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Weihnachtszeit in der FamilieKacklaune trifft Adventskalender

Für meine Kinder ist Weihnachten Kult, für meinen Mann ist Weihnachten eine finstere Zeit der Diktatur. So haben alle was davon.

In der Familie in der Regel unvermeidlich: Invasion der Engel Foto: dpa | Sebastian Willnow

D er Dezember naht. Ich merke das, weil mich meine Tochter zunehmend mit dem Adventskalender und mein Mann mit seiner Kacklaune nervt. Ganz im Gegensatz zu Olivia ist Matthias ein Weihnachtsgegner. Er sagt, er lässt sich nicht vorschreiben, wann er glücklich zu sein hat.

Würde es Montagsdemos zur Abschaffung aller Weihnachtsmaßnahmen geben, er würde hingehen. Er zieht sich eher noch ein Aluhütchen auf als eine Weihnachtmütze oder einen Strickpullover mit Rentier, den mittlerweile sogar unsere coolen Grufti-Freunde über ihren schwarzen The-Cure-Shirts tragen. Sie sa­ge­n: „If you can’t beat them, join them!“

Matthias will sich nicht durchseuchen lassen, er bleibt Weihnachtsskeptiker. Heiligabend in die Kirche zu gehen, führt er auf eine geistliche Beeinträchtigung zurück, die Bibel ist ihm der größte Verschwörungsmythos überhaupt. Auch dieses Jahr hält er bei uns seine strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Weihnachtshysterie aufrecht. Gegen Weihnachtsmusik ist er zwar machtlos – die hört unser Sohn Willi das ganze Jahr –, aber Weihnachtsdeko ist tabu.

Mein Mann findet, es stünde ohnehin zu viel herum – womit er recht hat. Ich würde trotzdem gerne noch Engel, Wichtel und Kerzen dazwischen stopfen. Immerhin darf ich einen Adventskranz haben. Ansonsten toleriert er drinnen maximal ein paar mühsam gefaltete Fröbelsterne seiner Tochter, die er „Friemelsterne“ nennt.

Mein Mann zieht sich eher noch ein Aluhütchen über als eine Weihnachtsmütze

So richtig einig sind wir uns nur bei der Geschenkesperre unter Erwachsenen. Matthias hat versucht, Olivia dieses Jahr davon zu überzeugen, dass sie mit 13 Jahren keinen Adventskalender mehr braucht. Sie hielt daraufhin eine Brandrede, in der sie proklamierte, unter allen Umständen zum 1. Dezember auf die traditionellen Säckchen zu bestehen. Und zwar bis zum Tage ihres Auszuges!

Diese Säckchen sind ein Geschenk von Gerdi, einer alten Nachbarin. Gerdis Kalender ist Kult, selbst wenn im Gartenhaus schon Mäuse darin genistet haben. Ich durfte nie einen neuen basteln, das wäre Blasphemie gewesen. Bis heute wirft mir Olivia vor, dass ich mal versucht habe sie zu hintergehen. Ich hatte ein Mal den Adventskalender nicht rechtzeitig bestückt, weil da noch diese Aufführungen von Olivias Weihnachtsmärchen stattfanden und Basteln in der Schule. Ich wollte die Säckchen einen Tag später aufhängen.

Olivia lebt orientierungslos in Raum und Zeit, sie hätte das niemals bemerkt, wenn nicht die Oma kurz vorm Zubettgehen angerufen und gefragt hätte, was denn Schönes in ihrem Adventskalender gewesen sei. Ein Drama. Ich würde nie wieder wagen, dieses heilige Symbol der Weihnachtszeit einen Tag später an die Wand bei der Treppe zu hängen.

Für Willi haben die Advents-Säckchen auch eine noch größere Bedeutung als ein sehr willkommener Essensspender zu sein. Sie stellen für ihn eine wichtige Orientierungshilfe im Jahreslauf dar. Er hat sich – anders als sein Vater – nämlich teilweise an die Weihnachtsregeln gewöhnt. Mittlerweile liebt er diesen seltsamen Tag, an dem wir zu Oma und Opa fahren und dort schlafen und dann steht da noch ein Baum im Wohnzimmer, der nicht dahin gehört.

Nach vielen Jahren, in denen Willi mit allen Mitteln versucht hat, nachts nach Hause zu gelangen, ist für ihn diese Übernachtung nun die wichtigste Komponente von Weihnachten überhaupt. Nur wechselnde Geschenke bleiben schwierig, darum packen wir für Willi jedes Jahr den gleichen blinkenden und dudelnden Plastikapfel ein.

Vergangenes Jahr dachten wir fälschlicherweise, das sei nicht mehr nötig. Sein Papa musste dann die 20 Kilometer nach Hause und wieder zurück fahren, um das Teil zu holen und einzuwickeln. Ich glaube aber, es hat Matthias nicht besonders gestört, Heiligabend im Auto zu verbringen – ein bisschen Widerstand gegen die Weihnachtsdiktatur.

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Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
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