Welthandelskonferenz in Abu Dhabi: WTO bemüht sich um Relevanz
Die WTO wird oft für tot erklärt, die ersehnte Reform ist nicht in Sicht. Entwicklungsländer nutzen das Forum aber, um für ihre Interessen zu werben.
2017 endete die Konferenz in Buenos Aires ohne gemeinsame Abschlusserklärung. Doch seit Ngozi Okonjo-Iweala, die ehemalige Finanzministerin Nigerias, 2021 die Leitung der WTO übernommen hat, haben die Verhandlungen wieder an Fahrt aufgenommen.
Als Durchbruch gilt das Übereinkommen zu Fischereisubventionen von 2022, das staatliche Zuschüsse zur Überfischung abschaffen soll und erstmals konkrete Nachhaltigkeitsziele in den Handelsregeln verankert. Jetzt wird in Abu Dhabi über zahlreiche Ausnahmen verhandelt, die Europäische Union will andere Regeln für nachhaltige Fischereipraktiken. Einige Entwicklungsländer fordern Übergangsfristen für sie und Ausnahmen für kleine Fischereien. Dieses Prinzip der „Sonder- und Vorzugsbehandlung“ für Entwicklungsländer fordern diese auch beim Landwirtschaftsabkommen. Sie wollen die Möglichkeit haben, ihre Märkte mit besonderen Mechanismen zu schützen, wenn die Importe von bestimmten Agrargütern plötzlich in die Höhe schnellen.
Insbesondere Indien will außerdem ein Recht auf Agrarsubventionen, die auf Ernährungssicherheit abzielen. Das Land zahlt den Bäuer*innen Festpreise, damit diese für den heimischen Markt produzieren. Mit diesen Subventionen ist es Indien gelungen, die Abhängigkeit etwa von Weizenimporten aus den USA in den vergangenen zwanzig Jahren fast auf null zu reduzieren. Gleichzeitig ist Indien jedoch zu einem der größten Reisexporteure geworden. Viele bezweifeln, dass es wirklich um Ernährungssicherheit geht. So ist unwahrscheinlich, dass es hier zu einer Einigung kommen wird.
Klar ist auch: Bei den ganz großen Themen wie einer grundlegenden Reform der WTO gibt es kaum Fortschritte. So blockieren die Vereinigten Staaten seit einigen Jahren die Ernennung neuer Richter*innen für das Streitschlichtungsverfahren, womit dieser Mechanismus zur Beilegung von Handelskonflikten in zweiter Instanz wirkungslos geworden ist. Dabei ist es von großer Bedeutung für die Wirksamkeit der WTO, das zweistufige Streitschlichtungsverfahren wiederherzustellen: Denn was bringen Regeln, wenn sie nicht einklagbar sind? Nicht nur bei den von den USA unter Präsident Donald Trump eingeführten „Strafzöllen“ auf bestimmte chinesische Güter stellen sich Fragen nach WTO-Konformität, sondern auch bei Subventionsprogrammen wie dem Inflation Reduction Act (IRA) unter Joe Biden. Da in den USA dieses Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen, bremst die Regierung in Washington hier bei den Verhandlungen weiter.
Dass die WTO weiterhin ein Forum für Welthandel ist, zeigen hingegen die zahlreichen Debatten abseits der offiziellen Gespräche, die zu neuen Initiativen führen könnten. Vor allem Entwicklungsländer versuchen, hier neue Vorschläge einzubringen. 2023 lancierte die Afrikanische Gruppe in der WTO zwei Erklärungen, in denen sie unter anderem mehr „Spielraum“ für Industriepolitik verlangen, also eine Veränderung der allgemeinen Subventionsregeln in der WTO zugunsten von ärmeren Ländern, zum Beispiel wenn es um nachhaltige Technologien geht. Analog zu dem sogenannten TRIPS-Waiver für Covid-19-Impfstoffe, einem befristeten Patentverzicht, fordern einige Länder die Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten für Klimatechnologien. Wie viel „Handel im Dienst der Menschen“ sich die WTO auf die Fahnen schreiben kann, wird sich auch an diesen Fragen entscheiden.
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