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Was steht im AfD-Gutachten?Feinde der Verfassung – auf 1108 Seiten

Das Verfassungsschutzgutachten, mit dem die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, war geheim. Nun leakten es rechte Medien. Was steht drin?

Feindliche Äußerungen quer durch die Partei: hier die AfD-Fraktion im Bundestag Foto: Liesa Johannssen, Reuters

Berlin taz | Anderthalb Wochen ist es her, dass die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Einstufung der AfD als bundesweit gesichert rechtsextreme Bestrebung durch den Verfassungsschutz verkündete, als letzte Amtshandlung. Seitdem wurde viel über das 1.100 Seiten starke Gutachten des Geheimdiensts und seine Folgen diskutiert. Der Schriftsatz selbst aber blieb geheim, eingestuft als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“. Seit Dienstagabend ist er das nicht mehr: Da machten es die Rechtsaußen-Medien Cicero, Nius und Junge Freiheit in kompletter Länge öffentlich.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium hatten die Geheimhaltung damit begründet, Quellen des Geheimdiensts zu schützen und eine Präzedenzwirkung für weitere Verfahren zu vermeiden. Zudem erhalte die AfD das Gutachten ja im Falle eines Rechtsstreits. Tatsächlich hatte die Partei Eilklage gegen ihre Einstufung eingereicht – und ihre Anwälte das Gutachten inzwischen erhalten. Kurz darauf veröffentlichten die Rechtsaußen-Medien das Gutachten.

In dem Schriftsatz führt das Bundesamt für Verfassungsschutz nun Zitate von 353 AfD-Funktionären auf, die als verfassungsfeindlich gewertet werden – aus allen Ebenen der Partei. Es sind öffentliche Äußerungen aus Reden, Onlinepostings oder Interviews. Das Fazit des Geheimdiensts: Seit der Einstufung der AfD als Verdachtsfall im Jahr 2021 hätten sich die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen „zur Gewissheit verdichtet“. Es müsse eine „extremistische Prägung der Gesamtpartei“ festgestellt werden.

Das Verfassungsschutzgutachten arbeitet sich dabei an festen Kriterien ab. Allen voran wirft es der AfD einen „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ vor, der darauf abziele, Deutsche mit Migrationsgeschichte „von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen“ und sie einer „nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen“ sowie ihnen einen „rechtlich abgewerteten Status“ zuzuschreiben. Diese würden als „Passdeutsche“ und Bürger zweiter Klasse degradiert.

Längst keine „Einzelfälle“ mehr

Dieses Konzept werde „beharrlich“ vertreten, so das Gutachten. Obwohl bereits eine Verdachtsfalleinstufung vorlag und Gerichte dem Verfassungsschutz bisher Recht gaben. Auch die Parteispitze wird ihr mit Zitaten wiedergegeben, die von einem „Bevölkerungsaustausch“ oder einer „Umvolkung“ durch Migranten raunt, der zu Untergang und Zerstörung Deutschlands führe. Es handele sich „nicht um Einzelfälle“, so das Gutachten. Auch eine zwischenzeitlich von der AfD vorgelegte „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ entlaste die Partei nicht: Sie sei zweideutig und wohl taktisch motiviert, konstatiert der Verfassungsschutz.

Dieses ausgrenzende Volksverständnis strahle auf die „fremden- und minderheitenfeindlichen Positionen der Partei aus“, heißt es weiter. Es finde eine kontinuierliche Agitation gegen Personengruppen statt, die pauschal diffamiert und verächtlich gemacht würden, um irrationale Ängste und Ablehnung gegenüber diesen zu schüren. Wiedergeben werden Äußerungen wie „multikulturell ist multikriminell“ oder von „Messerkriminalität“.

Die AfD suggeriere, dass Messerangriffe nahezu ausschließlich von Migranten begangen würden und dies kulturell bedingt sei. Zugewanderte und Geflüchtete würden „nachhaltig, verunglimpfend und generalisierend mit Kriminalität, fehlender Bildung und regressiven Charakterzügen in Verbindung gebracht“, hält das Gutachten fest. Auch Muslime erhielten eine „wiederkehrende pauschale Abwertung“.

Dabei enthält das Gutachten auch sachte Entlastendes. So werden auch antisemitische Anklänge in der AfD aufgeführt, etwa wenn Parteivertreter von „Globalisten“ als politische Strippenzieher redeten. Diese Äußerungen fänden bisher aber nur vereinzelt statt und seien noch nicht prägend für die Gesamtpartei, so der Verfassungsschutz.

Auch Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in der Partei hätten sich verdichtet, wenn dort etwa der Bundesregierung oder den demokratischen Parteien diktatorische Strukturen unterstellt würden. Quantitativ finde dies allerdings nicht in einem solchen Maße statt wie die Belege für ein ethnisches Volksverständnis, heißt es. Gleiches gelte für die Verharmlosung von NS-Verbrechen, die vereinzelt in der Partei stattfinde – etwa mit Reden von einem „Schuldkult“ oder im Umgang mit dem „Alles für Deutschland“-Ausruf von Björn Höcke, einer SA-Losung. Solche Positionen hätten sich noch nicht für die Gesamtpartei verdichtet – es bleibe aber ein verfassungsfeindlicher Verdacht, so das Gutachten.

Enge Kontakte zu anderen Rechtsextremen

Angeführt werden auch strukturelle Verbindungen der AfD zu rechtsextremen Akteuren, vor allem aus der Neuen Rechten. Allen voran mit dem Compact-Magazin wird kooperiert, auch finanziell, indem die AfD dort regelmäßig Werbeanzeigen schaltet. Daneben wird ein enger Kontakt zum rechtsextremen Netzwerk „Ein Prozent“ gehalten, dem Institut für Staatspolitik, das nun „Menschenpark“ heißt, oder den Identitären – obwohl Letztere gar auf einem Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei stehen.

Auch die jüngste Auflösung der AfD-Parteijugend oder vor Jahren schon des rechtsextremen „Flügels“ entlaste die AfD nicht, so der Verfassungsschutz. Denn hier habe „keine grundsätzliche Entfremdung“ zu den Akteuren stattgefunden. Im Gegenteil: Diese seien weiter aktiver Teil der Partei.

Der Verfassungsschutz berücksichtigt auch noch das Agieren der AfD im jüngsten Bundestagswahlkampf – und sieht seine Einschätzungen dort noch bestärkt. Auch im Wahlkampf seien Zugewanderte als „bedrohliches Kollektiv“ markiert worden, gefordert wurde eine „millionenfache Remigration“, der SA-Slogan „Alles für Deutschland“ sei auf die Spitzenkandidatin Alice Weidel umgemünzt worden. Es habe „keinerlei Mäßigung“ stattgefunden, so das Gutachten.

Das Fazit des Verfassungsschutzes: Es sei „nicht mehr davon auszugehen, dass es gemäßigteren Kräften in der AfD noch möglich ist, diese festgestellte verfassungsfeindliche Prägung der Gesamtpartei umzukehren“.

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7 Kommentare

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  • Gut , dass das Dokument geleakt wurde. Es kann nicht sein , dass ein so staatsrelevanter Vorgang wie das Verbieten einer Partei hintenrum geschieht.

    @Ciro: Mit einem Parteiverbot würden diesen Leuten aber ein erhebliches Machtmittel genommen werden. Die Leute rauswerfen, also quasi AfD-Mitglieder in die Jauchegrube zu remigrieren, aus der sie einst entstiegen sind, hätte zwar durchaus eine poetische Eleganz ist dann aber doch verfassungsfeindlich.

    • @QuantumRider:

      Ich meinte auf Ebene der Partei. Wenn die eine Vereinigung nur formal auflöst, ohne sich von den Beteiligten zu trennen.

      • @Ciro:

        Welche Vereinigung soll den bitte "nur formal aufgelöst" werden? Ich steh auf dem Schlacu, es geht doch um ein Parteienverbot der AfD, oder nicht?

        • @QuantumRider:

          Das war bezogen auf Teilstrukturen aus dem dritten Absatz von unten: "Auflösung der AfD-Parteijugend oder vor Jahren schon des rechtsextremen „Flügels“ "

  • Die Auflösung von Gruppierungen entlastet natürlich nicht, das ist nur ein formaler Vorgang, kein Rauswurf, die Leute und ihr Denken sind weiterhin da.



    Verstehe nicht ganz, wie eine Sammlung von öffentlichen Äußerungen geheim sein soll. Aber davon abgesehen, eine Veröffentlichung ist vielleicht insofern gut, als dass es eine Entgegnung auf die Empörung der AgD ist, nach dem Motto: es stimmt sehr wohl, hier haben wir den Nachweis (als wenn er nicht ohnehin über all die Jahre den Medien zu entnehmen war).

    • @Ciro:

      Ich denke nicht dass die Geheimhaltung mit der Sammlung an sich zu tun hat.



      Nicht alle dieser Äußerungen müssen ja automatisch aus dem öffentlischen Raum sein.



      Es operieren ja nicht alle wie Erika Steinbach die auf Facebook postet die AfD sei die einzige Partei die Verfassungskonform handle.



      Sie markiert den Teil der Aussage

      Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland



      Art 116



      (1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

      der sich auf die Abstammung bezieht und ignoriert den Teil



      "vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung".

      Einige Aussagen sind sicherlich im geheimen getroffen worden.



      Siehe die Leaks auf den Chats.

      Es geht eher darum bestimmte Quellen zu schützen durch die ein Teil der Äußerungen an den VS herangetragen wurden.



      Je nachdem wie klein der Personenkreis war in dem eine Aussage fiel werden Informaten fü die AfD identifizierbar.