Waves Festival in Wien: Man mag es entspannter
Das Wiener Musik-Festival „Waves“ präsentiert die besten Popkünstler des Landes. Es strahlt damit in die weite Welt hinaus.
Eigentlich sind Showcase-Festivals das Speeddating unter den Konzerten. Für ein verlängertes Wochenende werden Labelleute, Konzertbooker, Musiker und Journalisten in eine Stadt gefahren. Tagsüber sitzt man auf Panels und netzwerkt, abends steht man in Clubs und netzwerkt.
Die Aufmerksamkeit ist kurz, das Angebot unüberschaubar, die Auftrittszeit knapp - kurzum: Alles ist mehr Fleischmarkt als Musikfestival. Anders ist es auf dem Wiener „Waves Festival“. Die Debatten sind ruhig und gesittet, die üblichen Pöbeleien gegen die Digitalvertreter fallen aus, der Existenzkampf ist auf andere Podien vertagt. Man mag es halt entspannter in Wien.
Auch Franz Wenzl hat die Ruhe weg. Am Samstag, dem letzten Tag des „Waves Vienna“-Festivals, sitzt der makellos angezogene Sänger der Band Kreisky im Wiener Club Flex und plaudert: „Der Verkaufsschlager ist, dem Ausland des zu geben, was es von Österreich erwartet: ’Rock Me Amadeus‘, Kaffeehaus, das Granteln“. Wie ernst er das meint? Man weiß es nicht.
Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher, Gerhard Stöger (Hrsg.): „WIENPOP: Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten“. Falter Verlag Wien, 2013, 400 Seiten. 39,90€.
In „Österreichisch“ bekommen Kreisky regelmäßig Bestnoten. Nicht nur weil sie sich nach dem legendären SPÖ-Altkanzler Bruno Kreisky benannt haben. Sondern weil sie lange die grantlerische Antithese zum deutschsprachigen Nabelschaupop waren. Über spröde-präzise Post-Punk-Gitarren speiht Wenzl in feinstem Schmäh die ganze Wut von Alltagsfrustrationen, die sich von der Wutbürger-Empörung genau dadurch unterscheidet, dass sie Affekte nicht mit Politik verwechselt.
Auf dem „Waves“ stellen sie ihre neue EP „Selbe Stadt, neuer Planet“ vor, die das ziellose Granteln um das kleinteilige Sezieren von Lebensgewohnheiten ergänzt. „Wir wollten weg von der Wut, die ja mittlerweile auch in den deutschen Pop Einzug gehalten hat“, meint Wenzl. Geblieben ist Kreisky aber der Sinn für überzeichnete Theatralik, die große Geste der Rockekstase, die mit dem nötigen Ernst, aber dennoch vollkommen uneigentlich vorgetragen wird.
Damit sind sie nicht allein. Egal, ob das Electro-Performance-Kollektiv Fuckhead eine zähe Meditation über den „Zahntechniker“ Hans-Christian Strache und seinen „Vier-Finger-Gruß“ hinlegt oder der Emo-Dubstepper Sohn die Stucksäulen der ehemaligen Getreidebörse mit seinem Falsett erfüllt - auf dem Waves kennt man sämtliche Popgesten bis ins Detail und spielt sie bis zur Plansollübererfüllung aus.
Stilististisches Kopistentum
„Es gibt in Wien eine Art stilistisches Kopistentum“, erzählt Gerhard Stöger, Musikredakteur bei der Wochenzeitung Falter. „Das meine ich nicht negativ, das kommt vom Punk. Er hat vor wenigen Wochen das Buch „Wienpop“ herausgebracht, eine Collage aus 130 Interviews, die erzählt wie die Pop-Musik in den späten 1950ern das post-nazistische Wien heimsuchte und seitdem reichlich Biografien durcheinanderwirbelt. „Man hat was riskiert, wenn man sich für Rock‘n‘Roll entschieden hat“, beschreibt Stöger die frühen Jahre von Pop in Österreich, der mit dem Sendestart der Radiosendung „Musicbox“ Ende der 1960er und dem Aufkommen von Austro-Pop in den frühen 1970ern langsam in der Öffentlichkeit drang.
So oder so ähnlich ist die Pogeschichte in vielen westlichen Ländern abgelaufen - was ist aber das Besondere an der Wiener Variante? „Es ist das für Wien charakteristische, dass man immer wenn etwas völlig Neues gab, man die alten Leute trotzdem mitgenommen hat“, meint Stöger. Falco, zum Beispiel, habe in den 1970ern als langhaariger Bassist Hans Hölzl bei der Rockband Drahdiwaberl gespielt, deren Aufnahmen auf dem ersten Punksampler debütierten. „Wienpop“ ist voll mit solchen Anekdoten, in denen sich die Popgeschichte der österreichischen Hauptstadt verdichtet.
Aber es endet auf einem leichten Tiefpunkt - den eher trägen Jahren nach dem großen Hype um den „Sound of Vienna“, als so unterschiedliche Produzenten wie Kruder & Dorfmeister, Patrick Pulsinger und Christian Fennesz Wien auf der Landkarte elektronischer Musik verankert haben. Es war das letzte Mal, dass man Pop aus Wien unter einem Label fassen konnte - obwohl sich mit Produzenten wie dem Synth-Pop-Quartett Ghost Capsules oder dem Live-Elektronikprojekt Electro Guzzi schon einige Anwärter auf die Nachfolge bereithalten.
„Heute gibt es ganz viele Parallelszenen, die auf hohem Niveau interessante Sachen machen“, erzählt Gerhard Stöger. Wobei „parallel“ nicht bedeutet, dass man aneinander vorbeilebt, im Gegenteil.
Die Szenen verschmelzen
„Die Szenen verschmelzen“, meint Bernhard Kern, Labelmacher von Siluh Records. Am Freitag abend hatte sein Label ins Fluc geladen. Angekündigt war das Juri Landman Ensemble, auf der Bühne standen ein gutes Dutzend Wiener Musiker zwischen Elektronik und Noiserock, die auf selbstgebauten Gitarren eine Ensembleleistung präsentierten, die sich hinter dem Wall of Noise der post-minimalistischen Gitarrenensembles von Glenn Branca und Sonic Youth nicht verstecken musste.
Für Siluh sind solche Projekte Normalität. „Wir sind ein Indielabel, aber nicht nur für Indiebuben“, beschreibt Kern sein Label. Begonnen hat er mit Veröffentlichungen der Indieband Gary, dann kamen weitere Bands dazu inklusive Remixprojekte. Heute veröffentlicht Wandl, ein junger Wiener, der seine Old-Schooligen HipHop-Beats mit Gesang und Reverb verhuscht ebenso selbstverständlich wie die Neo-Garage-Band Mozes and the Firstborn, die am Freitag als letzter Act bei ihrem Debüt erst nach zwei Zugaben und reichlich schmachtenden Blicken aus dem eng gefüllten Fluc entlassen werden. Und noch etwas fällt auf. Obwohl kaum plakatiert wird, sind die Veranstaltungen von „Waves Vienna“ gut besucht und die Wiener Acts bekannt.
Bassmusik als Jazzimprovisation
„Auf welchem Floor spielt der Cid Rim?“, fragt ein Gast am Freitag an der Kasse der Pratersauna beim Labelabend von Affine Records. Die Antwort: dort, wo die Party tobt. Während sich der Ex-Dubstepper Skream ein paar Meter weiter etwas unelegant an einem House-Set versucht, fliegen die Finger von Clemens Bachem (Cid Rim) über den Midi-Controller seines Laptops und spielen Übersteiger mit seinengebrochenen Beats als wären sie eine Jazz-Improvisation.
„Mit 14 habe ich angefangen Schlagzeug zu spielen, erst auf einem selbstgebauten Drumkit aus Büchern und Aschenbechern, später habe ich dann Jazzschlagzeug studiert“, erzählt Bachem. Parallel dazu hat er eine Sequencer-Software gelernt und ist dieser Kombination bis heute treu geblieben.
In der Pratersauna geht der Dancefloor bei jeder Schlagzeug-Improvisation von Cid Rims Liveset mit, quittiert Breaks mit Schreien und Pfiffen und verfängt sich nicht in den Haken der verästelten Beatkonstrukte. Da hat sich jemand sein Publikum herangezogen.
Affine Records ist Wiens beste Bassmusikadresse. Sein Ruhm begann vor ein paar Jahren, als britische Produzenten ständig den Namen „Dorian Concept“ droppten, der seine Musik ebenfalls dort veröffentlicht. Er und Cid Rim sind Jugendfreunde, Labelchef Jamal Hachem hat man im lokalen Billiardcafé kennengelernt. Heute können sie alle von der Musik leben.
Das Internet gleicht die Standortnachteile von Wien aus, „mit Booking und Promotion“ reiche es für den Betrieb eines Labels, meint Labelchef Jamal. Vielleicht haben sie aber auch einfach die Gegenwart auf ihrer Seite - eine ganze Generation junger Produzenten wird gerade mit Bassmusik sozialisiert, das Medieninteresse ist da. Schwieriger ist der Standort in der Wiener Peripherie für andere Stile elektronischer Musik - House zum Beispiel.
„Obwohl wir gut verkaufen, landen wir meistens bei Null“, meint Simon Birner, der seit 2011 das Houselabel Luv Shack betreibt. Zu fünft sitzen sie am Tisch eines Kaffeehauses und reden über analoges Equipment, neue Releases und sagenumwobene Vinylschätze, die in Österreichs Caritas-Lagern untergebracht werden sollen - hier sind echte House-Afficionados am Werk.
Im Spannungsfeld von House und Disco
Zehn Platten haben Luv Shack veröffentlicht, die Elfte ist in Planung. Sie alle spielen sich im Spannungsfeld zwischen Disco und House ab, versprühen eine gewisse analoge Wärme, obwohl sie in digitalen Heimstudios entstehen. „Ich habe früher immer von Vinyl gesampelt, damit das Rauschen bleibt“, meint Samy Fedy, der als Le Sale feinziselierte Neo-Disco-Tracks produziert.
Gebucht werden er und seine Labelfreunde im Ausland - in Berlin, in Amsterdam. Nur Wien scheint momentan eine House-Wüste zu sein. „Es wäre schön, wenn man eine regelmäßige Clubnacht hätte, um ein wenig was für das Label beiseite legen zu können“, beschreibt Simon Birner die Rolle von Veranstaltungen für die Labelarbeit.
Trotz Höchstplatzierungen bei den einschlägigen Stores, die Frage nach der wichtigsten Einnahmequelle beantworter Birner mit „Radio“. Gemeint ist FM4, der Jugendsender des ORF mit hohem Anteil an österreichischem Pop im Programm. „Es kann schon mal sein, dass wir Musik direkt aus dem Proberaum im Radio spielen“, erzählt Stephan Trischler, der die Sendung „Soundpark“ moderiert.
Jede Woche werden dort Musiker aus Österreich vorgestellt, die ihre Musik auch auf der sendereigenen Homepage veröffentlichen können. Aber trotzdem - wie wichtig ist denn ein Radiosender heute, wo alle ständig Zugriff auf aktuelle Musik haben? „Es hat ja nicht jeder Zeit, jeden Tag hunderte von Internet-Feeds zu hören“, meint Trischler optimistisch.
Trotzdem hat FM4 im ORF-Programm keinen leichten Stand, Anfang dieses Jahres machten sogar Gerüchte von einer Schließung die Runde. „Früher hat der ORF für Austropop viel getan“, meint Bernhard Kern von Siluh Records, heute kümmere er sich nicht mehr in gleichem Maße um aktuelle Musik. Stattdessen herrscht auch hier ein wenig postimperiale Melancholie. „Am Hamburger Flughafen ist ein Statemt von Fettes Brot an der Wand“, erzählt Bernhard Kern. „In Wien steht dort etwas von Johann Strauß - aber eigentlich müssten es Kruder & Dorfmeister sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Wirtschaft im Wahlkampf
Friedrich Merz und die Quadratur des Kuchens
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?