Weinernte in Südafrika: Fairtrade-Wein ohne Mindestlohn
In Europa wird der Wein als fair verkauft. Doch die Mitarbeiterinnen, die ihn in Südafrika ernten, sind schlecht bezahlt und Pestiziden ausgesetzt.
Für die Untersuchung hat WFP vor allem Frauen befragt, da sie häufig schwierigeren Arbeitsbedingungen ausgesetzt seien. Gut die Hälfte der 94 befragten Arbeiterinnen von 18 von Fairtrade zertifizierten Weingütern sagte aus, dass sie Pestiziden ausgesetzt seien – meist ohne zu wissen, wie diese richtig eingesetzt werden. 31 Prozent der Befragten gab an, weniger als den Mindestlohn zu verdienen. In Südafrika sind das umgerechnet knapp 1,30 Euro pro Stunde.
Jede fünfte Person gab an, dass sie vor den angekündigten Prüfungen durch die Fairtrade-Organisation angewiesen wurden, was sie sagen sollen und was nicht. Jede zehnte Person hatte laut dem Bericht Angst, sich kritisch zu äußern. Keine der befragten Arbeiterinnen kannte eine für Beschwerden eingerichtete Whatsapp-Nummer.
Fairtrade äußerte sich auf Anfrage der taz zurückhaltend zu der Untersuchung. Man müsse sie zunächst prüfen, stehe aber weiter dafür, dass „zertifizierte Produzenten und Arbeiter eine sichere und nachhaltige Existenzgrundlage haben, ihr Potenzial ausschöpfen und über ihre Zukunft entscheiden können“, antwortete die Organisation.
Reaktion nach fast einem Jahr
Fairtrade habe gute Richtlinien, sagt WFP-Mitarbeiterin Denile Samuel zur taz, aber: „Sie funktionieren nicht im Kontext von Südafrika.“ Viele Ergebnisse des Berichts zeigten das eindrücklich. Besonders erschütternd ist für die Projektkoordinatorin die Form der Diskriminierung, der die Arbeiter:innen von den Farmbesitzern ausgesetzt seien. Im vergangenen Mai habe die NGO so eine Beschwerde gegen das Weingut Koopmanskloof Wingerde eingereicht, einen der insgesamt 24 von Fairtrade zertifizierten Winzer in Südafrika.
Der Vorwurf: Das Unternehmen, das Fairtrade-Wein unter anderem über Gepa in Deutschland verkauft, sorge weder für eine angemessene Unterbringung der Arbeiter:innen noch für Zugang zu Trinkwasser. Erst fast ein Jahr später habe das Weingut seine Zertifizierung verloren. „Wenn es für uns so lange dauert, wie lange braucht es dann, bis sich die Umstände für die Arbeiter verbessern?“, fragt Samuel.
Viele würden sich nicht beschweren, weil sie Angst hätten, danach eingeschüchtert zu werden oder ihren Job zu verlieren, erzählt Maria Botha. Ihr Name ist zu ihrem Schutz geändert. Botha arbeitet und lebt seit über 15 Jahren auf einem Fairtrade-Weingut in der Nähe der Kleinstadt Paarl. Auch sie wüsste nicht, an wen sie ihre Beschwerde adressieren könnte. Wer aktuell der Besitzer ihrer Farm ist, konnte die 33-Jährige nicht sagen.
Für sie seien die Arbeitsbedingungen immerhin besser als in den konventionellen Weingütern im Tal, wo Arbeiter:innen oft kein Wohnrecht haben, sondern in selbst gebauten Wellblechhütten nahe der Weinstöcke unterkommen. Laut WFP-Bericht gibt es in fast allen Fairtrade-Betrieben Zugang zu fließendem Wasser oder Strom. Anders als ein Drittel der Befragten verdient Botha auch den gesetzlichen Mindestlohn.
Ob ihr das zum Leben reicht? „Absolut nicht“, sagt Botha. Nur für billiges Essen wie Toastbrot oder Maismehl. Essen, das der Grund für weit verbreitete Diabetes-Erkrankungen sei. Über 90 Prozent der befragten Arbeiterinnen sagten, dass auch der gesetzliche Mindestlohn für sie nicht existenzsichernd sei.
Lohn nur geringer Anteil der Kosten
Dabei machen die Löhne nur einen geringen Anteil der Produktionskosten aus. Laut einer Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung von 2020 erhalten die Mitarbeiter:innen von einer konventionellen Rotweinflasche aus Südafrika, die hierzulande für 2,49 Euro im Supermarkt angeboten wird, 3 Cent. Zwei Drittel des Erlöses teilen sich der hiesige Abfüller und der Discounter.
Zusätzlich zum Mindestlohn vergibt Fairtrade Prämien an die Betriebe. Zum Beispiel für „schicke“ Gebäude, erzählt Botha. „Aber was bleibt mir davon?“ Etwa wenn sie ihren Job verliert. Der Lohn reiche nicht aus, Geld zu sparen, etwa für einen Kredit, für Land oder Möbel, für die Bestattung ihrer Angehörigen oder die Bildung ihrer Kinder.
An die Universität wird ihr ältester Sohn nicht gehen können, sagt Botha. Mit Glück werde er einen Job im Weingut bekommen. Die Arbeitslosenquote von Jugendlichen in Südafrika lag 2022 bei über 60 Prozent. „Am Ende“, sagt sie, „werde ich in einer solchen Hütte enden – und meine Kinder werden mir folgen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers