Weltweite Kloppomania: Wir und der Jürgen
In Liverpool trägt ein Fußballtrainer seine Kündigung vor. Diese Meldung schockt die Welt. Und das hat durchaus nachvollziehbare Gründe.
W o warst du, als John Lennon erschossen wurde? Wo warst du am elften September, als das World Trade Center durch einen Terroranschlag zum Einsturz gebracht wurde? Mit solchen Fragen begegnen sich Menschen, wenn sie sich an schockierende Großereignisse erinnern, die im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben ist. Als an einem Freitag vor zehn Tagen langsam die Meldung die Runde machte, dass der Cheftrainer des FC Liverpool völlig überraschend bekannt gegeben habe, am Ende der laufenden Saison sein Amt niederzulegen, kursierte schon kurz darauf die Frage, die sich genau um diesen einen Moment drehte. Wo warst du, als du erfahren hast, dass Jürgen Klopp aufhören wird? Unzählige Straßenbefragungen dazu wurden in Liverpool durchgeführt und zig Youtube-Kanäle flugs in Seelsorgeanstalten verwandelt, bei denen verstörte Fans anrufen konnten. Und überall sah und hörte man Menschen, die davon sprachen, emotional komplett verstört zu sein.
Jürgen Klopp, der in den achteinhalb Jahren seines Wirkens den FC Liverpool wieder zu seiner Supermacht im europäischen Fußball aufgebaut hat, macht Schluss, und eine ganze Stadt befindet sich im Ausnahmezustand. Eine vergleichbare Symbiose von Fußballklub, Fans, Stadt und Trainer lässt sich im Weltfußball nirgendwo anders finden. Und dass diese Verbindung, von der wohl viele dachten, sie würde nie ein Ende finden, nun von einer Seite so abrupt aufgekündigt wird, hinterlässt bei den Zurückgebliebenen ganz offensichtlich sehr viel Schmerz.
Aber niemand ist enttäuscht oder gar wütend. Klopp hat für den FC Liverpool sämtliche Titel geholt, die sich seine Fans erträumt haben. Er hat sich den Status eines Übervaters erarbeitet, dessen Worte nicht hinterfragt werden. Wenn er jetzt sagt, er habe gerade nicht mehr die Kraft weiterzumachen, dann nehmen das alle so hin, trauern und weinen, sind dem Deutschen, dem Boss, wie sie ihn auch nennen, aber nicht böse.
Bis es endgültig vorbei ist, sind noch ein paar Fußballspiele auszutragen und möglichst viele Titel zu holen. Für Jürgen wollen seine Spieler und die Fans nun das sagenumwobene Quadruple holen, sagen sie. Und dann soll er als Statue vor dem Anfield Stadion für immer in Liverpool bleiben. Eine Dokumentation wird jetzt seine letzten Wochen als Trainer des FC Liverpool festhalten. Da wird man sehr viele „You’ll never walk alone“-Chöre hören. Ein Fußballmärchen geht zu Ende, versehen mit Romantik, die echt wirkt, und das in einem Geschäft, von dem man eigentlich dachte, dass es dafür gar keinen Platz mehr gäbe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid