„Wenn nicht der, wer dann?“

Der Hamburger Student Mounir al-Motassadeq – ein guter Bekannter mit Zugang zu dem Girokonto der Attentäter. Aber ist das ein Schuldbeweis?

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Dafür kommt sogar die Weltpresse nach Karlsruhe. Gestern stellte Generalbundesanwalt Kay Nehm die erste deutsche Anklage gegen einen Beteiligten der Anschläge vom 11. September vor. Und vor allem mit Blick auf die vielen US-Journalisten sagte Nehm: „Wir sind durchaus stolz, dass wir diese Anklage noch vor dem ersten Jahrestag der Attentate erheben konnten.“

Angeklagt ist der 28-jährige Student Mounir al-Motassadeq aus Hamburg. Ihm wird Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen vorgeworfen sowie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Insgesamt bestand die nach außen abgeschottete Hamburger Islamisten-„Zelle“, so Nehm, aus sieben Personen. Drei von ihnen kamen als Piloten bei den Anschlägen in den USA zum Einsatz. Mohammed Atta flog in den Nordturm des World Trade Centers, Marwan al-Shehhi in den Südturm, und Ziad Jarrah steuerte vermutlich die bei Pittsburgh abgestürzte Maschine. Zwei weitere Mitglieder der Gruppe, Ramsi Binalshibh und Zakariya Essabar, sollten eigentlich auch an den Anschlägen teilnehmen, erhielten jedoch kein Visum für die USA. Beide tauchten vor dem 11. September unter und sind ebenso noch flüchtig wie Said Bahaji, der als Logistiker der Gruppe galt.

Inhaftiert ist damit nur ein Mitglied der Gruppe, der gebürtige Marokkaner Mounir al-Motassadeq. Er hatte 1993 sein Heimatland verlassen, in Deutschland zunächst Sprachkurse besucht und ab 1995 in Hamburg-Harburg ein Studium der Elektrotechnik aufgenommen. Nach Nehms Erkenntnissen hat sich Motassadeq bei der zunehmenden Radikalisierung des islamistischen Freundeskreises „besonders hervorgetan“. Zeugenaussagen zufolge habe er zum Beispiel den NS-Holocaust geleugnet.

Ab Oktober 1999 sollen die sieben, als deren Kopf Atta galt, mit konkreten Planungen für Flugzeugattentate in den USA begonnen haben. In zwei Gruppen reisten sie zunächst nach Afghanistan, wo sie in Ausbildungslagern, die laut Nehm „maßgeblich“ von Ussama Bin Ladens Al-Qaida-Organisation unterhalten wurden, lebten. Zugleich konnten sie dort Einzelheiten der Anschläge mit „Verantwortlichen“ des internationalen Islamisten-Netzwerks abstimmen. Auch Motassadeq hielt sich im Sommer 2000 mehr als zwei Monate in Afghanistan auf. Als die drei Piloten in die USA zogen, um sich an Flugschulen in Florida zu Piloten ausbilden zu lassen, diente Motassadeq zusammen mit Bahaji als Hamburger „Statthalter“ der Zelle, so Nehm. Was Motassadeq konkret vorgeworfen wird, ist allerdings relativ dünn. Mit Hilfe einer Vollmacht und einer EC-Karte soll er das Konto seines Komplizen al-Shehhi in dessen Abwesenheit verwaltet haben. Auf dieses Konto floss über einen Verwandten al-Shehhis ein Stipendium der Vereinigten Arabischen Emirate, mit dem al-Shehhi sein Studium finanzierte. Nehm bezeichnete dieses Konto als „Finanzierungstopf“ der Hamburger Zelle, räumte aber ein, dass in die USA nur „kleinere Beträge“ überwiesen wurden. Außerdem hätten die Piloten in den USA direkt Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten erhalten. „Motassadeq war ein Rädchen, ohne das die Sache nicht funktioniert hätte“, betonte Nehm. Er bemühte auch das Bild vom „Basislager“, ohne dass Bergsteiger ihr Ziel nicht erreichen könnten.

Nach seinen Erkenntnissen war Motassadeq „bis zuletzt in die Attentatsvorbereitungen eingebunden“. Dass er dennoch nur wegen Beihilfe zum Mord angeklagt wurde, zeigt jedoch, wie wenig die Bundesanwaltschaft konkret in der Hand hat. Letztlich wird Motassadeq vor allem vorgeworfen, Teil des Gruppen-„Geflechts“ gewesen zu sein, weshalb es auf konkrete Tatbeiträge gar nicht mehr ankomme. „Wenn der nicht dabei ist, wer sonst?“, reagierte Nehm etwas unwirsch auf Nachfragen. Unklar ist allerdings, warum Motassadeq, der am 28. November 2001 in Hamburg festgenommen wurde, nicht wie die anderen Mitglieder der Zelle geflohen ist. Er selbst sagt, er habe von den Attentatsplänen nichts gewusst.

Auch über die Rolle von al-Quaida konnte Nehm nichts Konkretes sagen. So sei es schwer aufzuklären, wer eigentlich die Idee mit den Flugzeugangriffen hatte – ob es die Hamburger waren, al-Qaida oder andere internationale Islamisten. Für die Anklage gegen Motassadeq komme es auf die genaue Rolle von al-Quaida auch gar nicht an. Mit Blick auf die Weltpresse betonte Nehm allerdings, es gebe keine Hinweise darauf, dass die insgesamt 16 Attentäter von der Hamburger Zelle gelenkt wurden.

Insgesamt hat die Bundesanwaltschaft nach dem 11. September 60 Ermittlungsverfahren gegen rund 100 Beschuldigte eingeleitet. Viele davon sein allerdings „Wasserschlag-Verfahren“ gewesen, etwa wenn unliebsame Personen als Terroristen „angeschwärzt“ wurden. Als „leichtfertig“ bezeichnete Nehm auch die in manchen Medien breitgetretene Verbindung zwischen der Hamburger Zelle und einer Islamisten-Gruppe in Duisburg, die ihrerseits Kontakt zu den Attentätern auf die Synagoge im tunesischen Djerba hatten. In der Wohnung eines Duisburger Verdächtigen war zwar die Kontonummer von Motassadeqs Frau gefunden worden. „Aber“, so Nehm, „diese Kontonummer kursierte nach der Verhaftung Motassadeq, weil man der Frau einfach helfen wollte.“

Das Hanseatische Oberlandesgericht prüft nun anhand der 90-seitigen Anklageschrift, ob es ein Hauptverfahren gegen Motassadeq eröffnen will. Dies wird vermutlich einige Wochen dauern.