Was von Jimi Hendrix bleibt: Hart, cool, aber nicht zu heavy
Vor 50 Jahren, am 18. September 1970 starb Jimi Hendrix. Er hatte eine kometenhafte Karriere und wurde nicht alt. Sein Spiel veränderte die Welt.
Der Sci-Fi-Roman „Die Nacht des Lichts“ von Philip José Farmer, handelt von einem Flüchtenden, der im Weltraum haarsträubende Abenteuer erlebt. Einmal wächst ihm ein riesiges Ei aus der Brust, ein andermal wird er von mysteriösen Sonnenflecken in den Bann gezogen, die violette Strahlen – Purple Haze – erzeugen.
„Excuse me while I kiss the sky“, diese Zeile kommt nicht im Buch vor. Die singt Jimi Hendrix in seinem Signatursong „Purple Haze“ (1967) und überführt Sci-Fi mit der E-Gitarre in psychedelische Dimensionen. Klar, zu jener Zeit gab es eine Haschischsorte gleichen Namens, ob die gemeint ist, bleibt in der Schwebe.
Hendrix schlägt auf den tiefen Saiten Akkorde an und lässt die hohen wimmern. Zur Amplifikation nutzt er Marshall-Verstärker, die er oft auch mit dem Instrument malträtiert und zerstört. Zerschredderte Boxen helfen der Inszenierung und dienen der Klangforschung, Rückkoppelungen und Störgeräusche der Gitarre erweitern das Melodienspektrum.
Hendrix hat Sci-Fi-Romane verschlungen, Anspielungen in seinem Œuvre gibt es zahlreiche (etwa in den Songs „3rd Stone from the Sun“ und „Up from the Skies“). Anzunehmen, dass Farmers Roman den US-Gitarristen zu „Purple Haze“ inspiriert hat. Wie wichtig ihm dieser ist, zeigt Hendrix damit, dass der Song sein Debütalbum „Are you experienced“ eröffnet und als zweite Single ausgekoppelt wird, nach „Hey Joe“.
Der Hendrix-Akkord
Ein wütend-schabender Gitarrenakkord kündigt gleich zum Auftakt Ungemach an, in der Strophe setzt dann eine Sinnestrübung ein: „Purple haze, all in my brain/Lately things they don’t seem the same/Actin’ funny, but I don’t know why/Excuse me while I kiss the sky“. Im Angloamerikanischen heißt die gedehnte Septime von „Purple Haze“ inzwischen „Hendrix-Akkord“. Man erkennt daran die Klangsignatur des Gitarristen: hart, aber nicht zu heavy, kernig, da in Blues mariniert, aber auch gelenkig und auf distanzierte Weise cool durch den zurückgenommenen Gesang.
Der Mythos Jimi Hendrix steht aber weniger für seine Musik als für das sorglose Angetörntsein der Hippiebewegung und des rechtschaffenen Protests: Die virtuose Version von „Star-Spangled Banner“ beim Woodstock-Festival 1969 wurde als Anklage des Vietnamkriegs interpretiert. Anfang der 1960er diente Hendrix bei den Fallschirmspringern der US-Army, um einer Haftstrafe zu entgehen. Biografen schildern ihn als unpolitisch, schüchtern und abhängig von der Gunst sinistrer Einflüsterer, die ihn vielfach übers Ohr gehauen haben.
Hendrix war nicht nur Opfer, sondern auch Fashion-Victim, der in den Boutiquen von Swinging London auf Kaperfahrt ging und Chiffon-Blusen mit Husaren-Uniformjacken kombinierte, was ihn zusammen mit dem Afro zur Popikone werden ließ.
Als er „Purple Haze“ komponiert, ist er gerade 24 und neu in London, froh dem Chittlin’ Circuit entkommen zu sein. So hießen im segregierten US-Süden kleine Clubs, durch die Hendrix mit wechselnden SängerInnen unter strapaziösesten Umständen getourt war: Als Teil der Isley Brothers und Little Richards Band. Entdeckt hatte ihn 1966 in New York schließlich eine Freundin von Keith Richards, die Hendrix Chas Chandler (Ex-Bassist der Band the Animals) nahelegte, der als Manager reüssieren wollte.
Schnelle Karriere
Erst in London wurde Hendrix zum Star. Von da aus ging’s zurück in die USA, er hetzte von Studiosession zu Konzert. Nur Monate liegen zwischen dem zweiten Album „Axis: Bold as Love“ (ebenfalls 1967) und dem dritten „Electric Ladyland“ (1968). Eine große US-Tour in jenem tumultösen Wahljahr ist besonders aufreibend. Sie hat ihn verbrannt und nochmals die Segregation der US-Gesellschaft vor Augen geführt.
Hendrix wird zur einsamen Größe der gerade erwachsen gewordenen Rockmusik. Dylan, die Stones, Paul McCartney, alle zollen ihm Lob. Der Aufstieg in den Olymp endet nach vier Jahren mit seinem Tod: Unter Drogen- und Alkoholeinfluss nimmt er starke Schlaftabletten und erstickt im Schlaf an Erbrochenem: Dahin gebracht hatten ihn der Burn-out, diverse Frauengeschichten, Knebelverträge, mit denen ihn sein undurchsichtiger Manager Mike Jefferies gemolken hat, ein Ex-Agent des britischen Geheimdienstes inklusive Mafia-Connection.
Die CIA stufte Hendrix als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ ein und ließ ihm das gefürchtete Programm „Cointelpro“ angedeihen, Agenten haben ihn bis in die Todesnacht observiert.
Reichlich verspätet kam 1992 die Aufnahme in die „Rock-’n’-Roll Hall of Fame“. Was das Erbe der afroamerikanischen Popmusik angeht, ist Hendrix Bindeglied zwischen den genialischen Rock-’n’-Roll-Songs von Bo Diddley, R&B-der härteren Gangart und elektrifizierten Jazzgitarristen wie Sonny Sharrock und James „Blood“ Ulmer. Auch Prince’ Gniedeleien und der Blitzeispunk der Bad Brains – undenkbar ohne Hendrix’ explosive Riffs und Licks. Dabei hat er sich durch seine bitteren Erfahrungen in den Südstaaten keineswegs als Black Artist gesehen.
Neue Biografie
Ein „revolutionärer Stilist, der sich nie in Schubladen pressen ließ“, schreibt sein jüngster Biograf, der britische Musikjournalist Philip Norman, der eine gründlich recherchierte Biografie vorgelegt hat: „Jimi. Die Hendrix-Biografie“ (Deutsch von Stefan Rohmig. Piper Verlag, 2020).
So sachlich wie der Brite Künstler und Werk porträtiert, wurde in Deutschland kaum je über Hendrix geschrieben. „Der hagere, krausköpfige, temperamentvolle Halbindianer“ (Stern 4. Oktober 1970) ein Beispiel, wie in den hiesigen Feuilletons rassifiziert wurde.
Bleiben wir lieber bei der Musik. Ein geflashter Neil Young gestand bei der Laudatio in der Hall of Fame: „Es gab keine Techniken, die man sich von Hendrix abschauen konnte, keine Akkorde, die ich wiedererkannte … Ich habe sie nur gefühlt und wollte auch so spielen können und habe mir geschworen, vielleicht kriege ich eines Tages etwas annähernd so Gutes hin.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei