Warum Gysi trotzdem Erfolg hat: Geliebtes Zwielicht
War Linksfraktionschef Gregor Gysi Stasi-IM? Er bestreitet dies - und eigentlich ist es auch egal: Seinem guten Image wird der Skandal ohnehin nicht schaden.
Eines vielleicht vorab: Dieser Text ist nicht von unserem Justiziar vor der Veröffentlichung geprüft worden.
Geht es um den Chef der "Linke"-Fraktion im Bundestag, Gregor Gysi, und seine mögliche Stasi-Nähe, ist es mittlerweile sinnvoller, Juristen die Texte schreiben zu lassen. Es spricht für sich, dass der "Linke"-Star seit bald zwei Jahrzehnten einen großen Teil seiner Arbeitszeit als Politiker damit verbringt, gegen Menschen und Medien zu prozessieren, die ihm vorwerfen, er sei ein IM, also ein Zuträger der Stasi gewesen. Verbissen ficht er die Sachen aus, bemüht die höchsten Gerichte - doch am Ende hilft es alles nichts: Der Spitzel-Vorwurf klebt an ihm wie Pech. Die Frage ist nur: Warum ist Gysi weiterhin so beliebt, genauer: dennoch so beliebt?
Es gibt offensichtliche Gründe: Zum einen ist der 60-jährige frühere Facharbeiter für Rinderzucht einer der besten Redner der Berliner Republik. Das ist in einer Demokratie völlig zu Recht von einiger Bedeutung. Noch die schlechteste Gysi-Rede ist interessanter als der Durchschnitt der Reden, die im Bundestag gehalten werden - vor allem seit dem Weggang des Grünen Joschka Fischer aus dem Hohen Haus. Die Schlagfertigkeit, der Wortwitz und die Originalität seiner Argumentation in öffentlicher Rede sucht man sonst vergebens. Insofern ist Gysi mit gutem Grund beliebt.
Zum anderen ist Gysi so populär, weil er ein großer politischer Übersetzer ist: Ihm ist es seit dem Mauerfall gelungen, einen großen Teil der 18 Millionen Ostdeutschen mit der neuen Bundesrepublik zu versöhnen, die von ihnen so viel verlangte, nämlich eine meist fast komplette Umorientierung in ihrem Leben. Hätte Gysi in diesem Prozess nicht mit viel Geschick als öffentliche Person gezeigt, dass es geht, dass man zu diesem neuen, alten Deutschland stehen kann, ja sollte, trotz aller Unbill - die NPD wäre längst im Bundestag. Gysi hat viele für die Demokratie gewonnen und - auch durch die Förderung von jungen Leuten in der Partei - die "Linke" im Großen und Ganzen zu einer staatstragenden Partei gemacht. Randfiguren wie Sahra Wagenknecht bestätigen die Regel.
Dazu gehört aber drittens, dass Gysi bei vielen nicht trotz, sondern wegen seiner unklaren Informationspolitik gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beliebt ist: Wer heute in Ostdeutschland Mitte 40 und älter ist, hatte in seiner DDR-Vergangenheit fast zwangsläufig irgendetwas mit der Stasi zu tun. Nur zur Erinnerung: Im Oktober 1989 arbeiteten 91.000 Menschen hauptamtlich für das MfS. Mitte bis Ende der 80er-Jahre lag die Zahl der IM bei 180.000. Überall, ob im Betrieb oder Sportverein, ob in Kirche oder in Schule, gab es Leute, die der Stasi mehr oder weniger zugearbeitet haben - und mit manchen war man sogar befreundet. Gysi, der einer Familie der Nomenklatura entstammt, war einer der wenigen freien Rechtsanwälte der DDR und vertrat Dissidenten wie Robert Havemann, Rudolf Bahro und Bärbel Bohley. Natürlich hatte er da Kontakte zur Stasi. Anderes zu glauben, wäre naiv oder unhistorisch.
Dieses Zwielicht aber ist es, was viele Ältere in Ostdeutschland kennen und anerkannt wissen wollen. Alle, fast alle machen sich in einer Diktatur über kurz oder lang mit schuldig, die einen mehr, die anderen weniger, manche bewusst, andere unbewusst. Gysi ist beliebt, weil er diese traurige Wahrheit versinnbildlicht wie wenige. Er gibt den Menschen, die sich nicht sagen lassen wollen, dass sie Jahrzehnte lang ein falsches Leben geführt haben, Gesicht und Stimme. Gysi ist ein Kämpfer, einer, der sich glaubhaft für die vielen Armen gerade im Osten einsetzt - auch das macht ihn beliebt.
Schließlich: Gysi gehört schlicht zu den good guys in seiner Partei - und viele finden ihn einfach sympathisch, jedenfalls enorm charmant. Wer einmal erlebt, welcher Mief aus DDR-Nostalgie, Verdrängung und Wut einem bei Treffen älterer "Linke"-Mitgliedern entgegenschlagen kann, der sehnt sich nach partei-internen Reformerinnen und Reformern, an deren Spitze immer wieder Gregor Gysi zu finden ist. In einer fusionierten Partei, zu der nun auch satte Gewerkschaftsfunktionäre und frustrierte K-Gruppen-Kader aus dem Westen hinzugestoßen sind, wirkt Gysi des Öfteren wie eine Frischluftzufuhr, auch das spürt die Öffentlichkeit. Er packt mutig manche der heißen Eisen in seiner Partei an, wie zuletzt sein Angriff auf die ewig gestrigen Antizionisten und Antiimperialisten in der "Linken" gezeigt hat. Dass er dabei sogar von der deutschen Staatsräson sprach, zu der sich die Partei bekennen soll, passt dazu. Und im Vergleich zu Oskar Lafontaine hat er wenig von diesem brutalen Machtinstinkt, der viele so abschreckt.
All das macht Gysi einmalig. Vieles fehlte, gäbe es ihn nicht.
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