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Wehrpflicht in IsraelGewalt bei Protest Ultraorthodoxer

Gerichtsurteil, dass auch Ultraorthodoxe Wehrdienst leisten müssen, löst wütende Proteste streng religiöser Juden aus. Eine Zerreißprobe für die Regierung.

Ultraorthodoxe Juden demonstrieren am Sonntag in Jerusalem dagegen, dass die Wehrpflicht jetzt auch für sie gelten soll Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Jerusalem dpa | In Israel eskaliert der Streit um die Einführung der Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden. Tausende streng religiöse Männer protestierten am Sonntagabend in Jerusalem wutentbrannt gegen die gerichtlich verfügte Verpflichtung zum Wehrdienst in der israelischen Armee. Laut örtlichen Medienberichten kam es dabei zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei. Mit berittenen Beamten und einem Wasserwerfer gingen die Einsatzkräfte demnach gegen aufgebrachte Demonstranten vor.

Nach Angaben der Polizei flogen aus den Reihen der schwarz gekleideten streng religiösen Männer Steine und Gegenstände auf die Beamten, Mülltonnen brannten. Mehrere Polizisten seien verletzt worden, berichtete die Times of Israel in der Nacht. Fünf Randalierer seien festgenommen worden.

Auslöser der wütenden Proteste war ein kürzlich ergangenes Urteil des höchsten Gerichts des jüdischen Staates, wonach fortan auch ultraorthodoxe Männer zum Wehrdienst in der Armee verpflichtet werden müssen. Das Urteil erfolgte vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges und des Konflikts mit der Hisbollah-Miliz im Libanon.

Die Demonstranten trugen laut Times of Israel Schilder mit der Aufschrift „Wir werden nicht in die feindliche Armee eintreten“ und „Wir werden sterben, statt in der Armee zu dienen“.

Die Ultraorthodoxen empfinden den Militärdienst als Bedrohung ihres frommen Lebensstils, auch weil Frauen und Männer gemeinsam dienen. Männer müssen in Israel regulär drei Jahre, Frauen zwei Jahre Wehrdienst leisten. Jahrzehntelang galten Ausnahmen für ultraorthodoxe Männer bei der Wehrpflicht. Diese liefen aber vor drei Monaten aus.

Gerichtsurteil gefährdet Netanjahus Regierungsbündnis

Das Urteil des höchsten Gerichts gilt als schwerer Rückschlag für die rechtsreligiöse Regierung des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Das Thema Wehrpflicht war zuletzt immer mehr zu einer Zerreißprobe für seine Koalition geworden. Beobachter sehen die Stabilität des Bündnisses durch den Streit gefährdet, weil sich die Regierung auch auf streng religiöse Partner stützt, die eine Einberufung junger Männer aus ihrer Gemeinschaft strikt ablehnen.

Einige Demonstranten griffen der Times of Israel zufolge das Auto des Vorsitzenden der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum an, als dieser auf dem Weg nach Hause war. Medienberichten zufolge bewarfen die Demonstranten den Wagen mit Steinen und beschimpften den Parteivorsitzenden, als er vorbeifuhr. Die Polizei griff laut Medienberichten ein und brachte ihn in Sicherheit.

Am Streit um ein Gesetz, das schrittweise mehr streng religiöse Männer zum Dienst an der Waffe verpflichten sollte, war bereits 2018 die Regierungskoalition zerbrochen. Netanjahus Regierung war es nun nicht gelungen, ein Gesetz zu verabschieden, das die Erleichterungen zementieren sollte. Daraufhin verfügte das höchste Gericht eine Streichung der staatlichen Subventionen für Ultraorthodoxe im wehrpflichtigen Alter, die in Religionsschulen studieren.

Armee warnte vor Mangel an Soldaten

Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara entschied Ende März zudem, dass das Militär verpflichtet sei, auch die bisher weitgehend vom Dienst befreiten Religionsstudenten einzuziehen. Laut Gericht handelt es sich um 63.000 Männer.

Viele Israelis empfinden es als ungerecht, dass Ultraorthodoxe vom Dienst an der Waffe und gefährlichen Kampfeinsätzen ausgenommen sind. Es gibt allerdings auch ultraorthodoxe Männer, die freiwillig dienen. Die Armee warnte zuletzt angesichts des Gaza-Kriegs vor einem Mangel an Kampfsoldaten.

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4 Kommentare

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  • Gegen die eigenen Leute Steine schmeißen, aber das Land nicht verteidigen wollen.

    Sie werden in der Regel vom Staat finanziell unterstützt.

    Nur die Minderheit der Männer arbeitet. Die Frauen dafür umso mehr.

    Massive Diskrminierung der Frauen.

    Fertilitätsquote über 6,3.

    Damit ähnlich wie die Palästinenser

    Und dies in diesem ultra-kleinen Land wie Israel, groß wie Hessen, doppelt so viele Einwohner.

    Ich bin absolut solidarisch mit Israel, bei den Ultra-Orthodoxen fällt mir das allerdings richtig schwer.

    Ebenso schwer wie bei ultra-orthodoxen Muslimen oder Christen.

  • Ist schon "seltsam" mit all diesen "Super-Regliösen", egal welchen Glaubens...



    In diesem Fall: man lehnt Gewalt/Armee ab, aber wendet aber selbst Gewalt an bei den Protesten...

    • @Achim Schäfer:

      Die Weigerung der Ultra-Orthodoxen gegen den Wehrdienst begründet sich anders als Wehrdienstverweigerung hierzulande. In Deutschland kann man verweigern, muss dann aber die Gewaltlosigkeit fast zwingend als Grund angeben, um damit durchzukommen.



      Bei den Ultras in Israel geht es nicht um Gewaltlosigkeit, sondern darum dass sie es schlicht vorziehen in ihren Talmud-Schulen zu bleiben. Sie lehnen Gewalt nicht ab - sie begründen sie nur anders, und sie wollen sie nicht zur VErteidigung eines Staates einsetzen, den sie -so unlogisch das klingt- letztlich in seiner Form als Israel ablehnen.

  • Erinnern wir uns. Theologiestudenten mussten hierzulande auch nicht zum Bund.



    Dort freilich handelt es sich um einen viel größeren Anteil, auch da Ultraorthodoxe sehr hohe Kinderzahlen im Schnitt haben. Manchmal arbeitet dann die Frau zuhause wie im bezahlten Beruf, während sich der Mann den "heiligen Schriften" widmet.

    Wie gesagt, wären es nur ein paar, dann Schwamm drüber. So aber ist diese offensichtlich nicht verallgemeinerbare Lebenshaltung schwer einzubinden. Es wäre eine ganz andere Diskussion, mit welcher Siedlungspolitik etc. Israel aus dem Dauerkriegszustand und der Traumatisierung auch der eigenen Bevölkerung durch die Besatzung wieder herauskommen könnte. Kurzfristig wird die Regierung schon aus Gerechtigkeitsgründen die Ultraorthodoxen einfach einziehen oder eben Verweigerung universalistisch aufsetzen müssen.