Werbekampagne der Deutschen Bahn: Der Witz kommt zu spät
Mit selbstironischen Werbespots versucht die Deutsche Bahn einen Imagewechsel. Ein Ablenkungsmanöver, das dem Personal gar nichts bringt.

Die Bahn ist wie das Wetter: Verlässlich nur da, wo sie als Smalltalk-Thema funktioniert – und auch das nur in verärgertem Ton. Bis vor Kurzem konnten Bahn-Apologeten wenigstens noch mit dem abgehangenen Marketingbegriff der Familienfreundlichkeit argumentieren. Im Vergleich zur Restinfrastruktur in diesem Land beeindrucken Kleinkindabteile und kostenlose Tickets für unter 14-Jährige die Deutschen schnell.
Aber spätestens mit der Abschaffung der pauschalen Reservierungsgebühr für Familien hat das Unternehmen sich auch diese Fanbase kaputt gemacht.
Eine neue Imagekampagne könnte nun die Weichen hin zu mehr Beliebtheit stellen. Die Miniserie „Boah, Bahn!“ auf Instagram, Tiktok und Youtube zeigt in 3-Minuten-Werbeclips einen überzeichneten ICE-Alltag aus Sicht des Bahnpersonals.
Comedie-Päbstin Anke Engelke verschüttet als Zugchefin Tina slapstickhaft Kaffee, plagt sich mit mies gelaunten Kunden herum und muss für jeden Ober-, Unter- oder Zwischenleitungsschaden geradestehen, der mal wieder für massive Verspätung sorgt. Mit rheinischem Dialekt ruft sie ihr Team voll klassischer Antiheld:innen tapfer zum Durchhalten zusammen. Leute wie Du und ich, statt farb- und humorloser Beamt:innen. Wer kann da noch über eine veränderte Wagenreihung meckern?
Im Gegenteil: Die menschliche Seite des Dauerversagens erzeugt Empathie und verdrängt die ohnmächtige Wut, die man als Bahnkundin permanent verspüren muss.
Die Armen, denkt man, die haben es ja auch nicht leicht. Und man erinnert sich an die besoffenen Fußball-Hooligans oder die Horde Banker, mit denen man mal von Frankfurt am Main nach Stuttgart gefahren ist, und die das Abteil in Schutt und Asche gelegt haben. Aufrichtiges Mitleid mit den Leuten, die vollgekotzte Klos wischen müssen, über Bierdosen stolpern und arrogante Kunden bedienen müssen, fühlt sich halt auch besser an, als der Frust über ein gesichtsloses Management.
State of the Art-Ästhetik
Gleichzeitig hat man fast ein bisschen Respekt vor dieser ganz neuen Fehlerkultur. Mit den Clips will das Unternehmen zeigen, dass es nicht nur zu seinen unzähligen Fails steht, sondern so reflektiert ist, sich auch noch darüber lustig zu machen, wie das für urbane City-Werbung à la Berliner BVG mittlerweile State of the Art ist.
Den User:innen wird damit signalisiert: Ihr seid nicht nur nachsichtige Menschen, ihr seid auch intelligent genug, die Selbstironie zu verstehen und zu schätzen. Das funktioniert, wie sich an den Kommentarspalten ablesen lässt oder an den Likes: Mehr als 155.000 allein für Folge 2 der „Boah, Bahn!“-Serie.
Aber das Ablenkungsmanöver ist doch zu durchsichtig. Die echten Probleme, ihre Ursachen und Verantwortlichen werden durch die Parodien nämlich nur scheinbar thematisiert. Und die bahntypische Business-Strategy, bei Zügen wie bei Menschen auf Verschleiß zu fahren, hört auch nicht deshalb auf, weil es eine geile Videokampagne gibt. Rund 30.000 Stellen will die Bahn in den nächsten Jahren einsparen. Und trotzdem kostet das Snickers im Bahn-Bistro 2,50 Euro.
In Wirklichkeit ist es ja auch nicht das Zugpersonal, das für schlechte Stimmung sorgt, sondern das Gefühl, einem Laden ausgeliefert zu sein, der mit seinen Geld-aus-der-Tasche-zieh-Methoden wie ein windiges Gebrauchtwagenunternehmen wirkt, das trotz Quasimonopolstellung und Steuerfinanzierung keine Systemänderung hinbekommt, erst recht keine Entlastung des eigenen Personals.
Die Zugbegleiter müssen nun nicht nur Hooligankotze aufwischen, sondern auch noch die auf der Strecke gebliebenen Sympathiepunkte für ihr materiell und immateriell marodes Unternehmen aufsammeln.
Das Beste, was nach dieser Kampagne passieren kann, ist, dass sich möglichst viele Passagiere künftig einfach besser benehmen. Der Weg zu mehr Anerkennung führt aber nicht über teure Imagekampagnen, sondern indem man die Reisenden ernst nimmt. Solange es für Zugreisende aber keine Alternative zur Deutschen Bahn gibt, haben sie nur die Wahl zwischen Ohnmacht und Lachen. Danke, Anke.
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