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Werkschau der provokativen Miriam CahnDer Kaiserring an ihrer Hand aus Knete

Ihre direkte Kunst verarbeitet Bilder von Gewalt. Sie trifft einen Nerv in der Öffentlichkeit. Dafür erhielt Miriam Cahn den Goslarer Kaiserring.

Blick in die Miriam-Cahn-Ausstellung in Goslar mit Kreidezeichnungen aus den 80ern und dem Farbgemälde „flüchtenmüssen“, 2008-2020 Foto: Alec Pein (Goslar)

Man könnte den Titel von Miriam Cahns Gemälde „Fuck Abstraction“ für eine punkige Ansage gegen den Kunstmarkt halten, vielleicht wie die Jungen Wilden in den 80ern: Hin zu einer gegenständlichen Malerei, weg von abgehobenen Farbfeldkompositionen. In einem Interview für den SRF fragte sich die Künstlerin kürzlich, warum Abstraktion „das Ding war in der Kunst. Buchstäblich nur Farbe und Formen“, nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders in Deutschland und Frankreich. „Dass da nichts kommt, von dem, was zuvor in Europa passiert war, von dieser extremen Grausamkeit“.

Doch Miriam Cahns Zeichnungen und Malereien sind weniger eine Kritik am Kunstbetrieb. Der scheint ihr, der heute 75-Jährigen, die zurückgezogen in einem Schweizer Alpendorf lebt, eher egal zu sein. Ihre Bilder sind vielmehr schonungslose Kommentare zu den Geschehnissen auf der Welt, über Liebe, Sex, Gewalt, Verfolgung und Tod. Sie sind weltweit zu sehen, im MoMA, Museo Reina Sofia, auf Kunstmessen, und derzeit im Mönchehaus Goslar.

Manchmal werden ihre Bilder zur öffentlichen Herausforderung. Jenes „Fuck Abstraction“ etwa: Eine muskulöse männliche Gestalt lässt sich darauf von einer kleinen, der die Hände hinterm Rücken verbunden sind, einen Blowjob verpassen. Die Figuren erscheinen in Cahns rundlichen Farbaufstrichen anonym, der Hintergrund ist nur ein einziges Dunkel – „konkret und abstrakt zugleich“ beschreibt der französische Museumsmann Fabrice Hergott ihre Darstellungsart. „Fuck Abstraction“ zeigt Vergewaltigung als Kriegswaffe, es ist Cahns Reaktion auf die Bilder von den russischen Massakern in Butscha, die 2022 durch die Medien gingen. Als Miriam Cahn das Gemälde 2023 im Pariser Palais de ­Tokyo ausstellte, empörten sich rechtsgesinnte Gruppen – Cahn spricht von „Postfaschisten“ – ob solch unschöner Dinge im Museum, deuteten das Bild als Kinderpornografie, zogen mit diesem Vorwurf vor Gericht, und verloren. Dennoch wurde es mit Farbe attackiert. Cahn bestand darauf, das zerstörte Bild hängen zu lassen, nicht zuletzt als Spiegel der aggressiven gesellschaftlichen Stimmung in Frankreich. Die sollte dann ja auch bald eine politische Krise im Land auslösen.

Der mürbe gewordene Kulturbetrieb

Cahns direkte Kunst erregt, ihre klaren Entscheidungen treffen einen empfindlichen Nerv in der Öffentlichkeit. Auch als sie kürzlich mit dem Kaiserring Goslar ausgezeichnet wurde, aber nicht zur Verleihung des renommierten Kunstpreises erschien: Wollte Cahn, deren jüdischer Vater 1933 aus Frankfurt vor den Nazis floh, die noch 2022 in ihrer großen Siegener Ausstellung „Meine Juden“ ein Jüdischsein in Deutschland ansprach, damit wohl ein politisches Zeichen in einem deutschen Kulturbetrieb setzen, der seit der documenta 15 und dem 7. Oktober 2023 sein Verhältnis zum Antisemitismus überdenken muss und davon ganz mürbe geworden ist?

Die Ausstellung

Miriam Cahn: Kaiserring der Stadt Goslar. Mönchehaus Goslar, bis 27. Januar 2025.

Diesmal schien die betagte Frau einfach nicht mehr reisen zu wollen. An ihrer Statt schickte sie ein Kunstwerk nach Goslar, eine Abformung ihres Arms aus Knete. Das rosarote Teil sieht aus wie ein ganzer Schinken. Den kann man nun sehen im Mönchehaus, auch wie der Kaiserring daran prangt. Ihr Arm, ihre Faust, ihr Körper sind auch immer wieder Motiv ihrer feministischen Kunst. Wie auf den menschengroßen düster-existenzialistischen Kreidezeichnungen aus den 80ern.

Voller subtiler Gewalt ist diese Ausstellung in Goslar. Auch eine frühe, andere Version von „Fuck Abstraction“ ist zu sehen, da ähneln die Figuren noch Strichmännchen. Die Titel sind schmerzliche Hinweisgeber: „Mare Nostrum“ nennt Cahn eine kleine Malerei auf Holzgrund. Darauf wird ein Baby in die Luft gehalten, es scheint tot zu sein, der Körper schlaff, die Augen leer, die tragenden Arme verschwinden im Wasser. Das ikonische Medienbild von dem dreijährigen Alan Kurdi, dessen Familie aus dem kriegsgebeutelten Syrien 2015 übers Mittelmeer floh und der leblos am Strand des türkischen Touristenorts Bodrum gefunden wurde, es schwingt da mit. Die Krisen und Kriege derzeit – Nahost, Ukrai­ne, der neue Faschismus –, Cahn holt sie aus der Abstraktion.

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