Was steht im AfD-Gutachten?: Feinde der Verfassung – auf 1108 Seiten
Das Verfassungsschutzgutachten, mit dem die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, war geheim. Nun leakten es rechte Medien. Was steht drin?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium hatten die Geheimhaltung damit begründet, Quellen des Geheimdiensts zu schützen und eine Präzedenzwirkung für weitere Verfahren zu vermeiden. Zudem erhalte die AfD das Gutachten ja im Falle eines Rechtsstreits. Tatsächlich hatte die Partei Eilklage gegen ihre Einstufung eingereicht – und ihre Anwälte das Gutachten inzwischen erhalten. Kurz darauf veröffentlichten die Rechtsaußen-Medien das Gutachten.
In dem Schriftsatz führt das Bundesamt für Verfassungsschutz nun Zitate von 353 AfD-Funktionären auf, die als verfassungsfeindlich gewertet werden – aus allen Ebenen der Partei. Es sind öffentliche Äußerungen aus Reden, Onlinepostings oder Interviews. Das Fazit des Geheimdiensts: Seit der Einstufung der AfD als Verdachtsfall im Jahr 2021 hätten sich die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen „zur Gewissheit verdichtet“. Es müsse eine „extremistische Prägung der Gesamtpartei“ festgestellt werden.
Das Verfassungsschutzgutachten arbeitet sich dabei an festen Kriterien ab. Allen voran wirft es der AfD einen „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ vor, der darauf abziele, Deutsche mit Migrationsgeschichte „von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen“ und sie einer „nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen“ sowie ihnen einen „rechtlich abgewerteten Status“ zuzuschreiben. Diese würden als „Passdeutsche“ und Bürger zweiter Klasse degradiert.
Längst keine „Einzelfälle“ mehr
Dieses Konzept werde „beharrlich“ vertreten, so das Gutachten. Obwohl bereits eine Verdachtsfalleinstufung vorlag und Gerichte dem Verfassungsschutz bisher Recht gaben. Auch die Parteispitze wird ihr mit Zitaten wiedergegeben, die von einem „Bevölkerungsaustausch“ oder einer „Umvolkung“ durch Migranten raunt, der zu Untergang und Zerstörung Deutschlands führe. Es handele sich „nicht um Einzelfälle“, so das Gutachten. Auch eine zwischenzeitlich von der AfD vorgelegte „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ entlaste die Partei nicht: Sie sei zweideutig und wohl taktisch motiviert, konstatiert der Verfassungsschutz.
Dieses ausgrenzende Volksverständnis strahle auf die „fremden- und minderheitenfeindlichen Positionen der Partei aus“, heißt es weiter. Es finde eine kontinuierliche Agitation gegen Personengruppen statt, die pauschal diffamiert und verächtlich gemacht würden, um irrationale Ängste und Ablehnung gegenüber diesen zu schüren. Wiedergeben werden Äußerungen wie „multikulturell ist multikriminell“ oder von „Messerkriminalität“.
Die AfD suggeriere, dass Messerangriffe nahezu ausschließlich von Migranten begangen würden und dies kulturell bedingt sei. Zugewanderte und Geflüchtete würden „nachhaltig, verunglimpfend und generalisierend mit Kriminalität, fehlender Bildung und regressiven Charakterzügen in Verbindung gebracht“, hält das Gutachten fest. Auch Muslime erhielten eine „wiederkehrende pauschale Abwertung“.
Dabei enthält das Gutachten auch sachte Entlastendes. So werden auch antisemitische Anklänge in der AfD aufgeführt, etwa wenn Parteivertreter von „Globalisten“ als politische Strippenzieher redeten. Diese Äußerungen fänden bisher aber nur vereinzelt statt und seien noch nicht prägend für die Gesamtpartei, so der Verfassungsschutz.
Auch Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in der Partei hätten sich verdichtet, wenn dort etwa der Bundesregierung oder den demokratischen Parteien diktatorische Strukturen unterstellt würden. Quantitativ finde dies allerdings nicht in einem solchen Maße statt wie die Belege für ein ethnisches Volksverständnis, heißt es. Gleiches gelte für die Verharmlosung von NS-Verbrechen, die vereinzelt in der Partei stattfinde – etwa mit Reden von einem „Schuldkult“ oder im Umgang mit dem „Alles für Deutschland“-Ausruf von Björn Höcke, einer SA-Losung. Solche Positionen hätten sich noch nicht für die Gesamtpartei verdichtet – es bleibe aber ein verfassungsfeindlicher Verdacht, so das Gutachten.
Enge Kontakte zu anderen Rechtsextremen
Angeführt werden auch strukturelle Verbindungen der AfD zu rechtsextremen Akteuren, vor allem aus der Neuen Rechten. Allen voran mit dem Compact-Magazin wird kooperiert, auch finanziell, indem die AfD dort regelmäßig Werbeanzeigen schaltet. Daneben wird ein enger Kontakt zum rechtsextremen Netzwerk „Ein Prozent“ gehalten, dem Institut für Staatspolitik, das nun „Menschenpark“ heißt, oder den Identitären – obwohl Letztere gar auf einem Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei stehen.
Auch die jüngste Auflösung der AfD-Parteijugend oder vor Jahren schon des rechtsextremen „Flügels“ entlaste die AfD nicht, so der Verfassungsschutz. Denn hier habe „keine grundsätzliche Entfremdung“ zu den Akteuren stattgefunden. Im Gegenteil: Diese seien weiter aktiver Teil der Partei.
Der Verfassungsschutz berücksichtigt auch noch das Agieren der AfD im jüngsten Bundestagswahlkampf – und sieht seine Einschätzungen dort noch bestärkt. Auch im Wahlkampf seien Zugewanderte als „bedrohliches Kollektiv“ markiert worden, gefordert wurde eine „millionenfache Remigration“, der SA-Slogan „Alles für Deutschland“ sei auf die Spitzenkandidatin Alice Weidel umgemünzt worden. Es habe „keinerlei Mäßigung“ stattgefunden, so das Gutachten.
Das Fazit des Verfassungsschutzes: Es sei „nicht mehr davon auszugehen, dass es gemäßigteren Kräften in der AfD noch möglich ist, diese festgestellte verfassungsfeindliche Prägung der Gesamtpartei umzukehren“.
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