentieren. Überhaupt ist die Beschaffung von stabilen Tüten und Dosen eine Herausforderung. Vor allem aber erfüllt die Ware die Kriterien für Supermärkte oft nicht. Dazu gehört, dass sie einen Barcode sowie ein Herstellungs- und ein Mindesthaltbarkeitsdatum haben müssen, in einer Mindestmenge angeboten werden und die Produkte nachgekauft werden können. Zusätzlich hemmt die schlechte Infrastruktur den Vertrieb außerhalb der Wirtschaftszentren und Hauptstädten.
Lucia Allah-Assogba, Ladenbesitzerin in Lomé
Lucia Allah-Assogba hat sich davon nicht abschrecken lassen und lokal produzierten Lebensmitteln eine Chance gegeben. „Produktion alleine hilft nichts. Es braucht Vermarktungsstrukturen.“ Togosime besitzt mittlerweile zwei Geschäfte und einen Lieferservice. Sollte es im laufenden Jahr trotz Corona gut laufen, könnte zum Jahresende der nächste Laden eröffnet werden. Denn das Angebot wächst stetig.
Die Geschäftsfrau dreht sich um und zeigt auf die längst gut gefüllten Regale aus hellem Holz. „Wir haben mehr als 600 Produkte von 150 Anbietern.“ Es wird geschätzt, dass es in Togo insgesamt 700 bis 800 lokal produzierte und verpackte Produkte gibt; Gemüse, Fleisch, Obst und Fisch, was auf den Märkten und an der Straße verkauft wird nicht mitgerechnet.
Auf einem Regal in der Mitte bleibt der Blick haften. Dort stehen mehrere Flaschen Sekt und Wein, aber es sind ganz besondere Getränke. Palmwein ist zwar überall entlang der westafrikanischen Küste bekannt und wird oft am Straßenrand in kleinen Kanistern verkauft. Qualität und Stärke sind aber sehr unterschiedlich. Togosime bietet auch Weißwein aus Ananas und Rotwein aus Bissap an. Üblicherweise werden die getrockneten Hibiskusblüten zu Saft verarbeitet, der auf Kleidung und Tischdecken dunkelrote Flecken hinterlässt. Doch auch daraus lässt sich Wein gewinnen. Dieser heißt „Jour et Nuit“, ist in braune Flaschen abgefüllt und hat einen holzigen, etwas erdigen Geschmack, der mitunter außerdem an Zimt, Kardamom oder Muskat erinnert. Dieser Wein ist zwar doch geschmacklich ein ganz anderer als jener aus Weintrauben. Sicher ist jedoch eins: Er ist hundertprozentig „Made in Togo“.
Für ihren Unternehmergeist hat Lucia Allah-Assogba zahlreiche Auszeichnungen erhalten; unter anderem den Preis der jungen Unternehmer*innen der internationalen Organisation der Francophonie. Das war 2017 und stand in Verbindung mit einer Reise nach Paris, die ihr viel bedeutet hat. Denn endlich akzeptierte auch ihre Familie ihre Leidenschaft fürs Lokale und sieht es als Erfolgskonzept für ihr Fortkommen. „Ich war gut in der Schule, habe Jura studiert und alle erwarteten, dass ich als Juristin arbeite. Togosime galt als Verschwendung meines Talents. Es gab Momente, in denen meine Eltern nicht mehr mit mir gesprochen haben“, erinnert sich Lucia Allah-Assogba, die heute längst über die Grenzen ihres Heimatlandes bekannt ist und in diesem Jahr an einem Workshop für Jungunternehmer*innen im Senegal teilnehmen wird.
Zurück in Bamako: Ein Mitarbeiter von Ibrahim Tounkara serviert die Erdnusssauce in einer kleinen Schale. Wer möchte, kann etwas Fleisch dazu bestellen. Den Fonio hat er auf einem Porzellanteller gebracht. Diese Sorte hat einen intensiveren, etwas nussigen Eigengeschmack als Couscous aus Nordafrika. Zu kaufen gibt es ihn in verschiedenen Variationen. Vor allem als Beilage eignet sich die Vollkorn-Variante gut. Aus den feinkörnigeren Sorten lassen sich indes gut Breie herstellen.
Ibrahim Tounkara, Slow-Food-Restaurantbesitzer in Malis Hauptstadt Bamako
Für Tounkara, der aus der Region um die Stadt Gao im Norden stammt, könnte die Hirseart auch einen wichtigen Beitrag gegen Mangelernährung leisten. Er steht von seinem Holztisch mitten im Restaurant auf und kommt mit wild gewachsenem Fonio herüber, der etwas dunkler ist. Er gilt als das Essen der Armen. „Er wächst auf Tausenden Hektar im Norden. Doch niemand erntet ihn“, bedauert Tounkara.
Obwohl die Flächen entlang des Nigers fruchtbar sind und sich Gemüse und Getreide gut anbauen lassen, sind durch die unsichere Lage Nahrungsmittel knapp. Aus Angst vor Überfällen und Angriffen durch Banditen, Terroristen und bewaffnete Selbstverteidigungsmilizen liegen vor allem im Norden und Zentrum Malis viele Felder brach. Bedingt durch den Klimawandel lassen sich zudem Regenfälle immer weniger vorhersagen, was den Anbau erschwert. Das Kinderhilfswerks Unicef schätzt, dass mindestens ein Viertel der malischen Kinder an chronischer Unterernährung leidet.
Zum Abschluss führt Ibrahim Tounkara in die Küche. Schwere Pfannen hängen an den Wänden. In dem langgezogenen weiß gefliesten Raum spült eine Küchenhilfe Geschirr ab. Die beiden Kellner sorgen dafür, dass das Essen ansehnlich angerichtet und zügig serviert wird. Außer Fonio gibt es heute Avocado-Salat, Fisch und Pommes. Dabei steht donnerstags üblicherweise Widjila auf der Speisekarte. Es sind gedünstete Brotbällchen, die mit Fleisch und Sauce gegessen werden und aus der Region Timbuktu kommen. Tausend Kilometer weiter südwestlich ist das Traditionsgericht nur selten zu finden, weshalb Bafing als Geheimtipp gilt.
Hühnchen mit Mango oder Fakoye sind gerade gestrichen
Doch in Coronazeiten musste Tounkara seine Karte zusammenstreichen. Auch Hühnchen mit Mango oder Fakoye bietet er nicht mehr täglich an. Bei Letzterem handelt es sich um ein Gericht, das an flüssigen Spinat erinnert und aus Muskraut zubereitet wird. Auch das wird vorwiegend im Norden gegessen.
Am Slow-Food-Gedanken hält er dennoch fest. „Selbst in der Provinz erlebe ich, dass lokaler Konsum ein Thema ist.“ Das spiegeln die zahlreichen Initiativen, die in ganz Westafrika in den vergangenen Jahren entstanden sind. Die westafrikanische Währungsunion UEMOA ernannte den vergangenen Oktober sogar zum Monat des lokalen Konsums und warb in den Mitgliedstaaten dafür.
An einem mangelt es dennoch: an echtem politischem Willen. „Ich hisse seit zwölf Jahren überall in der Welt die Flagge für malische Produkte. Eine finanzielle Unterstützung habe ich dafür aber nie erhalten“, bedauert Ibrahim Tounkara, bevor er den nächsten Teller mit Avocadosalat dekoriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren