Weltklimakonferenz COP30 in Brasilien: Paradies in Gefahr
Vom Naturschutzgebiet in die ökologische Krise: Die Insel Combu unweit der nächsten Weltklimakonferenz COP30 in Belém wird vom Tourismus überrollt.

Ronaldo Pinho, 41 Jahre alt, wurde auf der Insel geboren und ist dort aufgewachsen. Es ist ein Ort ohne Straßen, an dem man sich nur übers Wasser fortbewegt. Pinho verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln der Amazonasfrucht Açaí sowie mit Fisch- und Garnelenfang. Seit einiger Zeit arbeitet er auch als Bootsfahrer. Die Zahl der Tourist*innen, die durch die Flüsse fahren wollen, ist in den letzten zehn Jahren explosionsartig gestiegen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Restaurants und Unterkünfte entlang des Flussufers.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
Mit dem Anstieg der Touristenzahlen wuchs die Nachfrage nach Booten. Das veranlasste Unternehmer*innen dazu, weitere Anlegestellen zu errichten. Für Pinho war das zuerst einmal eine finanzielle Chance: Bei einer kurzen Überfahrt mit seinem 20-sitzigen Boot nimmt er 240 Reais (umgerechnet rund 37 Euro) ein.
„Der Tourismus hat das Leben hier stark verändert“, meint er. Es gebe nun Arbeitsplätze, die Anwohner*innen müssten die Insel nicht mehr verlassen, um auf den Märkten im Zentrum zu schuften. Doch er fügt hinzu: „Die Garnelen sind aus unserem Fluss verschwunden.“ Früher habe er einfach sein Netz auswerfen müssen, heute fange Pinho kaum noch welche. Woran das liege? „Am ständigen Bootsverkehr.“
Seit 1997 ist die Insel ein Naturschutzgebiet
Der Tourismus bringt das Ökosystem an seine Grenzen. Das Verschwinden von Fischen und Meeresfrüchten ist nur ein Symptom. „Wir können auch beobachten, dass in den Gebieten mit den meisten Bauten die Vegetation ins Wasser gedrängt wird“, berichtet Raquel Ferreira. Sie gründete 2019 gemeinsam mit ihrem Mann ein Tourismusunternehmen. Schnellboote und Jetskis erzeugen Wellen, die die Ufer schneller erodieren lassen und zur Versandung führen.
Mindestens einmal pro Woche bringt sie Touristengruppen zur Insel Combu und beobachtet dabei aus nächster Nähe, wie die Zerstörung voranschreitet. Je mehr Anlagen entstehen, desto mehr Bäume verschwinden. Dass die Ankunft der Besucher*innen das Einkommen der Bevölkerung verbessert hat, streitet Ferreira nicht ab. Das Problem sei jedoch die fehlende Kontrolle. Seit 1997 ist die Insel ein Naturschutzgebiet. Nach brasilianischem Recht bedeutet das: Schutz der Biodiversität, Regulierung der menschlichen Nutzung und nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen. In der Praxis kontrolliert kaum jemand, ob das auch eingehalten wird.
Und so verschlechtern sich die Lebensbedingungen auf der Ilha do Combu zunehmend. Ironischerweise ist Belém Gastgeberstadt der nächsten Weltklimakonferenz, bei der sich im November die Staats- und Regierungschefs der Welt treffen, um über Klimawandel und Anpassungsstrategien zu diskutieren. Eine Erhebung des brasilianischen Statistikamts IBGE zeigt, dass Belém die sechstwenigsten Bäume aller brasilianischen Hauptstädte hat: Über 55 Prozent der Einwohner*innen leben in Straßen ohne jegliche Begrünung. Wohlgemerkt: Die Stadt liegt in Amazonien, der größten tropischen Waldlandschaft der Welt.

Dabei ist Beléms Lage eigentlich privilegiert: Die Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt ist von Flüssen umgeben und besitzt 42 Inseln mit Stränden und Wald. Dennoch schätzt die gemeinnützige Organisation CarbonPlan, dass Belém bis 2050 zur zweitheißesten Stadt der Welt werden könnte – eine Folge des Klimawandels, aber auch Resultat von chaotischem Wachstum, massiver Entwaldung und mangelndem Schutz der Natur, selbst in geschützten Gebieten wie der Insel Combu.
Immobilienspekulation in Belém
Die rasante Zerstörung ist so alarmierend, dass der Forscher Jonathan Nunes der Bundesuniversität Pará seit drei Jahren die Folgen dieser Urbanisierung kartiert. „In der Praxis schreitet die Immobilienspekulation durch Personen von außerhalb immer weiter voran und degradiert die einheimische Bevölkerung zu bloßen Dienstleistern für Neuankömmlinge“, stellt Nunes fest.
Seine Studie hebt hervor, was sich trotz des Tourismusgeldes nicht verbessert hat: die Entwaldung, die illegale Müllentsorgung, die Verschmutzung der Flüsse, fehlende Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung. Das zwingt die Bewohner*innen oft dazu, den Fluss zu überqueren, um auf der anderen Seite Trinkwasser in Kanistern zu kaufen.
Raquel Ferreira setzt beim Tourismus auf ein anderes Modell: Bei ihren Touren zur Insel Combu nimmt sie maximal 20 Personen mit. Sie setzt auf das Prinzip des gemeindebasierten Tourismus, der die lokale Bevölkerung einbindet und dabei Umwelt und Traditionen respektiert. „Unser Ziel ist es zu zeigen, dass nachhaltiger Tourismus ein Verbündeter für den Erhalt und die lokale Entwicklung sein kann, wenn er verantwortungsvoll geplant wird“, sagt sie. „Der Amazonas ist nicht nur eine Landschaft, er besteht aus den Menschen, die hier leben.“
Nach Jahren, in denen er zusehen musste, wie Nachbar*innen die Insel wegen des unkontrollierten Tourismus verließen, hofft Ronaldo Pinho nun auf die COP30. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit muss Veränderungen für die Bewohner*innen von Combu bringen. „Wir brauchen mehr Kontrollen“, meint er. „Die Behörden sollten die Inseln der Stadt endlich ernst nehmen und uns Maßnahmen ergreifen, die wirklich helfen. Wir müssen dieses Stück Land, das wir Heimat nennen, um jeden Preis bewahren.“
Fábia Sepêda ist Journalistin in Belém, Brasilien, Moderatorin des Morgenjournals „Bom Dia Pará“ und Reporterin bei TV Liberal.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Niklas Franzen
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