Warum kam es zur Finanzkrise?: Zweimal null ist eins
Auf vielfachen Wunsch klären wir auf. Die Finanzkrise lag an zweierlei: Die Märkte haben gegen das Gebot der Nullintelligenz ihrer Akteure und gegen die Nullsummenkonstanzprämisse verstoßen.
Ist es schon Zeit, ein paar Lehren aus dem Ausbruch der aktuellen Finanzkrise und ihrer möglichen Beilegung zu ziehen? Sicherlich ist der Wertberichtigungsbedarf, den der internationale Währungsfonds diagnostiziert hat, in den verschiedenen Unterstützungspaketen, die von den Regierungen geschnürt wurden, noch nicht voll abgedeckt. Aber dies bedeutet vermutlich keinen prinzipiellen Einwand gegen diese staatlichen Hilfen, da es zum einen leicht fallen würde nachzulegen und zum anderen hinreichend viel Klarheit über die Ursachen und Mechanismen der Krise zu herrschen scheint. Unwahrscheinlich, dass mit neuen und unliebsamen Überraschungen gerechnet werden muss.
Es sind zwei Regeln, deren Verletzung zum Ausbruch der Krise geführt hat und deren Wiedereinsetzung den Verlauf der Krise unter Kontrolle zu bringen beginnt. Sie lauten: Märkte sind dann effizient, wenn die Händler, die auf ihnen agieren, über eine Nullintelligenz verfügen. Und die Wirtschaft ist dann gesellschaftlich funktionsfähig, wenn finanzielle Entscheidungen im Zeichen einer Nullsummenkonstanzprämisse stattfinden. Alle Beteiligten müssen davon ausgehen können, dass den einen nur dann etwas gegeben werden kann, wenn den anderen etwas genommen werden kann. Die beiden Regeln stehen auf den ersten Blick im Widerspruch zu auf der Hand liegenden Fakten. Deshalb ist es leicht, Verstöße gegen sie für hinnehmbar zu halten. Beide Regeln sind jedoch auf den zweiten Blick unverzichtbar, weil sie Randbedingungen des Gesamtsystems "Wirtschaft der Gesellschaft" formulieren.
Worum geht es? 1993 haben zwei Ökonomen, Dhananjy K. Gode und Shyam Sunder, in einem Aufsatz im Journal of Political Economy in Simulationsstudien nachgewiesen, dass Märkte genau dann ein effizientes Allokationsgleichgewicht aufweisen, wenn man die Trader mit einer zero intelligence ausstattet. Das hört sich komplizierter an, als es ist. Es heißt, dass, sobald die Trader anfangen zu lernen, sobald sie mit besonderen Motivationen und eigenen Rationalitätseinschätzungen aufwarten, die Märkte in ein Ungleichgewicht geraten. Es kommen nicht mehr alle Angebote zum jeweiligen Preis zum Zuge, und es werden nicht mehr alle Nachfragen befriedigt. Jede Zentralisierung und jede Monopolisierung von Information stört das System. Wenn sich dauerhaft "Informationsasymmetrien" aufbauen, man also an einem Ort etwas versteht, was man woanders nicht versteht, führt das dazu, dass die einen von Gewinnaussichten reden, für die die anderen bereit sind, ihre Liquidität aufzugeben - bis sie merken, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt haben.
Dieser Nachweis steht im Einklang mit den von Ökonomen wie Wilhelm Röpke, Friedrich August von Hayek und anderen formulierten Ideen einer liberalen Wirtschaftsordnung, in der die im System verteilten Anbieter und Nachfrager nur dann effiziente Konsum-, Investitions-, Kapital- und Arbeitsplatzentscheidungen treffen können, wenn auch die über das System erforderliche Information im ganzen System verteilt ist. Wenn die Information im System verteilt ist, liegt sie für jeden Akteur nur unvollständig vor, da für seine Entscheidungen wesentliche Informationen nur bei anderen Akteuren zu finden sind, die jedoch erst reagieren werden und können, wenn der erste Akteur seine Entscheidung bereits getroffen hat. In dieser Situation ist Nullintelligenz, das heißt radikaler Opportunismus, die klügste Option, da jede andere Option bedeuten würde, dass man mehr zu wissen glaubt, als man wissen kann.
Diese Voraussetzung der Nullintelligenz ist jedoch in den vergangenen Monaten der Entwicklung der Subprime-Blase massiv verletzt worden. An die Stelle der Einsicht in die eigene Nullintelligenz war die greater fool theory getreten, in deren Rahmen jeder einzelne Akteur glaubte, es mit einem Markt zu tun zu haben, in dem andere noch leichter hinter das Licht zu führen sind als man selbst - mit dem wunderbaren Ergebnis, dass dem Markt noch Liquidität zugeführt wurde, als man nicht mehr an seinen Bestand glauben konnte. Jeder Akteur rechnete sich eine Größer-als-null-Intelligenz zu, die ihn sicherer als jede "Gier" dazu verführte zu glauben, dem System ein Schnippchen schlagen zu können.
Die zweite Regel, die verletzt wurde, ist die Regel der Nullsummenkonstanz. Diese Regel hat Niklas Luhmann in seinem Buch "Die Wirtschaft der Gesellschaft" aus dem Jahr 1988 auf den Punkt gebracht: Die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken im Zuge von deren Kreditvergabe kann im Wirtschaftssystem nur dann funktionieren, wenn niemand auf die Idee kommt, dass sie die Nullsummenkonstanzprämisse verletzt. Das heißt, dass alle davon ausgehen können, dass jemand im Rahmen dieser Geldschöpfung nur Geld bekommt, das jemand anderem fehlt oder zumindest fehlen wird. Wenn man nicht mehr daran glaubt, dass Kredite einem Produzenten lediglich Kapital zum Herstellen von Produkten zur Verfügung stellen, für die Konsumenten Geld auszugeben bereit sind, bricht die Nullsummenkonstanzprämisse zusammen. Dann bewegt man sich in einer Wirtschaft, in der jedes Geschäft dazu führt, dass alle Beteiligten anschließend mehr Geld zur Verfügung haben als zuvor. Eine solche Wirtschaft wird unberechenbar - den Gewinnen stehen keine Verluste, dem Nutzen keine Kosten mehr gegenüber.
Die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken muss daher durch eine Geldmengenpolitik der Notenbanken kontrolliert werden, innerhalb deren die Geldmenge politisch variiert wird, damit sie ökonomisch als konstant angenommen werden kann. Dieser Punkt wird in der Diskussion über den Kapitalismus der freien Marktwirtschaft oft vernachlässigt, da er deutlich zeigt, von welchen politischen Interventionen das freie Spiel der Marktkräfte abhängig ist. Die Möglichkeit der Geldmengenvariation durch die Politik der Notenbanken sitzt im blinden Fleck der Interdependenz von Politik und Wirtschaft, da sie genau die Nullsummenkonstanz garantieren soll, die sie dauernd verletzt.
Tatsächlich tritt das Problem jedoch erst dann auf, wenn die Notenbank ihre Konditionen der Refinanzierung der Geschäftsbanken nicht mehr scharf daraufhin kontrolliert, ab wann eine Geldmengenausweitung die Akteure im Markt dazu verführt, den Glauben an die Nullsummenkonstanz aufzugeben. Im Fall der aktuellen Finanzkrise ist es jahrelang gelungen, die Geldmengenausweitung nicht etwa in einer steigenden Inflation verpuffen zu lassen, sondern durch eine Wachstumsdynamik zu beglaubigen, in der reale und nominale Effekte wesentlich schwerer zu unterscheiden sind als in einer Inflation.
Das System wusste sich nur durch Leerverkäufe zu helfen. Leerverkäufe sind ein außerordentlich scharfes Instrument der Korrektur von Überschätzungen, indem sie es erlauben, auf fallende Preise zu wetten. Leerverkäufe setzten den außer Kraft gesetzten Regeln der Nullintelligenz und der Nullsummenkonstanz ihre eigene null entgegen. Es gehört daher vielleicht zu den interessantesten Lehren aus dieser Krise, dass es der Wirtschaft selbst inmitten einer vom Staat alimentierten Wachstumsdynamik gelingt, konträre Positionen einzunehmen. So fand sie zu jener verteilten Intelligenz zurück, die zum einen Wetten ermöglicht und zum anderen offene Entwicklungspfade generiert. Aber Leerverkäufe können die korrekte Selbsteinschätzung der Reichweite der Intelligenz aller Beteiligten ebenso wenig ersetzen wie die politisch korrekte Steuerung der Kapitalversorgung der Wirtschaft. Die Doppelnull garantiert ein funktionsfähiges Wirtschaftssystem, in dem es weder zu Oligopolen und Monopolen der Verwaltung von Informationsasymmetrien kommt noch zu einem Liquiditätspoker um Positionen innerhalb einer Weltwirtschaft, die so nicht mehr gehalten werden können.
Egal, wie hoch sie sind: Die staatlichen Hilfsmaßnahmen werden sich daran messen lassen müssen, ob sie die Regeln der Nullintelligenz und der Nullsummenkonstanz wieder in ihr Recht zu setzen vermögen oder nicht. Auch das ist ein Fall für die Finanzarithmetik. Die Doppelnull verweist darauf, dass der Fluchtpunkt des Systems nicht in seiner Entscheidung steht. Die Wirtschaft der Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn klug-opportunistische Händler von einer Politik nicht mehr und nicht weniger Kapital zur Verfügung gestellt bekommen, als sie brauchen, um konträre Positionen einnehmen und so ihren Übermut dämpfen zu müssen.
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