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debatteWeg mit den Straßennamen!

Berlins Straßen tragen häufig die Namen von Antisemiten und Rassisten. Nicht nur deren Anwohner sträuben sich dennoch gegen eine Veränderung

Jan Feldmann

Monty Ott

ist Politik- und Religionswissenschaftler und publiziert über die Kontinuitäten des Antisemitismus, deutscher „Erinnerungskultur“ und Intersektionalität. Ott schreibt seine Doktorarbeit zu „Queerem Judentum in Deutschland“ und engagiert sich im jüdisch-aktivistischen Medienprojekt „Laumer Lounge“.

Das Thema wird in manchen Medien mindestens so erregt diskutiert wie gendergerechte Sprache: Wie ist mit Straßennamen umzugehen, die an Personen erinnern, welche sich in der Vergangenheit beispielsweise rassistisch oder antisemitisch geäußert, die sich an Kriegsverbrechen, Raub oder Mord beteiligt haben? Nun könnte man meinen, dass es angesichts der Vorwürfe eine schnelle und einfache Entscheidung gäbe.

Doch so einfach ist es leider nicht. Denn was mindestens so alt ist wie die Kritik am Antisemitismus im postnazistischen Deutschland, ist der Versuch, sie zu relativieren. Und vor diesem Hintergrund werden selbst Straßennamen zum erregt diskutierten Politikum.

Anders als diejenigen, die in Umbenennungen und Kontextualisierung die Bedrohung der Grundfesten ihrer lokalen oder nationalen Identität vermuten, möchte ich hier entschieden für diesen symbolischen Akt plädieren. Das Straßenbild ist ein Spiegel der Gesellschaft und deshalb stets auch Zeichen ihrer Pluralität. Namen zu ändern bedeutet die Anerkennung einer Gegenwart, in der nicht nur die Erfahrungen von weißen, christlichen, deutschen Menschen zählen.

Doch selbst in eindeutigen Fällen beginnt eine aufwändige Abwägung: Ist es An­woh­ne­r:in­nen wirklich zumutbar, dass sie sich einen anderen Straßennamen einprägen müssen? Und was ist mit dem wirtschaftlichen Schaden für so manch ein Unternehmen, das seine eigene Geschichte vielleicht gar nicht so sauber aufgearbeitet hat? Kann diesem zugemutet werden, Geld für neue Briefköpfe auszugeben?

Andererseits: Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn Personen wie Richard Wagner und Martin Luther für ihr Werk gewürdigt werden, ohne dass die Kritik an ihren antidemokratischen und menschenverachtenden Aussagen Raum findet? Was sagt diese Symbolhaftigkeit über den Umgang mit Ideologien wie Antisemitismus, Rassismus oder Geschichtsrevisionismus in einer demokratischen Gesellschaft aus, die sich doch so sehr dafür rühmt, ihre Geschichte wie keine andere aufgearbeitet zu haben? Schnell werden üble Vergleiche gezogen: Die Umbenennung von Straßen erinnere an den Nationalsozialismus, die DDR oder die Dystopie eines autoritären Staates, wie sie George Orwell in „1984“ gezeichnet hat.

Solche Aussagen sind kalkuliert. Statt einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit den entsprechenden Personen und ihrer Weltanschauung wird über die Motivation derjenigen diskutiert, die eine Umbenennung empfehlen. Das erinnert an das alte Sprichwort von Kurt Tucholsky: In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht. Dabei geht es um Aufklärung! Die Wahrheit ist: Antisemitismus und Rassismus werden bei den großen Figuren des deutschnationalen Theaters ebenso ausgeblendet wie die blutigen Kontinuitäten, die bis in die Gegenwart reichen.

Adorno bemerkte dazu schon: „Unbestreitbar gibt es im Verhältnis zur Vergangenheit viel Neurotisches: Gesten der Verteidigung dort, wo man nicht angegriffen ist; heftige Affekte an Stellen, die sie real kaum rechtfertigen; Mangel an Affekt gegenüber dem Ernstesten; nicht selten auch einfach Verdrängung des Gewußten oder halb Gewußten.“ Die heftige Abwehr, die dem Berliner Gutachten entgegenschlägt, überrascht wenig. Dass es ein jüdischer Theaterregisseur war, der ebenfalls früh Kritik übte, nehmen viele dankend an. Kaum ein Wortbeitrag kommt ohne Verweis auf den Regisseur aus, obgleich das kein Argument darstellt.

Jü­din­nen:­Ju­den kennen das nur allzu gut. Statt über Antisemitismus zu sprechen, wird über die Kritik gesprochen oder dass sie unangemessen geäußert wurde (Stichwort Tone Policing). Dabei hat allein die im Gutachten geäußerte Kritik schon das Bewusstsein für Antisemitismus und Rassismus geschärft. Die Abwehr von Umbenennung und Kontextualisierung verläuft zumeist im Muster eines altbekannten politischen Rituals. So erklärt der deutsche Zeithistoriker Peter Longerich: „Auf den Bruch des Tabus folgt der Skandal, und es werden Stimmen laut, die in der Öffentlichkeit vor einer gesellschaftlichen ‚Normalisierung‘ des Antisemitismus warnen – während diejenigen, denen Judenfeindschaft vorgeworfen wird, dies in der Regel entrüstet von sich weisen und sich gegen eine ‚Instrumentalisierung‘ des Antisemitismus […] wehren.“ Luther („Von den Juden und ihren Lügen“) und Wagner („Das Judenthum in der Musik“) können sich selbst nicht mehr gegen Kritik verteidigen und müssen sich dennoch keine Sorgen machen. Es finden sich immer renommierte Stimmen, die jegliche Kritik an ihnen als Königsmord verwerfen.

Das Straßenbild ist ein Spiegel der Gesellschaft und deshalb stets auch Zeichen ihrer Pluralität

Neben Luther und Wagner finden sich übrigens auch Mitglieder der antisemitischen Deutschen Tischgesellschaft im Berliner Straßenbild und Heinrich von Treitschke, der Autor des Satzes „Die Juden sind unser Unglück“. Die Kritik hat nur wenig mit „Arroganz“ oder moralischer Überlegenheit zu tun. Sie sollte Folge unserer demokratischen Haltung sein. Kritik an der Gestaltung des öffentlichen Raumes ist der Wachstumsschmerz einer Gesellschaft der Vielen. Weder sogenannte „Judensäue“ an Kirchen noch An­ti­se­mi­t:in­nen und Ras­sis­t:in­nen im Stadtbild werden künftig unbescholten deutsche Städte prägen dürfen.

Diese Kritik fordert das Gründungsversprechen ein, das dieser Staat bis heute nicht erfüllen konnte. Nämlich, dass man aus der Geschichte tatsächlich gelernt habe. Die Liste mit Straßennamen macht deutlich, was viele Menschen gerne verdrängen. Um Antisemitismus und Rassismus konsequent zu begegnen, braucht es mehr als blumige Worte und pastorale Selbstbeweihräucherung. Es braucht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis dieser Gesellschaft.

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