: We‘re the kids in America
Natürlich gibt es noch Antiamerikanismus. Allein durch Pop-Kultur geht der nicht weg. Doch so lange die Amerikaner cool bleiben, läßt sich auch cool mit ihnen umgehen
von ULRIKE WINKELMANN
(1) Bilder einer ironischen Liebe
Wer schon einmal in New York war, hat nach dem 11. September sofort geschaut, ob er ein selbst geknipstes Foto von den Twin Towers hat. Vielleicht sogar eins von sich mit den Twin Towers im Hintergrund. Bei manchen ist das dann auf dem Sims überm Bett gelandet. In vielen WGs hängt jetzt auch eine Postkarte vom World Trade Center am Küchenschrank. Das Bild der beiden Türme hat nachträglich Andenkencharakter bekommen, und damit wurde es binnen Tagen zu einer kleinen ironischen Anspielung auf eine große Begeisterung: die des deutschen Teenagers in Amerika.
Das Bild ist ein Wiedergänger des kleinen US-Wimpels, der mal hinterm Spiegel steckte, der rot-weiß-blauen Unterwäsche zum Geburtstag, der Kim-Wilde-Single „Kids in America“ zum Mitsingen – all dies kleine Zeichen einer jugendlichen Liebe, die man natürlich nicht ohne Spott, nicht ohne Abgrenzung und nicht ohne gehöriges Bewusstsein pflegte, dass man mit dem US-Patriotismus selbstredend nichts anfangen kann.
(2) Antiamerikanismus der Pop-Sozialisierten
Natürlich gibt es unter komplett pop-sozialisierten Menschen – sprich denen, die, sagen wir: unter 40 sind – Antiamerikanismus, sofern man Antiamerikanismus einfach mal als diffuse Ablehnung betrachtet. Schwierig wird es bei solchen Begriffen ja immer, wenn man sie definieren soll. Antiamerikanismus etwa in der Form, dass man US-Außen- oder Wirtschaftspolitik kritisiert, ist nichts weiter als eine Ablehnung des Anspruchs, dass etwas besser sei, nur weil es offensichtlich stärker ist.
Antiamerikanismus etwa in der Form, dass man die US-öffentliche Reaktion auf den 11. September – all diese Flaggen! – nicht billigt, ist schwieriger einzuordnen, allein schon weil man über Geschmack und Politik gleichzeitig reden muss. Schließlich will man die Gefühle der Menschen ernst nehmen. Aber wenn die Amerikaner ihre Symbole vor Kameras schwingen, sind sie immer so kitschig …
Spätestens hier wird deutlich, dass das Wort Antiamerikanismus absolut nicht taugt, um ein Unbehagen über die mediale Darstellung kultureller Gepflogenheiten wie das Fahnenschwenken zu beschreiben oder zu denunzieren. Wahr aber ist, dass es eine Erwartungshaltung an die USA gibt, sich gefälligst cool zu gebärden. Das können sie doch am besten. Solange sie cool sind, kann man mit ihrem Patriotismus auch cool umgehen, nämlich liebevoll und ironisch.
(3) Dagewesensein
Erst einmal aber ist die Frage, ob es unter pop-sozialisierten Menschen bzw. dem jüngeren Drittel der Gesellschaft Antiamerikanismus gibt oder nicht, nicht ohne Hinweis auf die elfte Klasse zu beantworten. Da machen Gymnasiasten ihre USA-Erfahrung, manche ein ganzes Jahr, andere weniger. Gemäß einer Art Naturgesetz können manche als 16-oder 17-Jährige in die USA fliegen und die meisten nicht, und wenn die wenigen zurückkommen, sind sie Botschafter of Cool. Sie wissen, wie man etwa Frank Zappa, Garbage, und, noch wichtiger: Levi’s und Nike richtig ausspricht, haben wichtige Filme gesehen, viele, viele englische Namen für Geschlechtsteile gelernt und womöglich Autofahren. Und sie wissen, dass Hochhäuser schön sein können.
Andererseits: Gap gibt es jetzt auch in Deutschland. Die Frage des blütenreinen amerikanischen Akzents stellt sich dank englischer Video-Kanäle nicht mehr so wie etwa in den 80ern. Deutsche Jugendliche haben dank South Park und den Simpsons mittlerweile mehr Sorten an imitier- und zitierfähigem Humor zur Verfügung als den von Otto Waalkes. Die Produkte der Pop-Industrie kommen vielleicht noch mit Tagen oder Wochen, aber nicht mehr mit Monaten Verzögerung hier an.
Aber: Das Ineinanderwachsen und Überwuchern von Popwelten ändert nichts daran, dass es aufs Dagewesensein ankommt. Gerade weil Pop-Kultur universal ist, wird sie von ihren Konsumenten in Deutschland überhaupt nicht mehr als eigentlich – was heißt schon eigentlich? – amerikanisch wahrgenommen. Das heißt, dass eine positive Haltung zu den USA gar nichts mit ihrem vermutlich erfolgreichsten Exportartikel zu tun hat.
(4) Widerstand im Land
Sondern mit der Erfahrung, dass die Amerikaner ihre eigenen Widerstände gleich mitproduzieren. Nein, nicht die in Europa oder anderswo, sondern die im Land. Das Coole an Amerika ist, dass niemand so wunderbar antiamerikanisch sein kann wie die Amerikaner selbst. Jetzt kommt es schon wieder auf die Definition an. Natürlich würde sich dort niemand den Titel „Amerikaner“ rauben lassen, schon klar. Das Interview mit „J. R.“ Larry Hagman kürzlich in der SZ zeigte es sehr anschaulich und ausnahmsweise mal im deutschen Raum: Auch die gröbste Kritik an der US-Regierung wird von einem Amerikaner immer noch als Akt des Patriotismus empfunden, schließlich will man nicht, dass das eigene Land von Trotteln regiert wird.
Aber es geht ja nicht nur um die staatsbürgerliche Tugend und vaterländische Pflicht, die eigene Regierung herzhaft zu kritisieren. Es geht darum, dass der gesamte American Way of Life, der sich selbst mit der Allgemein-Schrumpffloskel „Freiheit“ belegt, dass diese unendliche Vielfalt von Lebenswegen eine ganz wichtige Möglichkeit birgt: sich weiter weg, weiter raus aus allem zu begeben, was Staat und Gesellschaft meinen und verlangen, als dies etwa in Deutschland vorstellbar ist.
Die Eremiten, die Spinner, die Ganzandersgläubigen, die Ökokommunarden, von den Immigranten-Kolonien ganz zu schweigen – sie dehnen den Begriff davon, wie man drauf sein und wovon man leben kann, weiter aus, als es die US-Konsumkritikkultur über den Ozean transportiert. Nur in wenigen Hollywood-Filmen steckt genug Verzweiflung über die Monströsitäten der US-Gesellschaft, als dass sie auf dieser Seite des Atlantiks auch bemerkt und verstanden würde. Das Potenzial an Protest, an Verweigerung, Abwehr und Privatrevolution, das in den USA gelebt und toleriert wird, geht jedoch weit über das hinaus, was man sich hier so mal als antiamerikanische Attitüde gestattet.
(5) Mentalitätsmobiliar
Es stimmt, dass die Flut von Informationen und Produkten aus den USA unser Amerikabild prägen, vorformen, überformen. Es stimmt nicht, dass dadurch Vorurteile und europäische Überheblichkeiten verhindert würden. Im Gegenteil. Die Vorurteile entstehen ja bloß, weil man genötigt wird, die Masse an Informationen zu sortieren und zu bewerten. Eine Meinung über die USA als solche gehört deshalb hierzulande sozusagen zum Mentalitätsmobiliar. Wer zum ersten Mal in den USA gewesen ist, kommt mit einer schwierig zu vermittelnden Doppelbotschaft zurück. Erstens: Ja, alle unsere Vorurteile stimmen! Die Amis haben dieses Zahnpastalächeln und erkundigen sich damit nach deinem Wohlbefinden, obwohl es sie gar nicht wirklich interessiert! Sie wissen nicht, wie der deutsche Kanzler heißt! Sie halten Pommes für ein Nahrungsmittel! Aber zweitens: Das ist kein Grund, sich besser zu fühlen. Oder gar klüger. Wie heißt eigentlich der Staatschef von Polen? Und sind Wurstbrötchen gesund?
Der Punkt ist eigentlich ganz einfach: Alles, was man von den USA zu wissen meint, fällt auseinander und setzt sich neu zusammen. Und plötzlich ist auch die Frage nach dem Befinden kein Versuch der Vereinnahmung („verrate etwas von dir!“) unter Vortäuschung falscher Tatsachen („Interesse“). Sie ist im Gegenteil ein Angebot: sich zu verweigern, keine Auskunft zu geben, einfach weiter seinen Stiefel zu machen.
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