
Tiefseebergbau im Pazifik: Streit um die Trüffel des Meeres
Wertvolle Metalle liegen auf dem Meeresgrund des Pazifik. Die Regierung der Cookinseln plant, sie abbauen zu lassen. Für viele ein strittiger Plan.
S ie sehen aus wie Trüffelknollen. Schwarze Kugeln, etwa fünf Zentimeter im Durchmesser, mit einer rauen Oberfläche. Sie ruhen in einer Schale auf dem Tisch des Sitzungszimmers der Behörde für Meeresbodenmineralien auf Rarotonga, der Hauptinsel der Cookinseln. „Nehmen sie nur eine mit“, sagt Behördenmitarbeiter John Parianos freundlich. „Wir haben genügend davon – Milliarden, Abermilliarden.“
Polymetallische Knollen sind Gesteinskreationen, geladen etwa mit Mangan, Nickel, Kobalt oder Kupfer, entstanden über Jahrmillionen auf dem Grund des Pazifiks in Tiefen von bis zu 6.000 Metern. In der Schale auf dem Tisch liegt ebenfalls ein Haifischzahn, an dem sich im Lauf der Zeit Metalle angelagert haben. Er stammt von einem längst ausgestorbenen wahrhaftigen Monster der Tiefe – der Zahn ist um ein Vielfaches größer als der Zahn eines Hais der Gegenwart, der danebenliegt.
Die Regierung der Cookinseln sieht die wirtschaftliche Zukunft ihres kleinen Staats mit nur 17.500 Einwohnern Tausende Meter tief unter der Meeresoberfläche. Können diese schwarzen Knollen aus der Tiefe das Überleben der pazifischen Inselstaaten sichern – von denen viele von Abwanderung, Klimawandel und dem steigenden Meeresspiegel bedroht sind? Sind sie die Antwort auf die Frage, wie die Menschheit in Zukunft an die enormen Mengen von Metallen gelangen kann, die für den Bau von Batterien für E-Autos, Windturbinen, Mobiltelefonen und Röntgengeräten nötig sind? Oder sind sie trügerisches Katzengold, wie Kritiker glauben, ein Traum, der niemals Wirklichkeit werden wird – oder werden darf? Keine andere Frage spaltet die Gesellschaft im „Paradies“, wie die Menschen auf den Cookinseln ihre Heimat gerne nennen, so wie diese.
John Parianos, ein Mittfünfziger mit grauem Bart und sonorer, freundlicher Stimme, erklärt anhand von drei wissenschaftlichen Karten die Geologie in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone, einer Bruchzone in der ozeanischen Kruste im Zentralpazifik. Hier liegt ein Fokus des Tiefseebergbaus. „Wir sind erst in der Testphase“, meint der Experte. „Nur wenn Unternehmen beweisen können, dass sie den Rohstoff umweltgerecht abbauen können, werden sie eine Lizenz erhalten.“
Umweltschützer:innen reagieren auf solche Aussagen mit Skepsis. Greenpeace bezeichnet den Tiefseebergbau als umweltschädigend und nicht nachhaltig. Kelvin Passfield von der Nichtregierungsorganisation Te Ipukarea auf Rarotonga sagt, es sei „nicht bewiesen, dass der Abbau von Mineralien vom Meeresboden das Ökosystem nicht maßgeblich schädigen wird“. Ferngesteuerte Roboter, die, einem gigantischen Staubsauger ähnlich, die Knollen vom Meeresboden entfernen, könnten „das Orientierungssystem von Tieren stören, die Schlammwolken Korallen und andere Lebewesen ersticken“. Wo einmal ein Testroboter gefahren sei, gebe es kein Leben mehr, sagt Passfield, das bewiesen Unterwasserfotos.
Bedeutende Kohlenstoffsenke
Warnende Worte kommen auch aus der Klimawissenschaft. Der Tiefseeboden ist eine wichtige Kohlenstoffsenke – hier lagert in feinen Sedimentschichten über Millionen Jahre angesammelter organischer Kohlenstoff. Der Bergbau wühlt diese Schichten auf. Die dabei freigesetzten organischen Partikel könnten durch mikrobielle Zersetzung zu CO2 umgewandelt werden – ein Teil davon würde schließlich über den Ozean in die Atmosphäre gelangen. Zudem binden spezifische Lebensräume der Tiefsee wie Kaltwasserkorallen, Schwämme und Bakterienmatten langfristig CO2. Bergbauaktivitäten können diese Ökosysteme dauerhaft schädigen oder gar zerstören. Damit würde ihre Fähigkeit zur Kohlenstoffbindung verringert oder unterbunden.
Im Hafen von Rarotonga durchbricht das Knattern eines schweren Dieselmotors die Nachmittagsstille. Die „Anuanua Moana“ bereitet sich zum Auslaufen vor. Sie ist eines von zwei Forschungsschiffen, die das Hoheitsgebiet der 17 Inseln im Archipel nach den Knollen absuchen und deren Lage kartografieren. In ihren Gewässern – ganze zwei Millionen Quadratkilometer – kann die Regierung der Cookinseln mehr oder weniger tun, was sie will. Im Gegensatz zu internationalen Gewässern, die von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) reguliert werden.
Geschichte Die Cookinseln blicken auf ein über tausend Jahre altes polynesisches Erbe zurück. Damals siedelten sich seefahrende Vorfahren von Tahiti, Samoa und Tonga hier an. Laut mündlicher Überlieferung gehörte der legendäre Entdecker Ru zu den ersten Siedlern; er soll von Tupua’i (im heutigen Französisch-Polynesien) auf die Insel Aitutaki gereist sein.
James Cook Der erste europäische Kontakt erfolgte 1595, als der spanische Seefahrer Álvaro de Mendaña das Atoll Pukapuka sichtete. In den 1770er Jahren kartierte der britische Entdecker James Cook mehrere der Inseln. Die heutige Namensgebung stammt von russischen Kartografen aus den 1820er Jahren, die die Inselgruppe zu Ehren Cooks benannten.
Die Briten Im Laufe des 19. Jahrhunderts führten vor allem Missionare der London Missionary Society das Christentum auf den Inseln ein. 1888 wurden die Cookinseln zum britischen Protektorat, um einer französischen Annexion zuvorzukommen. 1901 übertrug Großbritannien die Verwaltungsverantwortung an Neuseeland.
Unabhängigkeit Seit 1965 sind die Cookinseln ein autonomer Inselstaat in freier Assoziierung mit Neuseeland. Sie regeln ihre inneren Angelegenheiten selbst, während Neuseeland für Verteidigung und Teile der Außenpolitik zuständig ist. Alle Cookinsulaner:nnen haben einen neuseeländischen Pass.
Premierminister Mark Brown steht enthusiastisch hinter dem Projekt. Er erhofft sich für sein Land eine goldene Zukunft als globaler Förderer von Mineralien – eine Alternative zum die Wirtschaft dominierenden Tourismus. Die parlamentarische Opposition steht den Plänen kritisch gegenüber – sie fürchtet die möglichen Folgen für die Umwelt.
Nicht nur auf den Cookinseln, auch in der internationalen Gemeinschaft herrscht große Zurückhaltung gegenüber dem Tiefseebergbau. Mehr als 30 Länder hatten dessen Verbot gefordert oder zumindest ein bedingtes Moratorium. Auch die deutsche Bundesregierung erklärte bereits im November 2023, sie unterstütze einen vorsorglichen Stopp des Tiefseebergbaus in internationalen Gewässern, solange nicht strenge, wissenschaftlich fundierte Umweltstandards bestünden und die langfristigen Auswirkungen auf Ökosysteme und das Klima umfassend erforscht seien. Bekannte Firmen wie Google, BMW, Apple und Samsung verpflichten sich, keine derart geförderten Rohstoffe zu verwenden, bis die Folgen für die Umwelt klar seien.
Trump prescht vor
Trotz dieser wachsenden Dynamik beim Schutz der Tiefsee konnten sich Regierungen im Juli 2025 zum Abschluss der 30. Sitzung der ISA nicht auf ein Moratorium einigen. Der Grund sei primär in Washington zu finden, sagen Beobachter:innen. Denn im April hatte US-Präsident Donald Trump mit einer weitreichenden Executive Order eine neue Etappe im weltweiten Ressourcenwettlauf ausgerufen.
Die Executive Order mit dem Titel „Unleashing America’s Offshore Critical Minerals and Resources“ (etwa: Freisetzung von Amerikas kritischen Offshoremineralien und -rohstoffen) beauftragt US-Behörden, Genehmigungen für die Erkundung und Förderung von Tiefseerohstoffen massiv zu beschleunigen – nicht nur in nationalen Gewässern, sondern auch auf dem offenen Meer, das unter Aufsicht der ISA steht. Washington hat das 1994 in Kraft getretene UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) nicht ratifiziert, das einen umfassenden Rechtsrahmen für die Weltmeere und Ozeane schafft. Das Abkommen regelt die Rechte und Pflichten der Staaten in Bezug auf die Nutzung der Ozeane einschließlich der Schifffahrt, der Ressourcenbewirtschaftung, der meereswissenschaftlichen Forschung und des Umweltschutzes.
Trump präsentierte die Executive Order als Teil seiner sicherheitspolitischen Agenda: „Wir werden nicht zulassen, dass unsere Feinde die Zukunft kontrollieren“, sagte er in einer Rede in Texas. „Die Ozeane gehören dem Volk – nicht irgendwelchen nicht gewählten Bürokraten in Europa.“ Washington sieht in der Maßnahme auch einen strategisch notwendigen Schritt, um Chinas Vormachtstellung im Bereich kritischer Rohstoffe zu brechen.
Die Volksrepublik kontrolliert derzeit rund 70 Prozent der weltweiten Lieferketten seltener Erden. Der Zugang zur Tiefsee wird in Washingtoner Kreisen auch als entscheidend für Amerikas militärische Unabhängigkeit gesehen. So fordert die Executive Order auch eine Prüfung, ob Tiefseerohstoffe künftig in die US-amerikanischen National Defense Stockpiles aufgenommen werden sollen, das sind strategische Reservebestände, die ursprünglich im Kalten Krieg angelegt wurden.
Kanadisches Unternehmen stellt Antrag
Die Executive Order ist auch ein Geschenk an die Industrie: Statt langwieriger Genehmigungsprozesse über die UNO-Institution ISA können Unternehmen nun direkt bei der US-Regierung Anträge auf Ausbeutung der Tiefseeressourcen stellen. Erste Genehmigungen auf Anträge der kanadischen Firma The Metals Company (TMC) könnten in nur 90 Tagen erfolgen, hieß es.
Laut Kritiker:innen etablieren die USA damit de facto ein paralleles Regulierungssystem zu UNCLOS, indem sie mit dem Alleingang die Autorität der ISA infrage stellten, die bislang für alle Aktivitäten jenseits nationaler Seegrenzen zuständig war. Das könnte zu einem Präzedenzfall werden, ist die Befürchtung. „Wenn die USA jetzt unilateral Genehmigungen erteilen, besteht die Gefahr, dass andere Großmächte – etwa China oder Russland – nachziehen“, warnt Rachel Martin vom Center for Strategic and International Studies. „Ein globales regulatorisches Chaos wäre die Folge.“
Verschiedene Regierungen hatten die USA und das kanadische Unternehmen TMC zwar nach der Ankündigung im April für ihr einseitiges Vorgehen kritisiert, konnten sich auf der Sitzung der ISA im Juli aber trotzdem nicht auf einen Bergbaukodex einigen, der die umstrittene Praxis regulieren würde. Aktivist:innen zeigten sich enttäuscht. Es seien entschlossene Maßnahmen erforderlich, um den Ozean und seine Artenvielfalt zu schützen. „Die Regierungen müssen sich der Situation stellen“, erklärte Louisa Casson von Greenpeace International in einem Statement. „Sie sind nach wie vor weit entfernt von den globalen Anliegen und der dringenden Notwendigkeit einer mutigen Führung zum Schutz der Tiefsee.“
„Ich mache mir keine Sorgen“
Für viele Bewohnerinnen und Bewohner der Cookinseln ist die Hoffnung auf Wohlstand aus der Tiefe eine ambivalente Sache. Im Museum und in der Bibliothek von Rarotonga arbeitet Jean Mason an der Katalogisierung eines Bergs staubiger Bücher. Jahrhundertealte Keulen und Speere an der Wand sind Zeugen der reichen Geschichte der kleinen Pazifiknation. Die einen reizt der Glaube an fast unendlichen Reichtum aus der Ausbeutung der Rohstoffe, die anderen fürchten eher die negativen Umweltfolgen.
Jean Mason befürwortet den Abbau: „Ich mache mir keine Sorgen um die Natur“, sagt sie. „Im benachbarten Französisch-Polynesien gab es früher Atomversuche, und wir spüren bis heute nichts davon. Für mich ist wichtiger, dass der Reichtum aus dem Tiefseebergbau auch auf die äußeren Inseln gelangt, wo viele Menschen noch in bitterer Armut leben.“
Die Cookinseln gelten unter Reisenden aus aller Welt als Pazifikparadies, als Ort mit einer fast unberührten Unterwasserwelt. Für die touristisch erschlossenen Inseln im Archipel trifft diese Charakterisierung zweifelsohne zu. Aitutaki, die vielleicht bekannteste der 17 Cookinseln, entspricht komplett dem Klischee einer typischen Südseeinsel mit weißem Sandstrand, Palmen und einer Lagune mit kristallklarem Wasser und bunten Fischen.
Nicht alle profitieren vom Tourismus
Jean Mason stellt die idyllischen Bilder infrage. Sie erzählt von einem Besuch auf einer entfernteren Insel. „Ich war schockiert, als ich 80-jährige Frauen barfuß und mit provisorischen Gehilfen auf Schotterwegen gehen sah“ – weil sie sich nicht einmal Badeschlappen hätten leisten können.
An einem anderen Ort habe sie beobachtet, wie eine alte Frau ihren schwerbehinderten Sohn in einer Schubkarre vor sich hinstieß, weil sie sich keinen Rollstuhl leisten konnte. Für Mason ist klar: „Die Millionen aus dem Tourismus finden ihren Weg nicht zu den einfachen Leuten.“ Die Branche, die rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Cookinseln ausmacht, befinde sich mehrheitlich in den Händen von Ausländern. „Der größte Teil des Gelds fließt nach Übersee“, behauptet Mason. Tatsächlich werden einige der großen Hotelanlagen zumindest zum Teil von ausländischen Investoren kontrolliert.
Norwegen als positives Beispiel
Ob die Gewinne aus dem Tiefseebergbau tatsächlich jemals ihren Weg auf die äußeren, vom Tourismus unberührten und unterprivilegierten Inseln finden werden, bleibt offen. Die Regierung ist sich der Problematik zumindest bewusst. Premierminister Mark Brown will dem Beispiel Norwegens folgen und das Einkommen aus einem zukünftigen Abbau der Rohstoffe über einen Staatsfonds allen Bürgerinnen und Bürgern zukommen lassen.
Bis jedoch vor den Cookinseln die erste Ladung Knollen kommerziell an die Meeresoberfläche gebracht werden kann, dürfte wohl noch einige Zeit vergehen. Falls es überhaupt dazu kommt. Denn der Abbau, Transport und die Verarbeitung wären mit hohen Kosten verbunden, sagen Fachleute. Zudem verfügten weltweit nur wenige Firmen über die hochspezialisierte Ausrüstung, die zur Bergung der Knollen nötig sind.
Das Inselleben geht derweil seinen Gang, es ist Feierabend im Fisherman’s Club auf Rarotonga. Hobbymusikerinnen treffen sich hier, spielen die Ukulele und singen bei Bier und Cola Volkslieder. Bill Carruthers kommt fast jeden Abend mit seinen Kumpels hierher. Zum Trinken, zum Lamentieren. Auf die Frage, was er von Plänen der Regierung halte, in Tausenden Metern Tiefe den Meeresboden abzubaggern, reagiert der 76-Jährige mit deutlichen Worten: „Dass Leute glauben, sie würden auf diese Weise Millionen verdienen, wenn nicht Milliarden, ist totaler Mist.“

Carruthers ist vor 20 Jahren nach Rarotonga gekommen und verliebte sich – in eine Frau und in die Insel. Sein Leben als Weltenbummler und Abenteurer habe ihn gelehrt, „zwischen Realität und Unsinn zu unterscheiden“, sagt er. Er kritisiert nicht nur die mögliche Bedrohung der Umwelt durch den Tiefseebergbau. Nichts treibe ihn so auf die Palme wie die Tatsache, dass selbst in höchsten Regierungskreisen der streng christlichen Cookinseln die Meinung weitverbreitet sei, „Gott habe den Menschen im Pazifik die Knollen geschenkt wie Allah den Muslimen deren Öl “.
Tatsächlich legen in offiziellen Regierungsdokumenten Aussagen führender Cookinsulaner:innen nahe, es sei die Pflicht der Menschen, dieses „göttliche Geschenk“ anzunehmen. Solch „absurden Argumenten“ begegnet „der überzeugte Atheist“ Carruthers stets so: „Der Allah der Araber hat das Öl wenigstens nur in ein paar Dutzend Metern Tiefe gelagert. Der christliche Gott der Cookinseln dagegen hat die Knollen fünf, sechs Kilometer tief im Meer versenkt. Und es braucht eine halbe Ewigkeit, um sie überhaupt zu finden. Das zeigt doch: Allah ist gescheiter.“
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