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Weitere Richterin flieht aus Guatemala„Angekündigter Tod der Justiz“

Richterin Erika Aifán verhandelte in Guatemala Korruptionsfälle mit Verbindung in die Politik. Aus Angst um ihr Leben ist sie nun in die USA geflohen.

Erika Aifán, Richterin aus Guatemala, vor ihrer Flucht in die USA Foto: Luis Echeverria/reuters

Hamburg taz | Erika Aifán heißt die Richterin, die sich am Montag in den USA in Sicherheit brachte. In Guatemala drohte der unabhängigen Juristin Gefängnis – weil sie ihren Job machte. Dieses Risiko droht auch anderen Richter:innen, denn der „Pakt der Korrupten“ schleift die demokratischen Strukturen im mittelamerikanischen Land.

Sechs Jahre stand Aifán an der Spitze des Gerichtshofs D für Kapitaldelikte in Guatemala, am Montag gab die unabhängige Richterin ihren Rücktritt bekannt. Es habe weder ausreichende Garantien für ihr Leben gegeben noch die Option, sich in einem ordnungsgemäßen Verfahren zu verteidigen, erklärte Aifán aus Washington. Dort hat sich die 47-jährige Juristin, die 19 Jahre als Richterin in Guatemala gearbeitet hat, in Sicherheit gebracht.

Für viele Beobachter in Guatemala alles andere als eine Überraschung, denn Aifán befand sich im Auge des Hurrikans. Wegen Vorwürfen des Amtsmissbrauchs wollte die Staatsanwaltschaft ihr die Immunität entziehen. Eine massive Bedrohung für die Richterin, auf deren Schreibtisch hochkomplizierte Korruptionsfälle mit weitreichender politischer Bedeutung landeten, die die Interessen des „Pakts der Korrupten“ tangierten. Damit ist ein Netzwerk von Politiker:innen, Militärs und Geschäftsleuten gemeint, die in Guatemala seit rund fünf Jahren den Ton angeben und die unabhängige Justiz peu à peu an die Kette gelegt haben.

Entscheidend dafür war sowohl die Ernennung der Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras im Mai 2018 als auch das Ende der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit (CICIG) im September 2019. Die UN-Kommission hatte seit 2007 Guatemalas Justiz mit der Einführung neuer Ermittlungsverfahren, der Gründung der Gerichtshöfe für Kapitaldelikte, an denen spektakuläre Prozesse wie der gegen Ex-Diktator Efraín Ríós Montt verhandelt und abgeurteilt wurden, die Unabhängigkeit der Justiz vorangetrieben.

Auch die Zurückhaltung der USA wird kritisiert

„Aber was in zwölf Jahren aufgebaut wurde, ist in den letzten vier Jahren gekapert worden“, sagt der kolumbianische Jurist Iván Velásquez, ehemaliger Direktor der CICIG. „Cooptación“ heißt das auf Spanisch, und dieses Phänomen ist nicht nur in Guatemala zu beobachten, sondern auch in anderen Ländern wie El Salvador oder Kolumbien, wo Personal eingesetzt wird, das nach der Pfeife der Regierenden tanzt.

Der Pakt der Korrupten zerstört alles

Michael Mörth, Menschenrechtsanwalt

Die Generalstaatsanwältin Porras gehört dazu, und das macht es erst möglich, dass nicht nur gegen Aifán, sondern auch gegen andere Richter und Richterinnen ermittelt wird – nur weil die ihre Arbeit machen und dem „Pakt der Korrupten“ nicht zu Diensten sind. Der Rücktritt Aifáns sei „Teil eines angekündigten Todes der Justiz“, sagt Michael Mörth, deutscher Anwalt und langjähriger Berater einer Menschenrechtskanzlei in Guatemala. „Der Pakt der Korrupten zerstört alles, was es an demokratischen Strukturen in Guatemala noch gibt“, so Mörth. „Richter wie Miguel Ángel Gálvez oder Pablo Chetumal könnten die nächsten sein, die die Flucht ergreifen.“

Deren Liste ist mit Aifán auf 16 hochrangige Juristen angewachsen, die meist in den USA Aufnahme gefunden haben. Das Weiße Haus ist zumindest mitverantwortlich für das beispiellose Rollback in Guatemalas Justiz, weil sie dem tatenlos zusahen und zusehen. Das wird auch hinter vorgehaltener Hand von Rich­te­r:in­nen in Guatemala kritisiert. Doch die Offensive in Guatemala gegen demokratische Strukturen, Nichtregierungsorganisationen und Medien geht weiter – ein bereits kursierender Gesetzentwurf könnte der Presse einen Maulkorb verpassen.

Bisher fehlt es jedoch an internationalen Reaktionen. Zwar haben die USA mit dem Amtsantritt von Joe Biden angekündigt, eine Antikorruptionskommission auf den Weg bringen zu wollen. Doch bislang ist wenig passiert, um Guatemala vor der eigenen korrupten Elite zu retten. Für Rodolfo Rohrmoser, ehemaliger Verfassungsrichter in Guatemala, ist das Land längst ein „failed state“.

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1 Kommentar

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  • Sehe ich das richtig, dass hier gefordert wird, die USA sollten sich mehr in die Angelegenheiten eines lateinamerikanischen Landes einmischen und nicht so neutral passiv herumstehen? Oh Zeiten und Wunder...