Was Süddeutsche entdecken: Berlin wieder im Ausnahmezustand
Diesmal sind's die Masern, die die Hauptstadt ins Chaos stürzen - meint zumindest die "Süddeutsche Zeitung" in bester Preußenhassermanier herausgefunden zu haben.
Es sind dies schwere Zeiten für Süddeutsche. Gehts um Olympia, wird nur von Hamburg oder Berlin gesprochen; München spielt keine Rolle. Bei peinlichen Großprojekten ist das nicht anders: Elbphilharmonie und BER bestimmen das Bild, über Stuttgart 21 wird konsequent geschwiegen. Ab und an bricht sich die Wut der südlichen Deutschen über diese Nordfixierung Bahn, gerne in Artikeln über Berlin in deren Zentralorgan Süddeutsche Zeitung, das sich ja selbst gerne für seine investigativen Zugänge lobpreist.
Die Masern gaben dem Blatt am Donnerstag einen willkommenen Anlass, mal wieder ordentlich über die Preußen herzuziehen. So wurden in der Hauptstadt in diesem Jahr bereits 661 Fälle der hochansteckenden Krankheit erfasst, vermeldete das Berliner Landesamt für Gesundheit; in Bayern waren es lediglich 56. Ein ernstes Problem gepaart mit ein paar Berliner Bekloppten – das ergibt ein gelungenes Schmankel auf der Vermischten-Seite, werden sich die verantwortlichen Redakteure der Zeitung gedacht haben. Und schickten eine Reporterin in den „wohlhabenden Stadtteil“ Prenzlauer Berg – der bis vor kurzem für das Blatt noch eine Szenekiez war. In dieser Ecke Berlins sind bekanntlich besonders viele renitente Impfgegner zu Hause, die tatsächlich ein Teil des Problems darstellen.
Die dortige – investigative – Recherche ergab zum Glück: Ganz Berlin befinde sich seit dem Maserntod eines 18 Monaten Kindes Ende Februar im „Ausnahmezustand“. Für die Bayern war das sicher wenig überraschend: In ihren Augen ist die Stadt eigentlich dauernd im Ausnahmezustand, eine Begründung lässt sich nach mehr oder weniger gründlicher Suche immer finden.
Für die Berliner hingegen ist diese eher steile These ein weiterer Beleg, dass die Süddeutsche die Berliner immer noch nicht verstanden hat – weil sie es gar nicht will. Die Menschen in der Hauptstadt schnoddern gerne über Banalitäten – ersthafte Angelegenheiten wie S-Bahnchaos, Geldverschwendung, Baupannen, Olympia, Epidemien interessieren sie hingegen nur am Rand. Verrückt, liebe Süddeutsche, nicht?!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen