Was bleibt noch für RTL und Co.?: Das große Serien-Einkaufen
Nun beginnt die weltgrößte TV-Messe in Cannes. Händler von Video-on-Demand-Plattformen sind hungrig auf neue Stoffe, die immer teurer werden.
Manche fragen sich schon, wie lange es wohl dauern wird, bis Fernsehen, so wie es die Zuschauer kennen und kannten, verschwunden ist. Die Geschäftsmodelle für die Branche sind jedenfalls im fundamentalen Wandel.
Das wird auch die weltgrößte TV-Messe MIPCOM in Cannes zeigen, die am Montag beginnt: Mehr als je zuvor werden Programmeinkäufer von Internetportalen sowie Video-on-Demand-Plattformen nach Südfrankreich reisen: Mehr als 500 von ihnen aus der ganzen Welt wollen Rechte für Serien, Filme und andere Inhalte erwerben oder direkt selbst mit Partnern aus anderen Ländern aufwändige internationale Produktionen starten.
Und das ist erst der Anfang. So beschreibt eine aktuelle Studie von Ericsson, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen bereits Videoinhalte im Netz schauen. In drei Jahren soll diese Art der Mediennutzung genauso stark wie der klassische Fernsehkonsum sein. Treiber für die Attraktivität der Portale sind gut gemachte Serien.
Das haben auch die Privatsender erkannt und in den letzten Jahren immer wieder hochwertige Eigenproduktionen realisiert. Das Massenpublikum konnten sie damit aber nicht begeistern, oder vielleicht wurden sie in einem immer größeren Angebot auch einfach nur übersehen: „Gottlos“ auf RTL II oder „Deutschland 83“ auf RTL sind solche Projekte.
Sie wurden zwar von der Kritik gelobt, aber das allein reicht für die Privaten nicht aus. Denn die Verfilmung fiktionaler Stoffe ist weitaus teurer als beispielsweise die Ausstrahlung einer aus den USA eingekauften Serie und muss aus den Werbeeinnahmen refinanziert werden. Und das in einer Zeit, in der immer weniger Zuschauer den Fernseher überhaupt einschalten.
Trotzdem haben die Kölner gerade eine Programmoffensive mit weiteren neuen Inhalten gestartet: Vier neue Serien und zwei Sitcoms sind in Planung, während die Krimireihe „Bad Cop“ gerade gestartet ist. Denn eigene Inhalte könnten zukünftig wichtiger sein als die Sendermarke, wenn es ums Geldverdienen geht.
Internetplattformen im Vorteil
„Die Kunden erkennen die Grenzen zwischen Live-TV, Streaming oder Video on demand immer weniger und sie akzeptieren sie auch immer weniger“, sagt ein Branchenkenner, der in Geschäftsbeziehung zu den Sendern steht, „es muss schon heute stets auch die Wahl des zeitunabhängigen Konsums gegeben sein.“
Da sind große Internetplattformen mit einer bestehenden Infrastruktur allerdings im Vorteil. Diese „Aggregatoren“ können alles anbieten, so wie die Deutsche Telekom: „Entertain“ bietet seinen Abonnenten Zugriff auf die klassischen Fernsehsender, auf Pay-TV-Sender wie SKY oder auf Videoportale, darunter Netflix und Maxdome.
RTL, ProSiebenSat.1, ARD, ZDF und Co. haben zwar alle eigene Apps implementiert, aber es ist für die Nutzer zu mühselig, jedes Programm – insofern es überhaupt abrufbar ist – auf dem jeweiligen Angebot zu suchen und anzuschauen.
Dazu kommt, dass Player wie die Deutsche Telekom jetzt zusätzlich eigene Inhalte zeigen und produzieren. Gerade haben die Bonner ein Angebot mit Tausenden von Serien-Programmstunden gestartet. Und im nächsten Jahr werden sie ihre erste Eigenproduktion „Germanized“ in Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma Bavaria zeigen.
„Wir wollen vor allem deutsche Themen erzählen und als Serie umsetzen“, kündigt der TV-Chef der Deutschen Telekom, Wolfgang Elsäßer, an, „da sehen wir großen Bedarf, aber auch eine Nische für uns, in der wir uns positionieren wollen.“ Als Konkurrent zu den Fernsehsendern will Elsäßer sich nicht sehen. Er ist es aber.
Das RTL-Dilemma: Im TV groß, online klein
Darauf, da ist sich ein Insider, der mit allen Playern eng zusammenarbeitet und daher namentlich nicht genannt werden möchte, sicher, muss ein Sender wie RTL reagieren und komplett online gehen, doch dafür reiche die Internetpräsenz mit „RTL Now“ nicht aus: „Sie werden entweder eine eigene große Plattform aufbauen, was aufwändig und schwierig ist, oder sie werden eine Partnerschaft mit einem bestehenden Anbieter bilden.“ Dafür kämen zurzeit Vodafone oder Apple in Betracht.
Was die Zukunft des klassischen Fernsehens angeht, gibt der Produzent Jan Mojto von Beta Film Entwarnung: „Ich habe die Einführung von Privatfernsehen, von Pay-TV und das Aufkommen der Internetportale erlebt, und noch nie hat eine neue Verbreitungsform die alte verdrängt.“
Aber, so der Altmeister des internationalen TV-Rechtehandels, die Budgets für Fernsehproduktionen sind durch neue Marktteilnehmer stets gestiegen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist auch die bislang teuerste deutsche Serie „Babylon Berlin“, die gemeinsam von ARD, SKY, Beta sowie anderen produziert und an Netflix in den USA verkauft wurde. Ab Montag wird Mojto auf der MIPCOM die Serie an weitere ausländische Sender und Portale lizensieren.
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