: Was Mütter wollen
… ist den Parteien egal: Statt der nötigen Kinderbetreuung versprechen sie einfach nur mehr Geld
von HEIDE OESTREICH
Hohl pfeifen die Phrasen durchs Land – Familienwahlkampf, Politik für Kinder, Familie im Zentrum. Die Versprechungen türmen sich zu vierstelligen Geldbeträgen pro Familie. Fast möchte man der FDP schon dankbar sein, dass sie karg auf die „Eigenverantwortung der einzelnen Bürgerinnen“ setzt und erkennbar so wenig Geld wie möglich für die Ganztagsbetreuung von Kindern ausgeben möchte. Da weiß man doch, woran man ist.
Alle anderen Parteien haben den Zuwanderungs-, den Pisa- und den Demografieschock genutzt, um ein attraktives Wahlkampfthema daraus zu entwickeln. Im Zweifel ist die Familie immer für alles verantwortlich. Das ist der eine Grund, warum die Wahlversprechen so groß ausfallen.
Das zweite Motiv: Es gibt 2,6 Millionen Wählerinnen mehr als Wähler. Die Frauen entscheiden die Wahl – wenn denn die Frauen vereint auftreten würden. Doch was Frauen wirklich wollen, hat die Forschung bis auf den heutigen Tag nicht zweifelsfrei erkunden können. Immerhin so viel lässt sich sagen: Frauen lassen sich weniger vom – gefärbten – Haar des Kandidaten beeinflussen, sie entscheiden eher anhand ihrer konkreten Bedürfnisse.
Die haben nicht selten etwas mit der Familie zu tun. Mit dem Thema kann man nicht viel falsch machen, denken die Strategen – auch wenn es keinesfalls wahlentscheidend ist. „Frauen wählen nicht viel anders als Männer“, resümiert der Meinungsforscher Torsten Schneider-Haase vom Emnid-Institut. Auch für sie sei etwa die Arbeitslosigkeit mit großem Abstand das wichtigste Thema. Für die „konkreten Bedürfnisse“, nach denen Frauen angeblich entscheiden, ist die Jobfrage noch grundlegender als Kinderbetreuung.
Zum Glück für die Union. Mit ihrer Familienpolitik allein könnte sie bei den Wählerinnen kaum noch punkten. Jahrzehntelang konnte sich die Partei mit ein bisschen Familienideologie und viel Mutterkult die Stimmen der mehrheitlich konservativ orientierten Frauen sichern. Das Programm der SPD, die schon lange auf Lohnarbeit für Frauen setzt, und der Feminismus der Grünen schreckten die meisten Frauen schlicht ab.
Diese Rechnung funktioniert nicht mehr. Mit der Rhetorik ihrer feministischen Müttergeneration mögen die jungen Frauen von heute hadern – die Errungenschaften aber möchten sie nicht mehr missen. Aber nicht mehr nur die jungen Frauen wählten 1998 SPD und Grüne. Gerade die 45- bis 59-Jährigen, bis dahin eine sichere Bank der Union, stimmten mehrheitlich gegen Helmut Kohl und seine Familienfrau Claudia Nolte.
Mit Katherina Reiche hat Stoiber jetzt eine etwas moderner wirkende Nolte-Neuauflage präsentiert. Doch das familienpolitische Programm der Union bleibt, vorsichtig formuliert, durchwachsen. Etwa das geplante, wenn auch nicht gegenfinanzierte Familiegeld: Für mehr Kindergeld interessieren sich nach einer Umfrage der Frauenzeitschrift Brigitte nur 16,7 Prozent der Mütter. Einen Kindergarten mit vernünftigen Öffnungszeiten kann man vom Kindergeld eben nicht kaufen. Und 67,9 Prozent der Mütter wollen endlich verlässliche und flexible Betreuungseinrichtungen.
Nur die FDP ignoriert das mutig. Anscheinend will sie die Partei der Männer und der kinderlosen Frauen bleiben – oder der extrem wohlhabenden, die sich eine private Betreuung leisten können. Die CDU versucht, sich mit der schwammigen Formel „Wahlfreiheit“ durchzulavieren. Dass ihr Familiengeld derzeit ohnehin nicht finanzierbar ist, hat sie schon zugegeben. Die „Wahlfreiheit“ aber endet hierzulande noch viel zu oft in dem Zwang, zwischen Beruf und Familie zu wählen. Die meisten jüngeren Frauen wollen aber keine Wahl, sie wollen Beruf und Familie vereinbaren. Auch die linken Parteien, die das Problem immerhin richtig benennen, haben dafür keine wirkliche Lösung. Die SPD bietet zu wenig Geld für einen ernsthaften Ausbau der Kinderbetreuung. Grüne und PDS haben kein Finanzierungskonzept für die Unsummen, die sie ausgeben wollen. Familienpolitik ist eben nicht wahlentscheidend. Da kann man folgenlos viel versprechen – und hinterher viel brechen.
Was Mütter wirklich wollen, wird wohl auch in der nächsten Wahlperiode kaum wahr werden. Die jungen Damen nehmen’s gelassen – und reagieren auf ihre Weise. 23 Prozent von ihnen sind laut „Forschungsgruppe Wahlen“ Nichtwählerinnen. Frauen unter 35 sind die wahlmüdeste Bevölkerungsgruppe überhaupt.
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