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Wehrsport für Kosaken in KiewMit Glasscherben den Körper stählen

Der Kampf geht weiter. Mitten in Kiew bereiten sich Kosaken auf einen Kriegseinsatz in der Ostukraine vor. Wer nicht spurt, wird gezüchtigt.

Marsch am „Tag der ukrainischen Kosaken“ im Oktober in Kiew. Bild: reuters

KIEW taz | Es ist ein emsiges Treiben, das in den Armeezelten des Kosakenlagers auf der Insel Truchanow mitten in Kiew herrscht. Gerade einmal 15 Minuten vom Maidan, dem Herzen der ukrainischen Hauptstadt, entfernt, eingebettet zwischen dem Hauptflussbett des Dnepr und einem Seitenarm, liegt die Insel Turchanow. Wer das beliebte Kiewer Naherholungsgebiet besuchen will, wählt in der Regel die Fußgängerbrücke. Strände, Erholungsparks, Grün- und Sportanlagen sowie ein ausgedehnter Kiefernwald lassen den Besucher den Smog der Hauptstadt für ein paar Stunden vergessen.

Bewohnt wurde die Insel lange nicht. Das änderte sich im vergangenen August, als die Kosaken auf dem Maidan ihre Zelte abbauen mussten. 80 ukrainische Kosaken hatten sich daraufhin dort, wo 2012 während der Fußballeuropameisterschaft mehrere tausend Fans der schwedischen Mannschaft gezeltet hatten, in einem eigenen Lager niedergelassen. Einen Steinwurf von der Fußgängerbrücke entfernt, laden sie zum Besuch ein, bieten Unterricht im Schießen, Kampfsport und dem Umgang mit dem Säbel an.

Im Lager herrscht strenges Alkohol- und Rauchverbot. „Hier kann jeder wohnen. Er muss nicht unbedingt Kosake sein. Aber er muss sich an unsere Regeln halten. Wer das nicht tut, wird körperlich gezüchtigt“, erklärt Nikolaj Bonder, Ataman (eine Art Oberhaupt der Kosaken). Er gebietet ukraineweit über 15.000 Kosaken und ist jetzt auch noch Chef der 80 Bewohner des Zeltlagers. Bonder ist durchtrainiert, trägt olivgrüne Kleidung und hat seine schütteren grauen Haare zu einem Zopf gebunden.

Es ist eine Mischung aus Ökodorf und Wehrsportgruppe, die den Charakter des Zeltdorfes ausmacht. „Bald werden wir hier ein Haus bauen“, erklärt ein Kosake begeistert. „Es wird ein Ökohaus sein, das wir streng nach ökologischen Kriterien entwerfen.“

Jedes Zelt dient einem bestimmten Zweck. Im „Fitness-Zelt“ finden sich nicht nur Sportgeräte. Glasscherben und Nagelbretter zeigen, dass man hier weiter geht als in Fitness-Clubs. „Anfangs war es schwer für mich, mich mit dem Rücken in Glasscherben zu legen oder auf Nagelbrettern zu laufen. Doch heute macht mir das überhaupt nichts mehr aus. Es ist wichtig, dass wir unsere Körper abhärten, unsere Willenskraft stählen“, kommentiert ein Zeltbewohner den verwunderten Blick auf Glasscherben und Nagelbretter.

„Maidan noch lange nicht beendet“

Die Lagerromantik auf der Insel ist jedoch kein Selbstzweck. Es sind vor allem zwei Aufgaben, die sich die Kosaken von der Insel Truchanow gesetzt haben. „Für uns ist der Protest des Maidan noch lange nicht beendet“, erklärt Ataman Nikolaj Bonder. „Durch den Maidan hat sich fast nichts verändert. Die alten Strukturen sind immer noch an der Macht. Wahlen werden nach wie vor manipuliert. Wie sollen wir in so einer Situation aufhören mit unserem Protest und einfach wortlos nach Hause gehen?“, begründet Bonder die Entscheidung, auf Turchanow seine Zelte aufzuschlagen und damit den Protest aufrechtzuerhalten.

„Die gleichen Leute, die unter dem früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch das Sagen hatten, sind immer noch in Amt und Würden. Die Berkut-Sondereinheiten der Polizei, die Anfang des Jahres Dutzende unserer Leute getötet haben, treiben immer noch ihr Unwesen. Meinem Urgroßvater hat man gesagt: Gedulde dich und dein Sohn wird es besser haben. Meinem Großvater hat man gesagt: Gedulde dich und dein Sohn wird es besser haben. Auch meinem Vater hat man das gleiche gesagt. Und was soll ich meinen Kindern sagen?“

Die Kosaken von Truchanow sehen sich wieder in der Opposition. Für sie, die von Anfang an auf dem Maidan dabei waren und Studenten geschützt haben, sind der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, Regierungschef Arseni Jazenjuk oder Präsident Petro Poroschenko die Vertreter der gleichen Machtelite, die das Land schon unter Janukowitsch unterdrückt hatte. Man werde es nicht hinnehmen, dass im neuen Parlament über 60 Vertreter der „Partei der Regionen“ sitzen, die im vergangenen Januar für Janukowitschs diktatorische Gesetze gestimmt hatten.

Bereicherung auf Kosten des Volkes

„Als Erstes muss das neue Parlament die Immunität von Abgeordneten aufheben. Es kann ja nicht sein, dass sich Abgeordnete unter dem Schutz der Immunität weiter auf Kosten des Volkes bereichern“, schimpft der Ataman. „Wie unter Janukowitsch auch, gibt es heute in der Ukraine 350.000 Milizionäre und nur 100.000 Soldaten. Heißt das, dass die Regierung ihren Feind im Inneren des Landes sieht?“

Es sei endlich an der Zeit, dass die Regierung für Ordnung im Osten des Landes sorge. Und eine Lösung, da sind sich die Kosaken sicher, könne nur militärisch gefunden werden. Und so tun sie in ihrem Zeltdorf alles, um der ukrainischen Seite zu einem militärischen Sieg zu verhelfen. Die Kosaken sehen sich in der Verantwortung, die der Krieg mit sich bringe. Das Lager auf der Insel sei nur ein Durchgangslager, so Bonder. Die alle paar Wochen rotierenden Bewohner bereite man dort mit Wehrsportübungen auf einen Kriegseinsatz im Osten des Landes vor und man baue Drohnen für den Einsatz im Donbass.

Gleichzeitig bemühten sich die Kosaken um eine patriotische Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Für das kommende Wochenende erwarten die Lagerbewohner Besuch von hundert Kindern und Jugendlichen. Diesen werde man, so sagt Bonder, patriotischen Geschichtsunterricht anbieten sowie sie im Schießen und im Umgang mit einem Säbel unterweisen.

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17 Kommentare

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  • Wer finanziert die eigentlich?

    Gibt es einen "Freundeskreis ?

    • @H-G.-S:

      Wenn die ein Öko-Haus bauen, bekommen die bestimmt Gelder von der Grünen Heinrich-Böll-Stiftung,

      • @Age Krüger:

        Verkorkst genug dazu, scheint manchmal auch mir, die momentane, konkrete Grüne-Gesinnung vefasst zu sein.

  • Oje, wenn die wirklich als Kosaken nach Osten ziehen, wird es wohl passieren, daß deren Brüder in Russland, das auch gen Westen tun.Dann gibt es ja bald wieder nahezu historische Konstellationen.Die Kosaken verteidigen die Außengrenzen/abgelegenen Gebiete für ihre jeweilige Staatsführung und erhalten daraufhin eigene Rechte und Privilegien.

    Hier ein Ausschnitt von russischer Seite:

    https://www.youtube.com/watch?v=NVFLEiZC2gg

  • Lieber Herr Clasen,

     

    ich finde den Artikel jetzt leider nicht ganz so dolle, journalistisch gesehen. Ist es nicht die Aufgabe Ereignisse einzuordnen und zu erklären? (Mal abgesehen davon, ob man die russische oder ukrainische Form der Namen transkribiert, deutliches Faibel für ersteres)

    Hier wird die Immunität der Abgeordneten angesprochen: die beiden stärkesten Parteien haben sich diese abzuschaffen auf die Fahnen geschrieben, könnte man im Text erwähnen, so der Einordnung halber.

    Dann wird von Milizionären und Soldaten gesprochen. Im Ukrainischen ist damit, wie auch lange in Russland war, die Polizei gemeint. Das erschließt sich aus dem Artikel leider nicht wie wäre z. B. der Begriff "Ordnungskräfte" oder "Polizeikräfte" anstatt Milizionäre. Man könnte die 350.000 glatt für Freiwilligenbattalione halten...

    Zum angeprangerten Wahlbetrug: Wäre es nicht interessant für den Leser zu wissen, ob andere (NGOs, OSZE, sonstige Wahlbeobachter, andere Bürger) die Aussagen bestätigen und wenn ja, wie und in welchen Wahlkreisen z. B. Stimmen gekauft oder Ergebnisse gefälscht wurden?

    • @Halusky:

      Nee, mich als Leser hat viel mehr interessiert, was für Typen sich auf dem Maidan rumgetrieben haben und darüber bin ich jetzt etwas mehr informiert.

  • Das ist schon interessant. Diese "Kosaken" haben zwar erkannt, dass das Volk in den letzten Monaten über den Tisch gezogen wurde, aber ihre Alternativen sind noch schlimmer. Gehorsam, körperliche Züchtigung und ungezügelter Nationalismus sind bestimmt keine Zukunftsmodelle. Und dass man gleich mal den frisch gewählten Abgeordneten einer Partei, die den "Kosaken" nicht in den Kram passt, pauschal die Immunität entziehen will, zeugt auch von einem merkwürdigen Demokratie und Rechtsempfinden.

     

    Aber sie sollen ruhig nach Osten ziehen. Da können sie sich dann mit den "Kosaken" der anderen Seite vergnügen...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      "Und dass man gleich mal den frisch gewählten Abgeordneten einer Partei..."

      Wäre schön, aber im Text steht:

      „Als Erstes muss das neue Parlament die Immunität von Abgeordneten aufheben.“

      Da geht es um JEDEN Abgeordneten nicht um einzelne oder bestimmte Gruppen, die im Text nirgends zu lesen sind.

      • @Halusky:

        Ich hatte die Aussagen so verstanden, dass vor allem die Vertreter der "Partei der Regionen" oder wie sie sich jetzt auch nennen mag, gemeint sind.

         

        Aber die Immunität eines JEDEN Abgeordneten aufheben? Damit dann selbst ernannte "Patrioten" nach belieben gegen sie vorgehen können? Diese Immunität dient dem Schutz der Parlamentarier und ist ein wichtiger Teil der Demokratie. Sie pauschal abzuschaffen ist gewiss keine gute Idee. Auch wenn sie missbraucht werden kann.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Es sind alle gemeint. Z. B. RIA hatte darüber berichtet:

          http://en.ria.ru/politics/20141026/194600259/Poroshenko-Plans-to-Abolish-Parliamentary-Immunity-in-Ukraine.html

          Mir persönlich kommt es auch komisch vor die Immunität von Abgeordneten abzuschaffen, da sie sich in der BRD bewährt hat. Die genauen Hintergründe und Bedingungen vor Ort kene ich nicht. Aber u. a. die TAZ hat einen Journalisten vor Ort, der dem ma auf den Grund gehen könnte.

          • @Halusky:

            "...auf den Grund gehen ..."

             

            Da gibt es nicht viel auf den Grund zu gehen. Die Herren Kosaken sind auf beiden Seiten sind nicht gerade für ihre Liebe zur Demokratie bekannt. Und die Aufhebung der Immunität erleichtert es, Druck auf die Abgeordneten auszuüben. Als Aushängeschild fürs Ausland werden sie gebraucht. Aber an ansonsten sollen sie eigentlich nur abnicken.

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    • @Age Krüger:

      Dazu fällt mir spontan Rudolph Steiner ein.

      • @lions:

        Da gibt es noch mehr Verbindungen. Jutta Ditfurth hat die ziemlich genau untersucht in den Büchern "Feuer in die Herzen" und vor allem in "Entspannt in die Barberei".

        Allerdings ist mir noch nie so deutlich der Wunsch nach Öko und Krieg so deutlich aufgefallen wie hier. Da fallen mir aus o.g. Bücher gerade nur ein paar Bemerkungen von Herbert Gruhl ein, die wohl darauf hindeuteten, dass ein Atomkrieg auch die Fragen des starken Bevölkerungswachstums bremsen würde.

  • Der Umgang mit dem Säbel wird in allen Konflikten der Zukunft kriegsentscheidend sein.

  • Und, wer bezahlt diese Jugendhilfe? "Öko-Haus" könnte Deutschland sein. "Militärische Lösung" deutet auf die NATO hin.

  • Irgendwie weiß man nicht, ob man über diesen Quatsch lachen oder weinen soll...